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Iran: Sittenpolizei aufgelöst? Experten vermuten Ablenkungsmanöver

Der Iran schafft die Sittenpolizei ab, hieß es am Sonntag in Medienberichten. Doch etliche Fragen bleiben offen. Derweil trifft sich das Regime zum Krisengipfel.

Im Iran spitzt sich die Lage für die Regierung offenbar zu. Nach den fast zwei Monate anhaltenden Massenprotesten im Iran hat sich Präsident Ebrahim Raisi Medienberichten zufolge am Sonntag mit mehreren Ministern zu einem Krisengipfel getroffen. Auf der Agenda des nicht-öffentlichen Treffens im Parlament in Teheran stünden die jüngsten Entwicklungen im Land, berichtete die Agentur Isna.

Wenige Stunden zuvor hatte sich der Generalstaatsanwalt zur Sittenpolizei geäußert. "Die Sittenpolizei hat nichts mit der Judikative zu tun und wurde von denen, die sie geschaffen haben, abgeschafft", sagte Generalstaatsanwalt Mohammed Dschafar Montaseri am Samstagabend nach Angaben der Nachrichtenagentur Isna in der zentraliranischen Stadt Ghom.

In Medienberichten wurde das teils als Ankündigung interpretiert, die Sittenpolizei sei aufgelöst worden. Sie war bislang hauptsächlich für die Einhaltung der Kleidungsvorschriften von Frauen zuständig. Jedoch ist die Aussage von Montaseri unklar. Er sagte auch, die Justizbehörden würden sich weiter "mit dieser Herausforderung befassen". Die Kontrollen sollen also auch seiner Aussage nach weitergehen. Zudem weisen Journalisten darauf hin, dass es mittlerweile ein Dementi des Regimes gegeben habe.

Auch t-online hatte zunächst über eine Abschaffung der Sittenpolizei berichtet. Mittlerweile wurde dieser Artikel angepasst.

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Experten interpretieren die Aussage daher angesichts der Proteste und angekündigter Streiks auch als Ablenkungsmanöver. Die Journalistin und Iran-Expertin Gilda Sahebi sagte im WDR: "Unabhängig, ob diese Sittenpolizei als Institution besteht oder nicht, das macht für die Menschen auf der Straße, für die Frauen, die misshandelt werden, überhaupt keinen Unterschied."

Die Sittenpolizei, die auf Irans Straßen seit 2006 unter anderem die Einhaltung der Kopftuchpflicht kontrollierte, war unter dem ultrakonservativen Staatschef Mahmud Ahmadinedschad gegründet worden. Sie sollte "die Kultur des Anstands und des Hidschabs verbreiten". Während sie unter dem Ex-Präsidenten Hassan Rohani (2013-2021) nicht aktiv waren, trat sie mit dem amtierenden Raisi wieder in Erscheinung.

Die Rolle der Einheit hatte sich nach und nach weiterentwickelt und war immer ein kontroverses Thema selbst für Präsidentschaftskandidaten. Ursprünglich sprachen die Sittenpolizisten Warnungen aus, bevor sie vor 15 Jahren anfingen, hart durchzugreifen und Frauen festzunehmen. Vor allem im Sommer begannen die Sittenwächter, Frauen und Männer, die sich ihren Anweisungen widersetzten, zu verhaften, um Exempel zu statuieren.

Mahsa Amini starb in Gewahrsam der Sittenpolizei

Mitte September verhafteten die islamischen Sittenwächter die 22-jährige Mahsa Amini. Unter ihrem Kopftuch sollen ein paar Haarsträhnen hervorgetreten sein. Amini starb wenige Tage später im Gewahrsam der Sittenpolizei. Seitdem protestieren im Iran Menschen gegen das islamische System und dessen Gesetze und Vorschriften.

Im Rahmen dessen werden der Kopftuchzwang und die islamischen Kleidervorschriften von vielen Frauen, besonders in Großstädten, zunehmend ignoriert. Nach Beginn der Proteste waren noch einige Tage Sittenwächter auf den Straßen, doch nachdem sie mehrmals von den Menschen angepöbelt und auch angegriffen wurden, verschwanden sie aus den Stadtbildern. Seit 1983 müssen Frauen im Iran ein Kopftuch tragen.

Montaseri: Kopftuchgesetzt wird überprüft

Am Freitag hatte Generalstaatsanwalt Montaseri angekündigt, dass das iranische Parlament und die Justiz das Gesetz überprüfen, das Frauen zum Tragen eines Kopftuchs verpflichtet. "Das Parlament und die Justiz arbeiten" an diesem Thema, sagte er. Er kündigte Ergebnisse in "ein oder zwei Wochen" an, äußerte sich aber nicht dazu, was an dem Gesetz geändert werden könnte.

Präsident Ebrahim Raisi sagte am Samstag im Fernsehen: "Unsere Verfassung hat starke und unveränderliche Werte und Prinzipien." Es gebe aber "Methoden zur Umsetzung der Verfassung", die "flexibel" sein könnten. Im Juli hatte Raisi noch anders geklungen: Damals drang der Staatschef auf eine strenge Durchsetzung der Kopftuchpflicht "durch alle staatlichen Institutionen".

Die wichtigste reformorientierte Partei des Landes, die Union der Islamischen Iranischen Volkspartei, hatte bereits im September die Aufhebung des Hidschab-Gesetzes gefordert. Erst am Samstag hatte die Partei Teheran erneut nahegelegt, "offiziell das Ende der Aktivitäten der Sittenpolizei zu verkünden" und "friedliche Demonstrationen zuzulassen".