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Lithium in der Demokratischen Republik Kongo: Der Kampf um den Rohstoff der Zukunft

Globale Gesellschaft

In Reportagen, Analysen, Fotos, Videos und Podcasts berichten wir weltweit über soziale Ungerechtigkeiten, gesellschaftliche Entwicklungen und vielversprechende Ansätze für die Lösung globaler Probleme.

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Die Deckenplatten im Gemeindesaal von Manono sind verrottet. Im Betonboden klafft ein Riss, er zieht sich quer durch den Raum. Strom gibt es keinen, die Veranstalter haben draußen einen Generator aufgestellt, drinnen sind große Lautsprecher und Mikrofone angeschlossen. Doch die meisten Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Veranstaltung brauchen sie nicht, sie tragen ihr Anliegen lautstark vor.

Im verblassten »Grande Salle« von Manono in der Demokratischen Republik Kongo, zwei Tage Autofahrt von der nächsten größeren Stadt entfernt, geht es um Weltpolitik. Es geht darum, wer an das Mineral der Zukunft kommt, auf dem sie hier alle leben: »Die Chinesen« oder »die aus dem Westen«?

Doch unter Manonos Erde liegt auch, so sagen Geologen, das möglicherweise größte Lithiumvorkommen der Welt. Unangetastet. In alten Unterlagen der ehemaligen belgischen Minenbetreiber findet sich noch eine geologische Studie, sie stammt aus dem Jahr 1952. In einem Halbsatz ist dort von »spodumène« die Rede, dem lithiumhaltigen Mineral. Den Bergleuten von damals war es ein Dorn im Auge, ein Abfallprodukt. Heute ist es einer der gefragtesten Rohstoffe der Welt, Experten gehen davon aus, dass die Nachfrage das Angebot in Zukunft bei Weite übersteigen wird.

Mit Lithium werden Batterien betrieben, auch für Elektroautos, ohne Lithium wird die Energiewende kaum möglich sein. Der Lithiumpreis explodierte in den vergangenen zwei Jahren förmlich. »Manono kann eine signifikante Rolle spielen, um den weltweiten Bedarf an Lithium zu decken«, meint Nigel Ferguson, CEO der australischen Bergbaufirma AVZ Minerals. Manche sagen gar: Wer Manono kontrolliert, könnte am Ende den Weltmarktpreis beeinflussen.

Die Bewohner Manonos könnten also im Reichtum leben, im alten Schwimmbad könnten wieder Menschen planschen, der »Grande Salle« könnte wieder den Namen »Grande« verdienen. Doch weil das nicht so ist, haben sie sich nun im Gemeindesaal versammelt und lassen ihrer Wut freien Lauf. »Warum hat sich nichts getan?«, ruft ein Anwohner. »Wir wollen Arbeit«, empört sich ein anderer. Draußen, vor dem Gemeindesaal, sind große Poster aufgehängt, auf der linken Seite steht »Manono gestern«, darunter Bilder verfallener Infrastruktur und armer Menschen. Auf der rechten Seite steht »Manono morgen«, zweispurige Straßen, frisches Wasser aus der Leitung, glückliche Bewohnerinnen und Bewohner.

Balthazar Tshiseke sitzt ganz vorne, der verärgerten Menge zugewandt. Er trägt ein weißes T-Shirt und eine weiße Basecap, aufgedruckt auch hier »Manono gestern, Manono morgen«. Tshiseke leitet das Joint Venture Dathcom, das hier eigentlich schon seit Monaten Lithium aus dem Boden holen und zu Geld machen soll. Sein Gehalt bekommt er von AVZ Minerals, den Australiern, die die Mehrheitsanteile an Dathcom halten. Die Versammelten nennen ihn »Directeur«, den Direktor. Tshiseke hört sich geduldig die Wutreden an, ab und zu nickt er, dann erhebt er sich langsam. Es fällt ihm nicht leicht, sein linkes Bein ist seit Kindheitstagen nach einer Polioerkrankung gelähmt. Doch seine Stimme ist fest und bestimmt, als er sagt: »Die Regierung gibt uns die Minenlizenz einfach nicht. Wir dürfen noch nichts abbauen.«

Balthazar Tshiseke (am Mikrofon) mit seinem Kollegen Steve Hodgson im Gemeindesaal von Manono

Foto: Arsene Mpiana / DER SPIEGEL

Dann beschreibt er die großen Konfliktlinien, es ist sehr kompliziert, AVZ liegt mit seinen Joint-Venture-Partnern heillos im Clinch. Da ist auf der einen Seite der chinesische Geschäftsmann Cong Maohuai, im Kongo nur Simon Cong genannt. Er gilt als politisch bestens verdrahtet, sowohl in Peking als auch in Kinshasa. Cong hat in vielen dubiosen Deals im zentralafrikanischen Land seine Finger im Spiel, er ist eine äußerst umstrittene Figur. Congs Firma Dathomir hielt bis 2017 die Mehrheitsanteile an der Konzession von Manono, das stellte sich bald als Goldgrube heraus. Dann kamen die Australier von AVZ, sie kauften sich bei Cong in das Lithiumvorkommen ein und sicherten sich die Kontrolle über das wertvolle Geschäft.

