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Isabella Weber: „Einzelne Branchen können die gesamte Inflation anheizen“

Die Ökonomin Isabella Weber hat die deutsche Gaspreisdebatte geprägt. Nun forscht sie zur Inflation – und fordert eine neuartige Betrachtung der Preissteigerungen. Im Interview erklärt sie ihren Ansatz

Frau Weber, Sie veröffentlichen im April ein neues Buch über die chinesische Wirtschaft. Jetzt haben Sie auch noch ein Arbeitspapier zur Inflation in den USA herausgebracht. Gibt es da einen Zusammenhang?
ISABELLA WEBER: Tatsächlich beschäftige ich mich schon länger mit Inflation im Kontext von schnellen historischen Umbruchprozessen, wie wir sie heute wieder erleben. China hat einen solchen Umbruchsprozess im Zuge der Wirtschaftsreformen durchlaufen. Als China damals von einer Plan- auf eine Marktwirtschaft umgestellt hat, war die Inflation immer eine Art Gespenst im Raum, das es zu verhindern galt.

Deshalb haben Sie Ihr neues Buch auch „Das Gespenst der Inflation“ genannt?
Ja, genau. Für das Buch habe ich mir die 1980er in China angeschaut und wie führende Ökonomen damals die Entwicklung bewertet haben. Ein wichtiger Vergleichspunkt war damals zum Beispiel der Umbruch von einer Kriegs- zu einer Nachkriegswirtschaft. Dieser Vergleich wurde auch im Kontext von Covid wieder gezogen. Plötzlich hat mit den Lockdowns nicht mehr der Markt alleine entschieden, was produziert wird, wer zur Arbeit gehen kann und wer zu Hause bleibt, sondern der Staat hat enge Grenzen gesetzt. Natürlich ist die Situation auf ganz vielen Ebenen heute anders als am Übergang von der Kriegswirtschaft oder am Anfang der chinesischen Reformen. Aber in dem einen Punkt, dass es zu spezifischen Engpässen am Beginn der Wertschöpfungskette kommt, und später zur Inflation, ist die Situation überraschenderweise vergleichbar. Das war auch der Ausgangspunkt für das Arbeitspapier, das ich mit drei weiteren Kolleginnen und Kollegen veröffentlicht habe.

Isabella Weber, University of Massachusetts Amherst: Die 34-jährige VWL-Professorin gilt als Erfinderin des Gaspreisdeckels, was ihr zunächst die geballte Kritik der Fachwelt einbrachte. Inzwischen werden fast überall solche Modelle aufgelegt – auch in Deutschland, wo Weber in die Expertenkommission der Bundesregierung berufen wurde. Sie hat Politikwissenschaften und VWL studiert und zweimal promoviert. Weber lebt und lehrt in den USA, wo sie gerade an ihrem zweiten Buch „Das Gespenst der Inflation: Wie China der Schocktherapie entkam“ arbeitet.

Wie sind Sie vorgegangen?
Bislang dominieren mehr oder weniger zwei Theorien, wie Inflation zustande kommt. Zum einen die monetaristische Sicht, dass zu viel Geld im Markt ist. Zum anderen die neokeynesianische Sicht, das gesamtwirtschaftlich zu viel Nachfrage für das vorhandene Angebot vorliegt. Ich will keineswegs abstreiten, dass diese Theorien bestimmte Inflationen erklären können. Meine These ist vielmehr, dass wir es heute mit einer speziellen Art von Inflation zu tun haben – und zwar einer Inflation, die mit dem radikalen Umbruch durch Covid und dem Krieg in der Ukraine zusammenhängt. Diese Inflation lässt sich nicht allein durch die beiden Theorien erklären. Wir müssen uns die Mikro-Ebene einzelner Sektoren anschauen. In anderen Worten: Wir haben spezifische Schocks in spezifischen Märkten erlebt, die zu breiten Preissteigerungen geführt haben. Diese Schocks haben sich im ganzen System ausgebreitet und so zu einer allgemeineren Inflation geführt.

