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Katharine Neiss: Warum der Klimawandel den Kampf gegen die Inflation erschwert

Die derzeitige Energiekrise heizt die Inflation an. Doch nicht nur die Abkoppelung von Russland treibt die Energiekrise, auch die Erderwärmung hat Einfluss auf den Preisauftrieb. Katherine Neiss über den Zusammenhang zwischen Klimawandel und Inflation

Katharine Neiss, Europäische Chefvolkswirtin PGIM Fixed Income

Katharine Neiss, Europäische Chefvolkswirtin PGIM Fixed Income

© PR

Russlands Einmarsch in die Ukraine hat Europas Bestreben nach einer „strategischen Unabhängigkeit“ neuen Antrieb verliehen, zu der auch – und dies ganz entscheidend – eine Abkehr von russischer Energie gehört.

Der Übergang zu einer Green Economy ist gleichzeitig in den Mittelpunkt gerückt, um nicht nur die Klimaziele der EU zu erreichen, sondern auch ihre Energieautarkie zu erhöhen. Dieses Ziel wird sich aber nicht von heute auf morgen erreichen lassen. Vielmehr wird sich der Übergang zu einer klimaneutralen Energieversorgung in den kommenden Jahrzehnten vollziehen, allerdings vermutlich beschleunigt durch den jüngsten Konflikt.

Im Zuge der Transformation zur Klimaneutralität ist mit Folgen für die Inflation im Euroraum und mit Auswirkungen auf die Geldpolitik zu rechnen. Kurz gesagt, die physischen Auswirkungen des Klimawandels und die Strategien zur Eindämmung des Klimawandels werden die Aufgabe der EZB, Preisstabilität zu erreichen, noch weiter erschweren.

Erhöhte Inflationsschwankungen

Welche Faktoren spielen in dieser Hinsicht noch eine Rolle? Extreme Wetterereignisse treten immer häufiger und mit zunehmender Wucht auf. Dies wirkt sich auf die Preise in zahlreichen Bereichen aus, darunter Lebensmittel, Energie und Lieferketten und führt so zu einer stärker schwankenden Inflation.

Eine Studie der EZB zeigt auch, dass außergewöhnlich heiße Sommer in den Schwellenländern innerhalb eines Quartals zu einem Anstieg der Lebensmittelpreise um etwa 1,5 Prozent führen können. Selbst wenn die Untersuchung keine bedeutenden Effekte für die Volkswirtschaften der Industrieländer ergeben hat, kann die Entwicklung in den Schwellenländern durchaus als Vorbote der Entwicklung in den Industrieländern interpretiert werden. Laut Angaben der EZB wird sich die Inflation im Euroraum etwa um 0,3 Prozent erhöhen, da dort der Anteil der Lebensmittel im Warenkorb geringer ausfällt.

Dani Parthum

Sie ist wieder da, die Inflation, wie zuletzt in den 1970er Jahren. Es sieht so aus, als ob sie eine Weile bliebe. Inflation ist aber nicht gleich Inflation! Hilfreich ist der Blick auf die persönliche Inflationsrate

Klimabedingte Anstiege der Energiegroßhandelspreise könnten ebenfalls zu erhöhten Preisschwankungen beitragen. Als Europa im Januar 2017 von außergewöhnlich kaltem Wetter heimgesucht wurde, stieg die Gasnachfrage im Vergleich zum Vorjahr um 20 Prozent. Die Gesamtinflation in der Eurozone nahm damit um 0,6 Prozent zu. Die jüngsten Erfahrungen mit niedrigen Energievorräten in Europa und den eskalierenden Spannungen mit Russland haben deutlich gezeigt, wie empfindlich die Gesamtinflation auf große und plötzliche Schwankungen der Energiepreise reagiert. Darüber hinaus können extreme Wetterereignisse zu temporären Schäden an der Infrastruktur führen und kurzfristige Versorgungsengpässe auslösen.

Ausgleich der höheren Energieinflation

Zwar ist der Einfluss des Energiesektors auf die Gesamtinflation im Euroraum in den letzten zwei Jahrzehnten gesunken, doch dieser Trend dürfte sich nun umkehren. Grund dafür ist der Beginn der Regierungen, für Emissionen Gebühren zu erheben. Schätzungen gehen davon aus, dass die Kohlenstoffpreise erheblich steigen müssen, um die Zielvorgaben für die Reduzierung der Kohlenstoffemissionen zu erreichen. Energie macht einen relativ großen Teil des Warenkorbs aus, so dass höhere Energiekosten die Inflation erheblich ankurbeln dürften.

