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Kanzler gibt Regierungserklärung: Scholz demonstriert Gelassenheit, Schelte für Baerbock

Vor dem EU-Gipfel erklärt sich Olaf Scholz im Bundestag. Der Bundeskanzler zeigt sich in der Ukraine-Frage entschlossen - gegenüber Putin und seinen Kritikern gleichermaßen. Es ist auffällig, dass an seiner Stelle Außenministerin Baerbock in den Fokus der Opposition rückt.

Der Bundestag will an diesem Mittwoch über Krieg und Frieden debattieren, die gewaltigen Herausforderungen des Flüchtlingszustroms besprechen und den drohenden Subventionswettlauf mit den USA analysieren. Doch bevor es losgeht, muss Parlamentspräsidentin Bärbel Bas noch andere düstere Themen ansprechen: Die Abgeordneten erheben sich im Gedenken an ihren Ende Januar mit 64 Jahren verstorbenen CDU-Kollegen Gero Storjohann. Und wo die Damen und Herren nach einer Gedenkminute gerade stehen, kommt Bas auf das verheerende Erdbeben in Syrien und der Türkei zu sprechen. Der Bundestag bekundet sein Entsetzen. Die vor Gipfeltreffen des Europäischen Rates üblichen Regierungserklärungen des Bundeskanzlers hatten schon denkbar fröhlichere Rahmen, selbst in schweren Zeiten.

"Wir sind erschüttert über die Toten und Verletzten, über so viel Leid und Zerstörung", beginnt auch Olaf Scholz seine Rede und sichert den Menschen in der Erdbebenregion Deutschlands Hilfe zu. Leid und Zerstörung sind auch die traurige Brücke zu einem der zentralen Themen seiner Ansprache: die "menschgemachte Katastrophe" in der Ukraine, deren Bewohner "seit zwölf quälend langen Monaten tagtäglich Furcht vor neuen Angriffen" haben. Rund drei Wochen vor dem ersten Jahrestag der russischen Invasion in die Ukraine versichert Scholz erneut: "Putin wird seine Ziele nicht erreichen - auf dem Schlachtfeld nicht und auch nicht durch einen Diktatfrieden." Die Europäische Union werde ihre Russlandsanktionen zum Jahrestag der Invasion noch einmal verschärfen.

Scholz' Erklärung richtet sich nicht nur an den russischen Präsidenten, auch für Koalitionspartner, Opposition und Medien sowie die Regierungen verbündeter Länder hat der deutsche Regierungschef eine Nachricht. Die Bundesregierung gehe in der Ukraine stets geschlossen vor. "Diesen Zusammenhalt wahren und stärken wir, indem wir Entscheidungen zunächst vertraulich vorbereiten und erst dann kommunizieren", sagt Scholz. "Was unserer Geschlossenheit hingegen schadet, ist ein öffentlicher Überbietungswettbewerb nach dem Motto: Kampfpanzer, U-Boote, Flugzeuge - wer fordert mehr? Was schadet, sind markige innenpolitische Statements und Kritik an Partnern und Verbündeten auf offener Bühne." Und weiter: "Jede Dissonanz, jede Spekulation über mögliche Interessensunterschiede nutzt einzig und allein Putin und seiner Propaganda."

Die Kritik am "Bremser" wird leiser

Nun stellt sich die Frage, wem der Bundeskanzler alles zu schweigen empfiehlt in Zeiten des Krieges, wo doch Medien und Opposition eine Regierung grundsätzlich in Frage zu stellen haben. Doch seit das Kanzleramt sich doch noch zur Lieferung von Leopard-Kampfpanzern an die Ukraine durchgerungen hat, ist es um Deutschland herum verdächtig still geworden. Berlin muss weitere potenzielle Leopard-Lieferstaaten in Europa erst mühsam abtelefonieren. Deutschland als Bremser einer sonst startbereiten, breiten Leopard-Koalition: Dieses im In- und Ausland verbreitete Bild hat Risse bekommen. Das von Scholz' geprägte Bild, alle Entscheidungen fielen in Absprache mit den Verbündeten, allerdings auch. Sonst wäre die konkrete Lieferbereitschaft der EU-Partner im Vorfeld der Entscheidung abgeklopft worden.

Es fällt dennoch auf, dass sowohl Oppositionsführer Friedrich Merz als auch der Grünen-Politiker Anton Hofreiter, der in der Panzerfrage über Monate Scholz' Zögerlichkeit kritisiert hatte, das Thema nur streifen. "Ich möchte mit Ihnen allen zusammen heute nur hoffen, dass wir nicht eines Tages in der Rückschau sagen müssen 'Das war zu wenig und das war zu spät'", sagt Merz. Die Bundesregierung habe in der Panzerfrage bis vor zwei Wochen "gebremst und gezögert". Schärfer fällt Merz Kritik am Umgang mit dem Sondervermögen zur Ertüchtigung der Bundeswehr aus, das bis heute kaum ausgegeben worden sei. Hofreiter sagt, die Liefer-Entscheidung sei "gut und richtig". Die russische Frühlingsoffensive stehe "kurz bevor", um so schneller müsse nun die Ausbildung und Munitionsproduktion vorankommen.

