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Lina E. – 5 Jahre Haft und doch frei - Wie gerecht ist das Urteil gegen die Linksextremistin?

Leipzig – Acht Jahre Haft forderte die Staatsanwaltschaft, Freispruch die Verteidiger. Richter Hans Schlüter-Staats (61) entschied nun: Die Leipziger Linksextremistin Lina E. (28) muss für fünf Jahre und drei Monate ins Gefängnis – und doch schickte er sie am Abend nach Hause. Haftverschonung, Lina E. muss ihre Strafe erst später antreten. Und selbst dann könnte sie bei guter Führung und Anrechnung der U-Haft schon nach einem Jahr wieder draußen sein.

BILD erklärt das Urteil – und die Folgen.

Laut Richter Schlüter-Staats haben sich vor allem zwei Faktoren strafmildernd ausgewirkt: Linas lange Zeit in der U-Haft (30 Monate), während der sie auch noch an Rheuma erkrankte – und der Umgang der Medien mit der Angeklagten. So sei über Lina E. zum Teil identifizierend berichtet worden. Ein rechtsextremes Magazin hatte ihren vollen Namen und Porträtfotos von ihr veröffentlicht.

Allerdings: Die Gefängnisstrafe ist nur aufgeschoben! Lina E. muss zu einem späteren Zeitpunkt, wenn das Urteil rechtskräftig ist, ihre Reststrafe in der JVA Chemnitz absitzen. Bis dahin muss sie sich zweimal wöchentlich, montags und donnerstags, bis spätestens 18 Uhr bei der Polizei melden. Ihren Wohnsitz darf sie nur mit Zustimmung des Gerichts wechseln.

Der Richter befand, dass sich ihre „herausragende Stellung“ in einer kriminellen Vereinigung strafverschärfend ausgewirkt habe. Das Bundesamt für Verfassungsschutz ordnet Lina E. und ihre drei Mitangeklagten als „gewalttätige Autonome“ ein, die mindestens sechs Überfälle auf mutmaßliche Neonazis verübt hatten und dabei 13 Menschen zum Teil schwerst verletzten.

Die Urteile (2 Jahre, 5 Monate bis 5 Jahre, 3 Monate) bleiben unter denen, die derselbe Richter 2018 gegen die rechtsextreme „Gruppe Freital“ verhängte. Hier erhielten die acht Angeklagten Haftstrafen zwischen vier und zehn Jahren, eine 29-Jährige wurde zu fünfeinhalb Jahren Knast verurteilt.

Der grundlegende Unterschied: Die „Gruppe Freital“, die u.a. Bombenanschläge auf Asylheime verübte und mehrere Unschuldige verletzte, gilt deshalb als „terroristische Vereinigung“ – die sogenannte „Hammerbande“ um die Leipziger Studentin Lina E. lediglich als „kriminelle Vereinigung“. Richter Schlüter-Staats: „Ziel war es, die Opfer so zu verletzen, dass sie von ihren Aktivitäten ablassen.“ Im Fall der rechtsextremen „Gruppe Freital“ ging es um versuchten Mord.

Nein, sagt das Bundesamt für Verfassungsschutz! Präsident Thomas Haldenwang (63): „Die Schwelle zum Terrorismus sehen wir aktuell noch nicht überschritten, aber wenn sich die Radikalisierungsspirale weiterdreht und die Taten immer brutaler und hemmungsloser werden, dann rückt der Moment näher, in dem man auch von Linksterrorismus sprechen muss.“ Die „Hammerbande“ ist demnach auch keine „neue RAF“.

Ganz klar: ja – sagt der Richter. Schlüter-Staats in seiner Urteilsbegründung: „Das Verfahren ist als politisches Verfahren beurteilt worden.“ Denn es sei auch die Strategie der Verteidigung gewesen, die Angeklagten als „Opfer einer politischen Verfolgung“ darzustellen. Zudem liege den Taten ein politisches Motiv zugrunde.

Sprach das Lina-Urteil: Hans Schlüter-Staats (61), Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht in Dresden

Foto: picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild Pool

In seiner Urteilsbegründung zeigte Schlüter-Staats sogar Verständnis für die politischen Motive der Taten. Denn der Rechtsextremismus sei fremdenfeindlich, antisemitische und lehne „unseren Pluralismus“ ab. Der Richter: „Rechtsextremisten und ihrer Ideologie entgegenzutreten ist ein achtenswertes Motiv, aber es entfällt damit nicht das Strafrecht.“

Heißt: Die Antifa darf nicht den Job von Polizei und Justiz übernehmen. „Das Gewaltmonopol liegt beim Staat und muss geschützt werden“, so Schlüter-Staats. Auch ein Nazi sei „nicht vogelfrei“.

Verfassungsschutz-Präsident Thomas Haldenwang (63): „Der Fall steht beispielhaft für das hohe Gewaltpotenzial und Radikalisierungsniveau, das in Teilen der linksextremistischen Szene vorherrscht und in dieser Form eine neue Entwicklung im Linksextremismus darstellt.“ Kleine Gruppen würden gezielte Attacken auf politische Gegner planen und diese „mit äußerster Brutalität“ durchführen.

Die vermummten Angreifer setzen dabei häufig Hämmer und Reizgas ein, schlagen und treten gezielt gegen den Kopf. Sie rechtfertigen ihre Gewaltaktionen laut Verfassungsschutz mit einer angeblichen Untätigkeit des Staats bei der Bekämpfung von Rassisten und Faschisten und wollen unter Neonazis „ein stetes Gefühl der Angst“ erzeugen.

Haldenwang: „Der Gewalt sind dabei kaum Grenzen gesetzt, Hemmschwellen sind gefallen und man kann von Glück sagen, dass bisher noch kein Opfer zu Tode gekommen ist. Ein Widerspruch aus übrigen Teilen der Szene gegen die hemmungslose Gewalt bleibt weitgehend aus.“

Zwar lobt der Verfassungsschutz-Präsident das sächsische Urteil als „großen Erfolg im Vorgehen gegen den gewaltbereiten Linksextremismus“, muss aber auch zugeben: „Der Fahndungsdruck scheint das linksextremistische Aktions- und Gewaltniveau nicht zu beeinflussen, vielmehr agieren sie sogar außerhalb Deutschlands in Zusammenarbeit mit Linksextremisten aus anderen Ländern.“