Sie meinen also, einzelne Branchen haben Flächenbrände mit ihren Preissteigerungen ausgelöst?
Ja, so kann man es sagen. Wenn bestimmte Branchen die Preise anziehen, erhöht das die Kosten für andere Branchen. Diese reagieren ebenfalls mit Preissteigerungen. Wenn der Preis für Mehl oder Gas steigt, erhöht zum Beispiel der Bäcker seine Preise. Wenn man so über Inflation nachdenkt, stellt sich die Frage, welche Branchen denn besonders wichtig sind für die gesamtwirtschaftliche Inflation.

Und welche sind das?
Wir konnten insgesamt acht Branchen für die USA ermitteln, die besonders systemisch relevant sind für die Preisentwicklung in allen anderen Branchen. Am allerwichtigsten sind hier fossile Energien, also die Bereiche „Petroleum- und Kohleerzeugnisse“ sowie „Öl- und Gasextraktion“…

Das ist sehr naheliegend…
Ja, das Hochschnellen der Gas- und Ölpreisen hat viele Menschen und Firmen hart getroffen. Daneben gibt es aber noch Bereiche wie „Wohnen“, „Chemie“, „Lebensmittel, Getränke und Tabakwaren“, „Transportwesen“, „Großhandel“ oder „Landwirtschaft“. All diese Bereiche haben massiven Einfluss auf die Preise in anderen Branchen – oder direkt auf die Inflation für Verbraucher.

Wie misst man das?
Wir haben Schocks simuliert für alle Sektoren einer großen volkswirtschaftlichen Input-Output-Tabelle für die USA – also was kommt in einen Sektor rein, was kommt raus und welche anderen Sektoren verwenden das. Und dann haben wir zwei Dinge getan: Wir haben zum einen berechnet, wie dieser Schock in Vor-Corona-Zeiten durchschnittlich ausgesehen hätte. Und dem haben wir gegenübergestellt, wie sich die Preise im Corona-Schock entwickelt haben. Dabei kam raus, dass es große Überschneidungen gibt, welche Preise von großer Bedeutung für die Preisstabilität in der ganzen Wirtschaft sind. Es gibt also „strukturelle Vulnerabilitätspunkte“ – oder anders gesagt, systemisch relevante Preise, die andere Preise nach oben ziehen.

Isabella Weber

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Sie haben das jetzt für die USA untersucht. Was lässt sich daraus denn für Europa und Deutschland ableiten?
Das ist die große Frage, die wir gerade auch beantworten wollen. Es gibt letztlich drei Komponenten, die diese Ergebnisse bestimmen. Zum einen, in welcher Position ein Input-Faktor in der Wertschöpfungskette angesiedelt ist. Da kann es zwischen verschiedenen Ländern große Unterschiede geben. Allgemein erwarte ich aber, dass Dinge wie Öl oder Gas auch in Deutschland extrem systemrelevant sind – selbst wenn wir hier mehr erneuerbare Energien haben. Das zweite sind Preisbewegungen – nicht alle Preise bewegen sich gleich viel. Die Preisbewegungen dürften ähnlich sein, insofern es Weltmarktpreise sind – vor allem bei Öl und Gas.

Und drittens?
Geht es um die Bedeutung, die ein Sektor für die Ausgaben der Verbraucher hat. Da spielt zum Beispiel der Häusermarkt eine wichtige Rolle. Sowohl in Deutschland und den USA geben Menschen einen großen Teil ihres Einkommens fürs Wohnen aus. Es kann aber sein, dass die Immobilienwerte in Deutschland stabiler sind. Damit wäre auch die Auswirkungen auf die Inflation insgesamt geringer.

