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Kein Staatsgeld mehr für Kirchen? Jetzt gerät der Plan der Ampel ins Wanken

Es gibt sie, die Themen, bei denen sich die Ampel-Parteien völlig einig sind. So wollen sie ein Ende damit machen, dass aus staatlichen Haushalten von 14 Bundesländern – Hamburg und Bremen sind nicht dabei – Jahr für Jahr hohe Millionenbeträge an die Kirchen gezahlt werden. „Wir schaffen“, heißt es in einer unstrittigen Passage des Koalitionsvertrags, „in einem Grundsätzegesetz im Dialog mit den Ländern und den Kirchen einen fairen Rahmen für die Ablösung der Staatsleistungen.“

Doch hierbei droht nun der Dialog mit den Ländern zu scheitern. Sie sind nicht bereit, die bisherigen Pläne der Bundesregierung zur Beendigung jener Zahlungen mitzutragen. „Alle 14 betroffenen Bundesländer sind sich einig, dass auf den aktuellen Vorhaben zur Ablösung der Staatsleistungen kein Segen liegt“, sagte der Leiter der niedersächsischen Staatskanzlei, Jörg Mielke, WELT. Niedersachsen hat derzeit den Vorsitz der Ministerpräsidenten-Konferenz inne, und deren Haltung zu dem Thema hat Ministerpräsident Stephan Weil in dieser Woche Bundesinnenministerin Nancy Faeser (beide SPD) in einem Telefonat dargelegt.

Staatsleistungen sind nicht die Mitgliedsbeiträge von Katholiken oder Protestanten in Form ihrer Kirchensteuern. Es sind auch nicht die Leistungserstattungen, die Kommunen oder Sozialkassen den kirchlichen Kitas oder Krankenhäusern und Pflegeheimen zahlen. Vielmehr handelt es sich um zusätzliche jährliche Zahlungen aus den allgemeinen Länderhaushalten und somit um Steuergeld aller Bürger auf der Basis von jahrhundertealten Vertragsbeziehungen. Die haben – immer wieder erneuert und finanziell dynamisiert – dazu geführt, dass 2022 aus den Ländern insgesamt 602 Millionen Euro an die katholischen Bistümer und evangelischen Landeskirchen flossen.

Jahr für Jahr wird es mehr. Die regionalen Unterschiede sind groß. An der Spitze liegt Baden-Württemberg, das im vergangenen Jahr 137 Millionen Euro zahlte, dann folgt Bayern mit 103 Millionen. Im Saarland ist es am wenigsten: 840.000 Euro.

Regelungen gehen teilweise bis ins 16. Jahrhundert zurück

Im katholischen Bereich gehen die Zahlungen auf die napoleonischen Kriege zurück. Als alle deutschen Gebiete westlich des Rheins an Frankreich abzutreten waren, durften sich ab 1803 die davon betroffenen Fürsten im alten Deutschen Reich zur Entschädigung kirchlichen Besitz aneignen – und mussten zum Ausgleich der Kirche Geld für die Bezahlung von Geistlichen zukommen lassen. Daraus wurden dauerhafte Verträge.

Bei den Protestanten geht es bis ins 16. Jahrhundert zurück. Als nach der Reformation Klöster aufgelöst und Bischöfe abgesetzt wurden, fielen große kirchliche Güter an die Landesherren. Die übernahmen dafür aus eigenen Mitteln die Versorgung vieler Geistlicher und den Erhalt von Kirchengebäuden. Diese Unterstützung wurde im 19. Jahrhundert in Verträge überführt.

Seither haben beide Kirchen Anspruch auf Staatsleistungen, deren Grundlagen trotz zahlreicher Überarbeitungen nie infrage gestellt wurden. Auch nicht 1919, bei der Gründung der Weimarer Republik. Aber deren Verfassung legte fest – und diese Passage wurde 1949 ins Grundgesetz übernommen –, dass die Zahlungen beendet, genauer: „abgelöst“ werden. Das heißt nach Ansicht vieler Juristen, dass es vor der Beendigung eine größere Einmalzahlung geben muss.

Die Grundsätze dafür beschließt laut Weimarer Verfassung das Reich, heute der Bund. Auf dieser Basis sollen dann die Länder die Einzelheiten in eigenen Gesetzen und Verhandlungen mit den Kirchen klären. Aber in der Weimarer Republik gab es nie ein Reichs-, in der Bundesrepublik nie ein Bundesgesetz für die Grundsätze. Und somit auch keine Ablösung durch die Länder.

