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Lambrecht-Rücktritt: Der große Irrtum

Wer soll Christine Lambrecht als Verteidigungsministerin nachfolgen? Diese drei Eigenschaften muss der oder die Neue mitbringen – besondere Fachkenntnisse gehören nicht dazu.

Die Nachricht vom bevorstehenden Rückzug der angeschlagenen Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) war eben erst durchgesickert, da kochte schon wieder eine Frage in den sozialen Netzwerken hoch: Muss der oder die Neue an der Spitze der Bundeswehr Expertenwissen mitbringen?

Es ist ein Dauerbrenner bei der Besetzung politischer Spitzenämter und fast so alt wie die Bundesrepublik – die Vorstellung, dass Minister oder Ministerin nur werden sollte, wer eine entsprechende Fachexpertise mitbringt. Richtig ist: Ludwig Erhard, der Vater des Wirtschaftswunders, hatte Wirtschaft studiert und deshalb Ahnung von der Materie. Doch das ist eher die Ausnahme als die Regel. Finanzminister dürfte nach dieser Vorgabe nur ein Banker werden, Wirtschaftsminister nur, wer schon mal ein Unternehmen leitete. Und bei einem Ministerium würde es besonders schwierig: Wer dem Familienministerministerium vorstünde, musste Frau, Mutter, jung und alt zugleich sein – denn das Ministerium ist ganz offiziell für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zuständig.

Ganz schlecht sähe es auch beim Kanzleramt aus. Denn müsste diesen Posten nicht jemand innehaben, der schon einmal alles gemacht hat?

Auch beim Verteidigungsministerium geht dieser Anspruch nicht auf. SPD-Politiker Peter Struck, von 2002 bis 2005 Chef im Bendlerblock und bis heute einer der populärsten Minister auf diesem Posten, hatte nie gedient und das Amt auch nicht angestrebt. Es gelang ihm trotzdem, sich binnen kürzester Zeit das Vertrauen der Truppe und Respekt für seine Verteidigungspolitik zu erarbeiten.

Umgekehrt zeigt der Fall von Gesundheitsminister Karl Lauterbach, dass Expertise keineswegs eine Erfolgsgarantie ist. Obgleich er als Arzt besser geeignet schien als jeder andere für den Posten, kämpft er inzwischen mit genauso vielen Problemen wie seine Vorgänger – und ist zudem im eigenen Haus auch noch ziemlich unbeliebt. Denn ein Ministeramt erfordert eben sehr viel mehr als Fachwissen: Organisationstalent und -erfahrung, Geschick im Umgang mit Mitarbeitern, die Fähigkeit, politische Prozesse zu durchschauen und für sich zu nutzen, um nur einige Kriterien zu nennen.

Das Verteidigungsministerium ist ein besonderer Fall. Wer es führt, trägt Personalverantwortung für 250.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Und er oder sie hat es fast jeden Tag mit Fragen zu tun, bei denen es um Leben und Tod geht.

Drei Eigenschaften sind für diese Position deshalb entscheidend:

1. Man muss durchsetzungsstark sein

Das Ministerbüro im Bendlerblock gilt als Schleudersitz. Zu komplex sind die Strukturen, zu verkrustet die Bürokratie des gigantischen Apparates mit seiner militärischen und zivilen Komponente, als dass man hier leicht reüssieren könnte.

Hinzu kommt die gesellschaftliche Debatte, die von "Soldaten sind Mörder" bis zu "Unsere Freiheit wird am Hindukusch verteidigt" reicht. Die Bundeswehr ist immer auch mit Legitimationsdebatten verbunden. Seit Beginn des Ukraine-Kriegs sind sie weniger geworden, weil sich der Sinn einer eigenen Landesverteidigung vielen angesichts der Bedrohung aus Moskau wieder stärker erschließt. Verschwunden sind sie nicht.

Die Werbung der Bundeswehr an Schulen um Nachwuchs ist weiter hochumstritten. Der oder die Neue muss die Autorität besitzen, sich Respekt und Anerkennung für seine oder ihre Positionen zu schaffen. In der Politik, im Kanzleramt, in der Gesellschaft. Das Verteidigungsministerium ist kein Wurmfortsatz des Auswärtigen Amtes und auch keine Unterabteilung des Kanzleramtes. Das Verhältnis zwischen Kanzler und Amtsinhaber(in) ist dabei ein ganz entscheidendes. Über Lambrecht hatte es lange geheißen, sie pflege einen guten, engen Kontakt zu Scholz. Doch zuletzt war im Kanzleramt der Blick auf sie deutlich kühler ausgefallen. Entscheidungen zur Bundeswehr wurden zuletzt auch nicht mehr im Ministerium, sondern nur noch im Kanzleramt getroffen. Auch wenn die Initiative zum Rücktritt von Lambrecht ausgegangen sein soll, so wird Olaf Scholz wenig Anstalten gemacht haben, sie aufzuhalten. Die wichtigen verteidigungspolitischen Entscheidungen wurden schon seit einer Weile nur noch im Kanzleramt gefällt.

Der oder die Neue müsse "Bereitschaft und Können" mitbringen, die von Scholz angekündigte Zeitenwende "jetzt wirklich mit Leben zu füllen, die Bundeswehr zu modernisieren und zu reformieren sowie auch die nötige Durchsetzungskraft gegenüber Kanzler und Kabinettskollegen, damit mal wieder Entscheidungen im und mit dem Bundesverteidigungsministerium getroffen werden statt nur im Kanzleramt ohne Rücksprache", fordert denn auch die CDU-Abgeordnete Serap Güler, Mitglied im Verteidigungsausschuss des Bundestags.