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Liebe Klima-Aktivisten der „Letzten Generation“, ich beneide euch

Liebe Klima-Aktivisten der „Letzten Generation“,

ich kann verstehen, dass ihr beiden lieber in Thailand seid als hier. Sonne, Strand, Meer: toll! Viel besser als im kalten Bad Cannstatt vor Gericht zu erscheinen, weil ihr den Verkehr mit eurem Klimaprotest gestört habt.

Ja, ich beneide euch: In eurem Alter hätte ich mir das nicht leisten können. Nicht finanziell, da gab es keine Billigflüge, und schon gar nicht politisch. Die kommunistische Mini-Partei, in der ich Funktionär war, hielt auf proletarische Lebensart. Wenn wir schon eine Politik vertraten, die völlig gaga war, sollten wir nicht auch noch durch eine hedonistische Lebensweise die paar Arbeiter abschrecken, die sich für uns interessierten.

Bei euch ist es anders. Eure Forderungen gelten in weiten Kreisen als diskussionswürdig. Viele sehen in euch so etwas wie ihr eigenes böses Gewissen. Auf eurem Plakat stand: „Öl sparen statt bohren!“ Kann man so sehen. Nur kann man nicht anschließend nach Fernost fliegen. Bei uns wärt ihr wegen parteischädigenden Verhaltens ausgeschlossen worden.

Aber auch da haben sich die Zeiten geändert. Eure Organisation verteidigt euch: „Individuelles Verhalten ist nicht unwichtig, im Gegenteil“, heißt es in einer Pressemitteilung der „Letzten Generation“. Aber: „Wenn wir warten, bis alle Menschen sich klimabewusst verhalten, ohne dass sie es müssten, dann gehen wir über die Klippe.“ Mit anderen Worten: Ihr seid schuld! Warum erlaubt ihr unseren Mitstreitern, sich klimaschädlich zu verhalten?

Liebe beide Klima-Aktivisten, seid also froh, dass eure Organisation noch nicht den „Klimarat“ eingerichtet hat, den sie fordert. Der hätte euch verboten, nach Fernost zu fliegen. Ich bin ja auch froh, dass es uns damals nicht gelungen ist, die Diktatur des Proletariats zu errichten.

Klingt das nach Neid?

Aber da wir davon reden: Karl Marx beschrieb den Kommunismus als eine Gesellschaft, die es „mir möglich macht, morgens zu jagen, nachmittags zu fischen, abends Viehzucht zu treiben, nach dem Essen zu kritisieren, wie ich gerade Lust habe“. Ihr nehmt dank Kapitalismus den Kommunismus vorweg, denn ihr klebt euch vormittags auf die B10, um gegen den Ölverbrauch der Pendler zu protestieren, fliegt nachmittags nach Thailand, und kritisiert abends nach dem Tom Yung den Massentourismus, wie ihr gerade Lust habt.

„Es hat von Anfang an eine religiöse Dimension gehabt“

Ein Jahr ist es her, als die „Letzte Generation“ die erste Autobahnauffahrt blockierte. Seitdem folgten zahlreiche Aktionen, und in diesem Jahr möchten die selbsternannten Klimaaktivisten sogar nochmal eine Schippe drauflegen. WELT-Herausgeber Stefan Aust erklärt den „religiösen Zungenschlag“.

Quelle: WELT

Klingt das nach Neid? Klar. Bin ich sauer? Nein. Eure Organisation ist es auch nicht. Sie schreibt: „Falls irgendein Zweifel bestand, ob Menschen, die Fleisch essen, Auto fahren oder Langstreckenflüge machen, mit uns (…) auf die Straße gehen können, dann möchten wir den hiermit ausräumen: Ja!“ Mit anderen Worten: Auch wir wollen so verlogen sein wie die Kirchen und alle anderen Moralprediger, rechts wie links.

Abstrakt ist der Mensch gegen das Öl. Konkret will er zur Arbeit kommen. Oder an den Strand von Phuket. Marx nannte diesen Zwiespalt „Entfremdung“. Man kann sie aber nicht durch eine Diktatur überwinden, in der das Abstrakte das Konkrete unterdrückt. Das ahnt ihr, darum seid ihr in Thailand. Wenn ihr wieder hier seid, können wir an der Aufhebung der Entfremdung arbeiten. Ich kenn mich da aus.

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