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Lauterbach gegen „Gier-Medizin“ - Wird mein Arzt jetzt zur Heuschrecke?

SPD-Gesundheitsminister Karl Lauterbach (60) hat einen neuen Feind im Visier: „In­ves­to­ren mit ab­so­lu­ter Pro­fit­gier“, die Arzt-Lizenzen einkaufen, „um sie an­schlie­ßend mit maximalem Ge­winn zu be­trei­ben“.

Lauterbachs Knallhart-Ansage an die „Gier-Medizin“: Er will „den Ein­stieg die­ser Heu­schre­cken in Arzt­pra­xen unterbinden“. Jetzt liegt ein Gesetzentwurf vor, die Gesundheitsminister von Bund und Ländern wollen ihn im Bundesrat einreichen.

► Das Ziel: nicht weniger als die komplette Zerschlagung von Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) in Deutschland. Sie sollen per Türschild gekennzeichnet und zentral erfasst werden! Sie sollen keine Arztpraxen mehr kaufen dürfen! Nur noch regional (Radius: 50 Kilometer) arbeiten und nicht mehr als fünf bis zehn Prozent aller Arztpraxen ausmachen dürfen.

„Man bekommt den Eindruck“, ächzt Franz Maier (57) von Acura, einem privaten Träger von Zahnarztpraxen, „hier geht es nicht um Qualität oder Versorgungssicherheit, sondern darum, Medizinische Versorgungszentren komplett zu verhindern.“

Bundesweit gibt es nach letztem Stand knapp 1900 MVZ, die mit einem Krankenhaus als Träger von einem geschäftsführenden Mediziner geleitet werden (müssen). An das Zentrum angeschlossen sind verschiedene Arztpraxen, vom Haus- über Fach- bis hin zu Zahnärzten. Deren Ärzte arbeiten als Angestellte des Zentrums. Anders als beim klassischen Haus- oder Facharzt sind sie also nicht mehr INHABER einer Praxis, sondern abhängig angestellt.

Vorteil für die Ärzte: Sie müssen keine Rechnungen stellen, sich nicht ums Personal kümmern, haben abends Feierabend, statt noch Steuer oder Krankenkassen-Akten zu wälzen.

Vorteil für Patienten: Die Versorgungszentren verfügen im Schnitt über bessere Ausstattung, Überweisungen vom Haus- zum Facharzt können sofort vollzogen werden, ohne das Gebäude zu verlassen.

Dennoch bekämpft Minister Lauterbach die MVZ, weil sie eine immer größere Rolle im deutschen Gesundheitssystem spielen, womöglich Monopole aufbauen, wie sie auch sein bayerischer Kollege Klaus Holetschek (CSU) befürchtet.

Unsinn, sagt Finanz- und Gesundheits-Professor Bernd Raffelhüschen (65, Uni Freiburg): „Der Minister fürchtet die Marktwirtschaft. Bisher hat er es mit Einzelpraxen zu tun, denen er Vorschriften machen kann. Durch das Geschäftsmodell der Medizinischen Versorgungszentren bekäme er es mit einer geballten Marktmacht zu tun.“

Der Unterschied sei, so Raffelhüschen: „Sogenannte ‚Heuschrecken‘, also Großinvestoren, kaufen Industriebetriebe auf, zerschlagen sie dann gewinnbringend in Einzelteile, um sie zu verkaufen. Arztpraxen sind das Gegenteil von Großkonzernen. Der klassische Arzt in Deutschland ist Einzelunternehmer – ohne Arbeitszeitregelung. Er steht im vollen Risiko für sein Kapital, seine Altersvorsorge. Eine One-Man-Show.“

Fest steht: Immer mehr Ärzte gehen in Rente – die „Baby-Boomer“ hören auf zu arbeiten. Nach Branchenschätzungen steht in den nächsten 15 Jahren die Hälfte aller Arztpraxen vor der Schließung oder vor dem Wechsel zu einem jüngeren Nachfolger.

Prof. Raffelhüschen: „Die Jüngeren wünschen sich kürzere, geregeltere Arbeitszeiten, oft auch als Angestellte. Und sehr vielen fehlen die Mittel für die Selbstständigkeit. Sie brauchen Geld, um eine alte Praxis auf neue Standards zu modernisieren. Da kommen Investoren ins Spiel.“

Prof. Bernd Raffelhüschen (65, Uni Freiburg) sieht Medizinische Versorgungszentren als Rettung für das unterfinanzierte Gesundheitssystem

Foto: Axel Griesch/FinanzenVerlag/laif

Fakt: Deutschlands Gesundheitssystem ist derzeit völlig unterversorgt. Reserven sind – nicht zuletzt durch die Corona-Krise – unter das Niveau von 2011 geschrumpft. 17 Milliarden Euro fehlen derzeit, schätzt der Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenkassen.

Dennoch wettern vor allem die Kassenärztlichen Vereinigungen (KZV) gegen Investoren aus dem In- und Ausland. KZVen vertreten selbstständige Ärzte, die zwangsweise dem Verband beitreten müssen, wenn sie Kassenpatienten behandeln wollen – eine gewaltige Lobby in Deutschland.

ABER: Mit dem Schwund eigenständiger Ärzte schrumpft auch der Einfluss der KZV. Kein Wunder also, wenn die KZV-Bundesvereinigung vehement an Lauterbachs Seite kämpft und MVZ-Investoren unterstellt, sie seien bloß „auf schnelle Gewinnmaximierung“ aus und stellten eine „erhebliche Gefahr für die Versorgungsqualität, das Patientenwohl und die Sicherstellung der Versorgung insgesamt dar“.

Aber stimmt das?

Noch einmal Prof. Raffelhüschen: „Kein Mediziner versteht sich als Wohlfahrtsunternehmen. Ärzte müssen jeden Cent zum Beispiel für neue, teurere Röntgengeräte schnellstens reinholen. Aber: Bei Spezialkliniken oder -versorgungszentren verteilt sich dieser Druck auf mehr Praxen und Ärzte. Das wirkt eher kostensenkend als preistreibend.“

Und wie steht es mit der Versorgung auf dem Land? Dort fehlen Mediziner sowieso, mahnt Prof. Raffelhüschen: „Ärzte, besonders Fachärzte, sind schon jetzt ein rares Gut auf dem Lande – ohne maßgeblichen Einfluss von Großinvestoren. Um die Probleme zu lösen, brauchen wir einen Investitionsschub und einen Strukturwandel. Ein Drittel der Kliniken wird schließen müssen. Wir können nicht jedes Kreiskrankenhaus retten. Der Rest muss sich spezialisieren und vernetzen, damit Patienten auch auf dem Land versorgt werden können. Ohne das Geld von Investoren, auch aus dem Ausland, ist das nicht finanzierbar.“

Fazit des Professors: „Minister Lauterbach sollte darauf achten, dass keine regionalen oder gar bundesweiten Kartelle und Monopole entstehen. Aber mit generellen Verboten liegt er völlig falsch.“