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Kommentar von Michael Wolffsohn - Die Deutschen brauchen Merkels Russland-Rat nicht!

Vielleicht kennen nicht nur Berliner das scheindoofe „Klopslied“ des berühmten Komponisten Kurt Weill. Darin gibt es diesen Reim:

„Ick kieke, staune, wundre mir,

uff eemal jeht se uff die Tür.“

Ähnlich geht es mir, wenn im übertragenen Sinne die Tür aufgeht und Altkanzlerin Angela Merkel (68, CDU) neuerdings wieder die Bühne betritt, ans Mikrofon tritt, ihre staatsfraulichen „Weisheiten“ verkündet und Empfehlungen ausspricht. Kürzlich hat sie ihrer gebannten Zuhörerschaft Ratschläge erteilt, wie man mit Putin umgehen solle.

Europa brauche eine Sicherheitsarchitektur „auch unter Einbeziehung Russlands“, sagte die Alt-Kanzlerin beim Festakt zu „1110 Jahre Goslar“. Die Deutschen sollten auch „das im Moment so Undenkbare, schier Unvorstellbare mitdenken – nämlich wie so etwas wie Beziehungen zu und mit Russland wieder entwickelt werden können“.

Mich wundert Merkels Mut und befremdet die Demut ihrer Zuhörerschaft sowie vieler Medien, die immer noch im Ton untertäniger Bewunderung jene Diagnosen und Therapievorschläge ernst nehmen.

Wer, wenn nicht Angela Merkel, hat vor allem Deutschland und den Deutschen, auch vielen Europäern, mit ihrer Putin-Politik fundamentalen Schaden zugefügt? Im Amtseid unserer Bundeskanzler heißt es: „Ich schwöre, dass ich meine Kraft dem Wohle des Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden … werde. So wahr mir Gott helfe.“

Ich gehe keinesfalls so weit, zu behaupten, Angela Merkel hätte willentlich ihren Amtseid gebrochen. Nein, nein, bestimmt nicht. Ihre Kraft hat jedoch unbestreitbar nicht gereicht, um Schaden vom Wohle des Deutschen Volkes abzuwenden.

Ich wundere mich jedoch, dass die faktisch gescheiterte Altkanzlerin den Mut und die Chuzpe besitzt, ihren politischen Nachfahren Ratschläge zu erteilen. Wer so krachend wie sie gescheitert ist, besonders in der Russland-und-Ukraine-Politik, setzt besser eine Runde oder ganz aus.

Sie hat ab 2005 mit North Stream 1 vollendet, was Putin-Freund Gerhard Schröder (78, SPD) eingeleitet hatte. Sie hat, zusammen mit Frankreichs damaligem Präsident Sarkozy, 2008 die Nato-Mitgliedschaft der Ukraine verhindert und damit der Aggression Putins ausgesetzt. Sie hat mit der SPD und ihren russlandberauschten Christdemokraten ab 2015 nach Putins Krim- und Ostukraine-Invasion North Stream 2 durchgeboxt. Und sie hat mit deutschen und EU-Sanktiönchen dafür gesorgt, dass Putin nach dieser Doppelinvasion relativ ungeschoren davonkam.

Militär-Historiker Michael Wolffsohn

Foto: picture alliance/dpa

Angela Merkel sollte den Deutschen keine Ratschläge zum Umgang mit Russland erteilen. Das geböten Selbstkritik und Anstand. Der römisch-spätantike Philosoph und Theologe Boethius war vor rund 1500 Jahren klüger, feinfühliger und taktvoller: „Hättest du geschwiegen, wärest du ein Philosoph.“ Pfarrerstochter Merkel sei an Hiob 13,5 aus dem Alten Testament erinnert: „Wollte Gott, ihr schwieget: so würdet ihr weise.“

Unverständlich ist auch, dass die CDU Angela Merkel aufs Podium bat und ihr die Gelegenheit bot, ihre „Weisheiten“ zu verbreiten. Sollte dadurch ihr Alt-Rivale und Neu-CDU-Chef Friedrich Merz (66) beschädigt werden? Neuanfang sieht anders aus. Wenn Merkelismus die altneue CDU prägt, landet die Union bundesweit bald unter 20 Prozent der Wählerstimmen.

Wer in der CDU Angela Merkel ein Podium bietet und das große Portal öffnet, darf sich nicht wundern, dass ihre Jünger über die Hintertür wieder ins Vorzimmer der Macht stürmen.

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Der Historiker Prof. Dr. Michael Wolffsohn, Hochschullehrer des Jahres 2017, ist u.a. Autor des Buches „Eine andere Jüdische Weltgeschichte“ (2022)