Um jetzt aber den mehr als hundert Jahre alten Verfassungsauftrag endlich zu erfüllen, lud Faesers Bundesinnenministerium im vergangenen Winter Vertreter der Kirchen und der Länder sowie Fachjuristen zu mehreren Gesprächsrunden, in denen zunächst die hoch komplizierte Materie gesichtet werden musste. Anschließend wurden zwar keine Beschlüsse gefasst, aber einige Prinzipien genannt, an denen sich das Ministerium bei der geplanten Ausarbeitung eines Grundsätzegesetzes orientieren könnte.

Weitgehende Einigkeit herrschte in den Runden, dass kommunale Sonderzahlungen sowie staatliche Verpflichtungen für den Unterhalt einzelner Kirchengebäude nicht unter die abzulösenden Staatsleistungen fallen sollen. Auch nicht Steuerermäßigungen.

Und was den großen Rest betrifft, so waren sich die anwesenden Juristen und die Kirchenvertreter prinzipiell darin einig, dass eine Ablösung, wenn man sie denn macht, mit einer großen Einmalzahlung einhergehen muss. Konkretes wurde dazu nicht festgelegt, aber vorzustellen hat man sich dies: Erstens überweisen einmalig die Bundesländer ein Vielfaches ihrer jeweiligen Jahreszahlung an die Kirchen, und zweitens laufen die Jahreszahlungen noch für einige Zeit in ungefähr der bisherigen Höhe weiter. Und dann wäre nach einem oder zwei Jahrzehnten komplett Schluss.

Kirchen haben als Vertragspartner eine ziemlich starke Rechtsposition

Den Einmalbetrag, der sich zwischen dem 17- und 18-Fachen einer Jahreszahlung bewegen könnte, dürften die Länder auch in Raten abstottern. Aber wie auch immer sie es damit halten würden – sie hätten zusätzlich zu den noch einige Zeit weiterlaufenden Jahreszahlungen eine sehr hohe Zusatzbelastung.

Deren Dimensionen kann das hypothetische Beispiel von Rheinland-Pfalz veranschaulichen, das im vergangenen Jahr 66 Millionen Euro zahlte. Eine einmalige Ablösungszahlung mit dem 17-Fachen des Jahresbetrags würde sich auf mehr als 1,1 Milliarden Euro belaufen.

„Es muss gespart werden, das trifft alle Ressorts hart“

Am Rande seines Besuchs in Brasilien äußerte sich Wirtschaftsminister Habeck zum Haushaltsstreit in der Bundesregierung. Habeck verweist darauf, dass die Einhaltung der Schuldenbremse ohne Steuererhöhungen dazu führt, dass die Bundesregierung sparen müsse. Das würde alle Ministerien hart treffen.

Quelle: WELT

Solche Summen wollen die Länder nicht akzeptieren. „Eine Ablösung in Höhe eines 17- oder 18-Fachen der jährlichen Beträge wäre auch mit Ratenzahlungen nicht finanzierbar“, sagte Mielke aus Niedersachsen WELT. „Dies gilt erst recht“, so der Chef der Staatskanzlei weiter, „in Zeiten vieler zusätzlicher finanzieller Verpflichtungen der Länderhaushalte.“

Denkbar zwar ist, dass die Länder versuchen, die Höhe der Einmalzahlung zu drücken oder diese mit Verweis auf die ja schon sehr lange gezahlten Beträge ganz zu kippen. Aber es ist fraglich, ob das möglich ist. Denn es geht ja ums Beendigen von Verträgen. Und dabei haben die Kirchen als Vertragspartner eine ziemlich starke Rechtsposition. Sie sind zwar grundsätzlich zur Ablösung bereit – auch wegen des massiv schwindenden Verständnisses für die Staatsleistungen in der Gesellschaft –, aber möglichst viel Geld wollen sie natürlich herausholen.

Und erbittert feilschen wollen die Bundesländer mit ihnen nicht. Denn, so Mielke: „Die Länder können keinerlei Interesse daran haben, das bewährt gute Verhältnis zu den Kirchen mit Finanzdiskussionen zu belasten.“ Beide Konfessionen leisteten „vielerorts Großartiges im Sozialen und im Bildungsbereich“ – „insbesondere mit ihren Kitas und Schulen“.

Tatsächlich macht gerade dieser Bildungsbereich den Ländern schon genug Sorgen. Da können sie sich einen Finanzstreit mit einem der wichtigsten Träger im Vorschulbereich kaum leisten. Mielke: „Das förderliche Miteinander von Staat und Kirche sollte unbedingt erhalten bleiben.“

Denkbar ist somit, dass die Staatsleistungen auch in Zukunft weiterlaufen. Weil es für die Länder aktuell viel günstiger wäre, pro Jahr einige Zig-Millionen zu zahlen, als einen großen Einmalbetrag aufzubringen, der ihnen die jährlichen Millionen erst viele Jahre später erspart.

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