Es klingt so, dass vor allem die besonders notwendigen Produkte diese Kaskadeneffekte auslösen. Das würde implizieren, dass ärmere Menschen davon besonders stark betroffen sind, weil sie den Preissteigerungen kaum ausweichen können. Ist das richtig?
Ja, der Verdacht liegt nahe – und einige Studien für Deutschland weisen schon in diese Richtung. Wir wollen uns das bald in einem eigenen Papier systematisch anschauen. Dafür würden wir dann einkommensspezifische und gruppenspezifische Inflationsraten betrachten, zum Beispiel für People of Color in den USA.

Lassen sich denn aus dem ersten Inflations-Paper schon konkrete Empfehlungen auskoppeln?
Ja, es gibt bestimmte Sektoren, die für Inflation besonders wichtig sind. Das heißt auch, dass wir für diese Sektoren über Dinge wie aktive Preisbeobachtung nachdenken sollten. Das passiert schon heute, aber viel oberflächlicher als Teil der Inflationsberechnung und nicht als Frühwarnsystem. Das würde uns erlauben auf Schocks zu reagieren, sobald sie sich abzeichnen, anstatt zu warten bis Preisschocks in einzelnen Sektoren auf andere Sektoren auswirken und Inflation auslösen können.

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Das riecht schon nach der nächsten staatlichen Intervention in den Markt – ähnlich wie beim Gaspreisdeckel. Sie wurden zuletzt auch vom „Makroökonom“ in eine Reihe von Ökonomen gestellt, die die „Rückkehr des Staates“ fordern. Sehen Sie sich richtig eingeordnet?
Ich verstehe, dass viele Menschen gerne mit Dichotomien arbeiten – hier sind die Marktökonomen, da sind die staatsorientierten Ökonomen. Mir geht es aber eher darum, dass man den Markt als Frühwarnsystem nutzt. Eine starke Preisbewegung deutet auf eine große Schieflage in einem Markt hin. Wenn sich ergibt, dass ein staatlicher Eingriff dazu beitragen kann, die Schieflage zu korrigieren – wie es zum Beispiel mit den Anstrengungen neue Gasquellen aufzutun gegenwärtig passiert, dann ist das gewissermaßen ein kleinerer Eingriff als mit schnellen Zinserhöhung die Inflation einzudämmen und eine Rezession auszulösen. Die Zinserhöhung trifft pauschal alle Unternehmen und Haushalte. Preisbremsen wie die Gaspreisbremse können dabei Zeit kaufen für die Maßnahmen, die die Marktschieflage korrigieren. Es geht für mich also nicht darum, dass der Staat mit dem Hammer auf irgendwelche Branchen draufhaut, sondern die Dynamiken des Marktes versteht und möglichst zielgenau interveniert – dass er also nicht nur den Hammer der Zinserhöhung in der Hand hält.

An einem dieser Bereiche – dem Energiemarkt – haben Sie mit dem Deckel auch aktiv mitgewirkt. Jetzt fallen die Strom- und Gaspreise. Für manche ist der Deckel dadurch schon obsolet. Wie blicken Sie auf diese Entwicklung?
Die Strom- und Gaspreisbremse ist als Versicherung weiterhin wichtig. Sie verursacht ja keine Kosten für den Staat, wenn der Preis unter den Deckel fällt. Auf der anderen Seite bietet sie Haushalten und Unternehmen Planungssicherheit. Das ist wiederum gut für die Konjunktur, weil die Menschen ihren Konsum und Unternehmen ihre Investitionen nicht mehr aus Angst vor unberechenbaren Gaspreisen einschränken. Ich hätte mir zwar gewünscht, dass das Instrument schon früher, also noch vor dem Preishoch im August gekommen wäre – aber das zeigt noch einmal, wie wichtig ein Frühwarnsystem für Preisexplosionen in systemisch relevanten Bereichen wäre. Die Bundesbank geht übrigens davon aus, dass die Gaspreisbremse die Inflation um 1,5 Prozentpunkte senkt und da sind die ganzen indirekten Effekte auf die ich verwiesen habe nicht mit eingerechnet. Das ist ein wichtiger Beitrag zur Preisstabilisierung und wird auch die Inflationserwartungen abmildern und etwas Druck von der EZB nehmen.

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