Germany
This article was added by the user . TheWorldNews is not responsible for the content of the platform.

Kinderpalliativteam Unterfranken: Wie Familien mit unheilbar kranken Kindern ein würdevolles Leben erfahren

Samuel freut sich über den Besuch von Sonja Kneuer. Geduldig lässt der Vierjährige zu, dass die Krankenpflegerin vom Kinderpalliativteam der Malteser in Würzburg sein Herz und seine Lunge abhört. Neugierig spielt er mit dem Stethoskop. Und wirkt glücklich, fast wie ein normaler Junge.   

Was Samuel nicht gleich anzusehen ist: Er hat nur ein halbes Herz. Und es ging ihm nicht immer so gut wie heute. "Er hat schwere Krisen durchgemacht, die Prognosen waren düster", sagt seine Mutter Kerstin. Vom Herzzentrum München ist die Familie aus Rimpar (Lkr. Würzburg) direkt an das Kinderpalliativteam der Malteser verwiesen worden - Samuel war damals in einer ziemlich schlechten Phase.  

Von Anfang an dabei: Seit fünf Jahren leitet Dr. Elke Schellenberger das Kinderpalliativteam 

"Das Palliativteam! Keiner will sie haben", sagt Samuels Mutter offen und spricht über ihre Sorgen, ihre Gefühle. "Werden sie jetzt die Endphase für meinen Sohn einleiten?" Es habe Zeit gebraucht, bis sie spürte, wie wertvoll die Ärzte, Ärztinnen und Pflegerinnen für Samuel und die ganze Familie sein können, sagt die 44-Jährige.

Seit fünf Jahren leitet die Kinder- und Jugendärztin Dr. Elke Schellenberger das Kinderpalliativteam, das nach einem anfangs schwierigen Streit mit den Krankenkassen nun keine Probleme mehr hat, die spezialisierte ambulante Palliativversorgung unterfrankenweit rund um die Uhr zu gewährleisten. Mit zehn Kindern mit lebensverkürzenden Erkrankungen hatte 2017 alles begonnen. Aktuell sind es 50 Kinder, die das Team betreut.  

Mit der Unterstützung des Kinderpalliativteams konnten viele Kinder zuhause sterben

Schmetterlinge an einem Baum erinnern an die 72 Kinder, die in den vergangenen fünf Jahren gestorben sind. In einem Buch sind Fotos und Persönliches von ihnen festgehalten. Dank der Unterstützung durch das Kinderpalliativteam hätten viele Kinder bis zuletzt zuhause, im Umfeld ihrer Familie bleiben können, sagt Elke Schellenberger. "Gäbe es uns nicht, wären viele wohl in der Klinik gestorben." 

"Gäbe es uns nicht, wären viele Kinder wohl in der Klinik gestorben."

Dr. Elke Schellenberger, Leiterin des Kinderpalliativteams Unterfranken

Aber, wie ist das auszuhalten? Wie schafft es das Team daran nicht zu zebrechen? "Ja, wir haben Empathie mit den Familien, aber auch eine professionelle Distanz", sagt die Ärztin. "Und jeder im Kollegenkreis geht unterschiedlich damit um." Manche fänden Halt in der Familie oder im Glauben. Andere würden einen Ausgleich oder Auszeiten brauchen. Für Elke Schellenberger ist es ihr Pferd. 

Der Tod ist für das Kinderpalliativteam nie Routine. "Immer wenn ein Kind stirbt, hält das Team am Tag danach inne und erinnert sich gemeinsam an die Begleitung." Während Corona, als sich alle nur in Videokonferenzen sahen, "wahrlich nicht einfach war", sagt Schellenberger, die selbst schon viele Familien und ihre Kinder in dieser schwierigen Zeit begleitet hat. "Es war gut, dass Sie da waren" - diesen Satz hört sie immer wieder in den Gesprächen danach. "Er motiviert und gibt unserem Tun eine Sinnhaftigkeit." 

Samuels Mutter hat mittlerweile erfahren, welche Sinnhaftigkeit Elke Schellenberger meint. "Uns wurde die Angst genommen", sagt die 44-Jährige und beschreibt den Weg ihrer Familie in ein würdevoll gestaltetes Leben. "Erst nach der ersten Krise bei Samuel habe ich gemerkt, wie gut uns das Kinderpalliativteam durchgeführt hat. Wie sie mit meiner Trauer, meiner Machtlosigkeit umgegangen sind. Und wie sie es ausgehalten haben, meinen Frust anzuhören."  

Das Kinderpalliativteam möchte die Familien ganzheitlich betreuen

Zur Arbeit des Kinderpalliativteams gehört nicht nur die medizinische Versorgung der Kinder. Der Ansatz ist eine ganzheitliche Betreuung, zu der auch ein psychosoziales Team gehört. Es hilft den Familien, sich im Sozialrecht zurecht zu finden, überbrückt mit Dolmetschern Sprachbarrieren - oder beruhigt manche Kinder mit Musiktherapie und bringt sie zum Lächeln.

Und es geht auch um die Geschwisterkinder: "Wir wollen ihnen beistehen und eine Chance geben, zu begreifen", sagt Sozialpädagogin Christine Kroschewski. "Für Samuels großen Bruder war das eine große Hilfe", erzählt seine Mutter. Die Malteser finanzieren diese Unterstützung über viele Einzelspenden. Einen großen Teil trägt die Elterninitiative: "Sie unterstützt uns kontinuierlich", sagt Diözesangeschäftsführer Stefan Dobhan. 

Unterstützt durch Spenden beginnen die Malteser nun auch ein neues Projekt. Hebamme Anette Keck will sich künftig im Kinderpalliativteam hauptsächlich um Mütter kümmern, die bereits während der Schwangerschaft erfahren, dass ihr Kind eine schwerwiegende, lebensverkürzende Erkrankung haben wird. "Wir hatten in den vergangenen Jahren immer wieder Anfragen", erläutert Elke Schellenberger diesen Schritt. Sie gehe davon aus, dass durch die zunehmend gute Pränatal-Diagnostik der Bedarf weiter steigt.  

Wie es für Samuel nun weitergeht und was seine Mutter heute über das Kinderpalliativteam denkt

Anette Keck will bereits ab der Diagnose, noch bevor eine Entscheidung über den weiteren Schwangerschaftsverlauf getroffen ist, die Eltern unterstützen und beraten. Aus ihrer langjährigen Erfahrung in der Würzburger Missioklinik weiß die Hebamme: "Familien haben den Wunsch, ihr Kind nach der Geburt kennenzulernen - egal wie lange es sein mag."   

Lesen Sie auch:

Weil Samuel gerade so stabil und gut drauf ist, will das Kinderpalliativteam in eine Versorgungspause gehen. Seiner Mutter ist das nicht ganz so recht: "Anfangs wollte ich sie nicht haben, jetzt möchte ich nicht, dass sie weg sind", sagt die 44-Jährige über das Palliativteam. "Ich brauche sie als Backup, wenn irgendetwas Schwerwiegendes ist oder ich nicht weiter weiß." Sie schätze vor allem, dass sie rund um die Uhr jemanden vom Kinderpalliativteam erreichen kann. Das soll auch weiterhin gewährleistet sein - nur die wöchentlichen Hausbesuche bei Samuel wird es erst einmal nicht mehr geben.