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Kaum neue Windräder, aber Gas-Deal mit Katar - Haben die Grünen ihre Ideale verraten, Frau Lang?

Sie ist die mit Abstand jüngste Teilnehmerin bei den Spitzentreffen der Ampel-Koalition: Ricarda Lang (28) führt seit Februar zusammen mit Omid Nouripour (47) die Grünen, verhandelt regelmäßig mit Kanzler Olaf Scholz (64, SPD) und Finanzminister Christian Lindner (43, FDP). In BILD am SONNTAG zieht sie Bilanz nach einem Jahr Ampel.

BILD am SONNTAG: Frau Lang, welche Note geben Sie der Ampel?

Ricarda Lang: „Das müssen die Bürgerinnen und Bürger bewerten.“

Angesichts der niedrigen ­Zufriedenheit mit der Ampel in den Umfragen ist das ­maximal eine schlechte 4.

Lang: „Putins Angriffskrieg hat alles schwieriger gemacht, für die Regierung, aber vor allem für die Menschen. Wir haben es trotzdem geschafft, die Gasspeicher zu füllen, wir haben das Kindergeld erhöht, Rentner entlastet, die Gas- und Strompreisbremsen kommen jetzt. Das Land ist gut aufgestellt für den Winter. Wir kriegen das hin.“

Wissen Sie, wie viele Windkraftanlagen 2022 ans Netz gegangen sind?

Lang: „Nicht die genaue Zahl.“

Bis einschließlich Juli lag der Nettozubau bei gerade mal 157 neuen Turbinen. Ist Ihnen das nicht peinlich?

Lang: „Das ist viel zu wenig. Allerdings dauert es mehrere Jahre, bis ein Windrad ans Netz geht, das heißt: Ja, das ist ziemlich ­peinlich für die Vorgänger­regierung. Ich kann Ihnen versprechen, künftig geht der Ausbau schneller voran. Denn jedes Bundesland muss jetzt bei der Energiewende mitmachen, wir haben bundesweit zwei Prozent der Fläche für Windräder fest­geschrieben. Und wir beschleunigen die Planungsprozesse. Dass wir in sechs Monaten ein LNG-Terminal gebaut haben, zeigt, wozu wir in der Lage sind. Das muss jetzt auch für jedes Solarpanel, jedes Windrad gelten.“

Lang beim Interview mit den BILD am SONNTAG Redakteuren Thomas Block und Angelik Hellemann

Foto: ©Niels Starnick/Bild/BamS

Aktuell vergehen fünf bis sieben Jahre, bis ein Windradprojekt umgesetzt wird. Wie schnell soll es künftig gehen?

Lang: „Das Ziel ist, dass wir diese Zeit mindestens halbieren. Bis zur nächsten Bundestagswahl werden wir deutlich mehr Windkraftanlagen bauen. Hier muss die Bürokratie endlich hintenanstehen.“

Deutschland hat gerade mit Katar, wo Menschenrechte mit Füßen getreten werden, einen Gasdeal bis 2041 abgeschlossen. Verraten die Grünen ihre Ideale?

Lang: „Wir müssen unabhängig werden vom Kriegsverbrecher Putin. Deshalb führt kein Weg daran vorbei, unsere Gasversorgung auf unterschiedliche Lieferanten zu verteilen. Und ja, da gibt es dann auch Dinge, die mich nicht jubeln lassen. Entscheidend ist aber, dass diese neuen Verträge dem Ziel nicht ent­gegenstehen, dass wir spätestens 2045 klimaneutral sind. Und das tut dieser Vertrag nicht, denn er ist geschlossen zwischen Katar und einem amerikanischen Unternehmen, nicht der Bundesrepublik. Wir sind ­also nicht verpflichtet, das Gas abzunehmen.“

Klar ist: Dieses und nächstes Jahr wird Deutschland die Klima­ziele reißen. Sind den Grünen am Ende Arbeitskräfte wichtiger als das Klima?

Lang: „Richtig ist, dass wir Grüne gerade ganz viel tun, um Arbeits­plätze zu retten und den Industriestandort zu schützen. Aber der Widerspruch ist künstlich: Klima­schutz schafft Jobs. Es gibt einen internationalen Wett­bewerb um die Frage, in welchem Land sich die grünen Technologien ansiedeln. Die USA pumpen gerade riesige Investitionen in erneuerbare Energien und Infrastruktur. In diesem Spiel müssen wir mit­mischen.“

Wollen Sie sagen, dass Deutschland mehr Geld in Erneuerbare Energien stecken soll?

Lang: „Wir können nicht zusehen, wie in den USA Milliarden investiert werden, und wir stehen am Spielfeldrand. Es braucht 100 Milliarden mehr für Investitionen in Klimaschutz und Transformation, etwa durch eine Aufladung des Klima- und Transformationsfonds. So sichern wir unsere wirtschaftliche Zukunft.“

Die Wirtschaftsweisen stellen Ihnen ein schlechtes Zeugnis aus. Die kritisieren die Hilfen per Gießkanne, fordern höhere Steuern für Reiche. Wie fühlt es sich an, ausgerechnet von diesem Gremium sozialpolitisch überholt zu werden?

Lang: „Ich freue mich über den Denkanstoß. Die Frage, wie viel starke Schultern in dieser Krise tragen können, ist wichtig für den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Wir werden diese Debatte im nächsten Jahr führen müssen. Ich finde: Deutschland muss gerechter werden.“

Was wollen Sie im nächsten Jahr am dringendsten durchsetzen?

Lang: „Den Kohleausstieg in ganz Deutschland auf 2030 vorziehen. Die nächsten Schritte Richtung Kindergrundsicherung gehen. Und der Ausbau der Schiene muss schneller vorankommen. Wenn die Menschen sich nicht auf die Bahn verlassen können, wird das nie was mit der Einhaltung der Klimaziele im Verkehrssektor. In einem modernen Land wie Deutschland muss eine pünktliche Bahn drin sein.“

Verkehrsminister Wissing drängt auf eine Überarbeitung des Klimaschutzgesetzes, will kein starres Klimaziel mehr für den Sektor Verkehr. Machen Sie da mit?

Lang: „Jedes Kindergartenkind weiß: Wenn fast alle versuchen, gemeinsam aufzuräumen, während manche weiter Bauklötze durch den Raum werfen, wird das nichts. Anders gesagt: Jeder Sektor muss überprüfbar seinen Beitrag leisten, sonst werden wir nicht genug CO2 einsparen. Das gilt auch für den Verkehr.“

Wie sehr geht Ihnen die FDP gerade auf die Nerven?

Lang: „Heute? Gar nicht.“

Foto:

Und in den letzten Monaten?

Lang: „Es wäre sicher besser gewesen, wenn wir manche Debatte nicht in der Öffentlichkeit ausgetragen hätten. Da können wir im nächsten Jahr besser werden.“

Dieser Artikel stammt aus BILD am SONNTAG. Das ePaper der gesamten Ausgabe gibt es hier.

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