Baerbock in der Kritik

Weniger einig sind sich Merz und Hofreiter mit Blick auf Außenministerin Annalena Baerbock. Die Grünen-Politikerin hatte während einer Debatte in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates europäische Geschlossenheit angemahnt und auf Englisch formuliert: "Wir kämpfen einen Krieg gegen Russland und nicht gegeneinander." Merz findet Baerbocks "unbedachte Äußerungen" in "hohem Maße verstörend". Baerbock dürfe sich nicht wundern, wenn dieser Satz Eingang findet in die russische Propaganda. Hofreiter pariert, Merz bediene mit seiner Kritik russische Narrative. Grünen-Fraktionschefin Katharina Dröge verteidigt Baebrock auf ähnliche Weise.

SPD-Vertreter sparen das Thema in der Debatte lieber ganz aus. Gleich zwei ausführliche Berichte im "Spiegel" und der "Zeit" haben in den vergangenen Tagen das Nicht-Verhältnis zwischen Baerbock und Scholz beleuchtet: Der Austausch zwischen den beiden sowie zwischen Auswärtigem Amt und Kanzleramt gehe gegen Null. Wie die "Zeit" recherchierte, soll Baerbock in den vergangenen Monaten bei Gesprächen mit den Außenministern der USA und Großbritannien erst den Eindruck erweckt haben, Deutschland könne einer Export-Freigabe der Leoparden zustimmen, während Scholz längst nicht so weit gewesen sei. Das habe dazu geführt, dass schließlich Washington den Druck auf Berlin in dieser Frage erhöhte. Das Kanzleramt wiederum habe Baerbocks Haus im Unklaren darüber gelassen, dass Scholz die Leopard-Lieferung an eine Bereitstellung amerikanischer Abrams-Panzer knüpfe.

AfD und Linke empört

Die Opposition am linken und rechten Rand des Plenums greift den Zwist in der Ampel ebenfalls nicht auf. Die Kritik von AfD und Linkspartei ist grundsätzlicherer Natur. AfD-Fraktionschefin Alice Weidel wirft Baerbock mit Blick auf ihr missglücktes Zitat in Straßburg "Dilettantismus" vor. Scholz mache mit seinen Waffenlieferungen "Deutschland zur Zielscheibe, während die US-Rüstungsindustrie in sicherer Entfernung glänzende Geschäfte macht". Amira Mohamed Ali von der Linkspartei kritisiert Baerbocks Leoparden-Witz bei einer Karnevalsveranstaltung und wirft ihr "eine entsetzliche Verniedlichung des Krieges" vor. Es sei falsch, dass die Bundesregierung weiter daran festhalte, "dass Russland militärisch besiegt werden soll". Das sei unrealistisch. "Was wir brauchen, ist eine diplomatische Offensive", sagt Mohamed Ali.

Weitere Schwerpunktthemen der Debatte sind die Asyl- und Migrationspolitik der EU sowie der Umgang mit dem amerikanischen Inflation Reduction Act. Scholz verspricht einen Mittelweg aus gezielter Zuwanderung zur Behebung des Fachkräftemangels bei gleichzeitig entschiedenerer Abschiebepolitik. "Wer kein Bleiberecht hat, muss Deutschland verlassen", sagt der Bundeskanzler unter höhnischem Gelächter aus den Reihen der AfD-Fraktion. Scholz führt hierfür ein Rücknahmeabkommen an, das mit Indien geschlossen wurde und auf das weitere folgen würden. Die seit Jahren blockiert Reform der europäischen Asylpolitik könne noch in der laufenden Legislaturperiode gelingen.

Merz fordert umfassende Hilfe für Städte, Gemeinden und Kommunen. Bundesinnenministerin Nancy Faeser sei in Gedanken schon mehr beim Wahlkampf in Hessen als in ihrem Amt in Berlin. "Herr Bundeskanzler, das ist jetzt eine Aufgabe für Sie, für Sie persönlich", sagt Merz. Weitere gezielte Zuwanderung sei zudem nicht möglich, das gebe die Infrastruktur - Kitas, Schule und Wohnraum - derzeit einfach nicht her.

Mit Blick auf die USA, wo US-Präsident Joe Biden die Transformation der Industrie hin zu erneuerbaren Energien mit massiven Subventionen für heimische Produkte beschleunigen will, warnt Scholz vor "Kassandrarufen". Europa besitze die wirtschaftlichen Voraussetzungen und die Förderinstrumente, um einer Abwanderung der Industrie in die USA zuvorzukommen. "Europa braucht sich nicht zu verstecken", sagt Scholz mit Blick auf die milliardenschweren Kredit- und Förderprogramme, die Brüssel aufgestellt hat. Auch diesem Thema begegnen die Redner der Oppositionsparteien mit Kritik und Skepsis. Zumindest müssen sie bei Fragen von Asyl- und Wirtschaftspolitik nicht befürchten, dass der Bundeskanzler ihnen hernach vorwirft, öffentlich vorgetragene Kritik spiele nur einem äußeren Feind in die Karten.