AVZ schaffte großes Gerät nach Manono, sie bohrten insgesamt 42 Kilometer Löcher in den Boden, und fast überall stießen sie auf lithiumreiches Gestein, teils bis zu 350 Meter dick. 2019 veröffentlichten sie das Ergebnis der Bodenproben. »Danach ist die Hölle über uns hereingebrochen«, sagt AVZ-Chef Nigel Ferguson. »Jede einzelne chinesische Firma aus dem Lithiumsektor hat uns angerufen.«

Anwohnerinnen und Anwohner beim Kleinbergbau: Sie tragen weiterhin in der Region Zinn ab

Foto: Arsene Mpiana / DER SPIEGEL

China ist der größte Player im Lithiumgeschäft. Die Firma CATL ist Weltmarktführer in der Batterieherstellung für Elektroautos, hat gerade in Thüringen eine riesige neue Fabrik aufgebaut, die erste außerhalb Chinas, auch hier wird das Lithium aus Manono dringend gebraucht. Es ist kein Geheimnis, dass Peking gern auch den Zugang zum Rohstoff selbst kontrollieren würde, und dafür bietet Manono nun die große Chance.

Die Avancen der Chinesen hatten zunächst tatsächlich Erfolg. Lithiumabbau ist teuer, die Australier brauchen also eine Menge Geld. Dafür haben sie 2021 einen Deal mit einer Tochterfirma des Batterieriesen CATL geschlossen: Im Gegenzug zu 240 Millionen US-Dollar Anschubfinanzierung soll das chinesische Unternehmen 24 Prozent der Anteile am Lithium-Joint-Venture erhalten. Sorgen machte sich damals noch niemand, es war von »unseren Freunden aus China« die Rede. Auch drei große Lieferverträge haben die Australier mit chinesischen Firmen bereits unterschrieben, dabei wurde noch nicht eine Tonne aus Manono kommerziell abgebaut.

»Wir hätten gern mit europäischen oder amerikanischen Firmen zusammengearbeitet, aber leider schrecken die davor zurück, in Ländern wie dem Kongo zu investieren«, sagt AVZ-Chef Nigel Ferguson. Europa und die USA machen sich zwar zunehmend Sorgen, in Afrika an Einfluss zu verlieren. Der Westen will nicht von chinesischer Rohstoff-Förderung abhängig werden. Aber im Kongo sind Investitionen heikel, sowohl wirtschaftlich als auch ethisch. So bleibt »der Westen« außen vor.

Für AVZ ging der Ärger jedenfalls bald los. Simon Cong, der chinesische Direktor von Dathomir, wollte plötzlich einige seiner Anteile zurück. Er fühlte sich über den Tisch gezogen. Und auch von anderer Seite gab es Ärger. Denn im Joint Venture sitzt auch die kongolesische Minenfirma Cominière, die von der Regierung kontrolliert wird. So soll sichergestellt werden, dass auch der Kongo etwas abbekommt. Allerdings handelte Cominière überraschend einen Deal mit dem staatlichen chinesischen Bergbauunternehmen Zijin aus, verkaufte dessen Tochterfirma 15 Prozent der Anteile von Manono. Die Australier fühlten sich übergangen, fochten die Transaktion an, der Fall landet nun bei einem internationalen Schiedsgericht.

Plötzlich ist AVZ also auf drei Seiten von Akteuren aus China umringt: Simon Cong von Dathomir, CATL und Zijin. In einer Pressemitteilung  spekuliert der Staatskonzern Zijin bereits hämisch, dass AVZ am Ende die Kontrolle über Manono verlieren werde. Chinesische Medien sprechen inzwischen von einem »Machtkampf zwischen chinesischen Akteuren«, als spielten die Australier gar keine Rolle mehr. »Chinas Präsident Xi Jinping hat in Sachen kritischer Rohstoffe die Direktive herausgegeben: Geht raus und holt euch, was ihr kriegen könnt. Und genau das erleben wir gerade«, sagt AVZ-Chef Ferguson.