Ein Anstieg des CO2-Preises im EU-Emissionshandel (European Union Emissions Trading System, EU ETS) um 10 Euro/Tonne würde die Energiepreisinflation im Folgemonat unserer Analysen nach um 0,3 Prozent erhöhen. Im vergangenen Jahr stieg der CO2-Preis im Rahmen des ETS um rund 50 Euro/Tonne, so dass dieser Effekt bis zu 1,5 Prozent zur Energieinflation beigetragen haben könnte. Bei einer vollständigen Weitergabe hätte dies eine um 0,15 Prozent erhöhte Gesamtinflation zur Folge gehabt, da Energie etwa 10 Prozent des Warenkorbs ausmacht.

Sollten die Regierungen die CO2-Zertifikate reduzieren oder das Emissionsprogramm weiter ausbauen, könnte die Inflation sogar noch höher ausfallen als beschrieben. In einem solchen Fall stünde die EZB vor einer schwierigen Abwägung: Um die höhere Energieinflation auszugleichen und Preisstabilität zu gewährleisten, müsste sie die im Inland erzeugte Inflation eindämmen.

Unsicherheit könnte die Risikobereitschaft dämpfen

Auf lange Sicht sollte der ökologische Wandel Innovation und Wachstum anregen. Die Zentralbanken würden eine solche Entwicklung begrüßen, denn das schwache Wachstum seit der globalen Finanzkrise hat den Spielraum für Zinssenkungen eingeschränkt. In der Folge setzten sie daher auf unkonventionelle Maßnahmen.

Während des Übergangszeitraums könnte jedoch eine höhere öffentliche Verschuldung zur Finanzierung dieses ökologischen Wandels private Investitionen verdrängen. Erhöhte Unsicherheit aufgrund der physischen Auswirkungen des Klimawandels oder der Ungewissheit in Bezug auf die Regulierung würden die Investitionen weiter dämpfen. Die physischen Auswirkungen des Klimawandels und der Übergangsphase könnten dazu führen, dass große Teile des bestehenden Kapitalstocks als veraltet abgeschrieben werden müssen, was sich wiederum negativ auf die Produktivität und das Wachstum auswirkt.

Zu viel des Guten: Was passiert, wenn die EZB die Zinsen weiter anhebt?

Die EZB hat angekündigt, die Zinsen weiter zu erhöhen, um die Inflation im Zaum zu halten. Doch das könnte auch die Rezession befeuern. Gehen die Zentralbanker womöglich zu weit?

Erhöhte Volatilität und Unsicherheit könnten wiederum die Planungsfähigkeit von Haushalten und Unternehmen beeinträchtigen. Dies würde zu suboptimalen Spar- und Investitionsentscheidungen führen. Ganz allgemein könnte ein unsicheres und volatiles Umfeld die Risikobereitschaft verringern, da die Anleger sichere Anlagen suchen – was das Wachstum und die realen Zinssätze weiter dämpfen würde. Niedrige Realzinsen sind eine bekannte Herausforderung für die politischen Entscheidungsträger. Sie erhöhen die Wahrscheinlichkeit, dass sich die Zentralbank mittelfristig wieder an der Nullzinsgrenze wiederfindet, wo sie nur begrenzte Handlungsmöglichkeiten hat.

Glaubwürdigkeit der Zentralbank in Gefahr

Volatilere Lebensmittel- und Energiepreise sowie Unterbrechungen der Versorgungskette könnten es also der EZB erschweren, die zugrundeliegenden Inflationstrends zu erkennen und ihrer Aufgabe der wirtschaftlichen Stabilität nachzukommen. Häufige und große Abweichungen vom Inflationsziel könnten zudem ihre Glaubwürdigkeit beeinträchtigen. Politische Entscheidungsträger könnten damit, wie wir es während der Pandemie gesehen haben, den Kerninflationswerten mehr Bedeutung beimessen.

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass ein höherer Beitrag der Energiepreise unter sonst gleichen Bedingungen die Gesamtinflation erhöhen würde. Die EZB befände sich dann in der wenig beneidenswerten Lage, die Geldpolitik straffen zu müssen, um die höhere Energiepreisinflation auszugleichen. Dies könnte in der Übergangsphase mit hohen wirtschaftlichen Kosten verbunden sein. Die Alternative dazu wäre, eine über dem Zielwert liegende Inflation für eine gewisse Zeit zu tolerieren, was wiederum die Glaubwürdigkeit der Zentralbank untergraben könnte.

Eine höhere Inflation und Unsicherheit aufgrund des Klimawandels verschärfen also das bestehende Umfeld, während sich die Volkswirtschaften von der Pandemie erholen und von Russland abkoppeln. In einem solchen Umfeld werden die Anleger aller Voraussicht höhere Risikoprämien verlangen.

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