Der Zinnabbau ist für viele die einzige Einnahmequelle - auch aus dem Fluss wird der Rohstoff gesiebt

Im Grande Salle von Manono sind sie jetzt bei der großen Politik angekommen. »Es geht doch darum, wer hier das Sagen hat, die aus dem Westen oder die Chinesen«, ruft ein Teilnehmer der Versammlung. »Wir wollen die Chinesen nicht!«, empören sich mehrere andere. Balthazar Tshiseke nickt zufrieden, die Veranstaltung wird zum Erfolg für ihn, die Bewohnerinnen und Bewohner von Manono versammeln sich hinter der australischen Firma. Doch es ist nur ein kleiner Sieg, denn am Ende sitzt die Regierung in Kinshasa am längeren Hebel. Und dort ist Peking ein gern gesehener Partner, der wenige Fragen stellt und keine Reden über Korruptionsbekämpfung und Nachhaltigkeit hält.

Steve Hodgson ist ein Mann der Ordnung. Wenn er im weißen Land Cruiser auf den lädierten Feldwegen Manonos abbiegt, blinkt er – auch wenn weit und breit kein anderes Fahrzeug in der Nähe ist. Er achtet darauf, dass die Autos von AVZ stets rückwärts eingeparkt werden und niemand den Motor laufen lässt. Hodgson ist Geologe, vor Ort für die Mine verantwortlich, kontrolliert die neuesten Probebohrungen und hat ein Auge aufs Budget.

Neben ihm rattert es laut, Bohrstangen werden in die Erde getrieben, insgesamt fast 600 Meter tief. Auf einem Tablett sind fünf Zentimeter dicke Steinsäulen aufgereiht, die Ergebnisse der Probebohrungen. Hodgson wischt mit einem nassen Lappen über das staubige Gestein, es beginnt zu glänzen. Mit dem Zeigefinger tippt er auf eine weißliche Stelle, einen eingelagerten Kristall. »Das ist das Lithium«, erklärt der Geologe, die Säule ist durchzogen davon.

Steve Hodgson und seine Kollegen sortieren Gesteinsproben in Manono

Foto: Arsene Mpiana / DER SPIEGEL

Manono ist das mutmaßlich größte Lithiumvorkommen der Welt

Foto: Arsene Mpiana / DER SPIEGEL

Um den begehrten Rohstoff zu gewinnen, muss der Boden großflächig ausgebaggert werden, dann wird das Gestein zermahlen und am Ende sogenanntes SC6 daraus gewonnen, die Substanz enthält sechs Prozent reines Lithiumoxid, so kommt es auf den Weltmarkt. 700.000 Tonnen will AVZ pro Jahr fördern, ab Anfang 2021 ging der Aktienkurs durch die Decke. Doch davon ist nur noch wenig übrig: Die Firma hat den Handel an der australischen Börse ausgesetzt, wegen der Auseinandersetzungen im Kongo. Zahlreiche Anlegerinnen und Anleger planen laut Medienberichten eine Sammelklage gegen AVZ, weil das Unternehmen nicht rechtzeitig über die Risiken informiert habe. Ob die Abbaulizenz jemals erteilt wird, scheint mehr als fraglich. Die kongolesische Bergbauministerin reagiert auf eine Anfrage des SPIEGEL nicht. Den Australiern bleiben nur Durchhalteparolen, um die Aktionäre bei Laune zu halten.

Steve Hodgson parkt seinen Pickup am oberen Ende des Camps, wo die Minenfirma ihr Lager aufgeschlagen hat, direkt neben den tiefen Kratern des alten Zinnbergwerks. Dutzende Männer in blauen Overalls hämmern, sägen und verlegen Kabel, sie bauen kleine einstöckige Steinhäuser, Unterkünfte für die Bergleute. »Es soll alles fertig sein, wenn wir endlich die Lizenz haben«, sagt Hodgson. Als bräuchten sie etwas, an dem sie sich festhalten können, als würden Mauern etwas ausrichten gegen politische Rochaden.

Dann fährt der Geologe runter ins Dorf, über die alte Metallbrücke, vorbei an der Straßensperre, wo eine Gruppe Männer Wegzoll von allen Vorbeifahrenden verlangt, sie nennen es »Maut«. Eine Quittung gibt es nicht. Hodgson biegt ab, hinein in die Konzession von AVZ. Links und rechts reichen tiefe Krater bis an den Feldweg heran, die Belgier haben über Quadratkilometer die Erde umgewälzt. Geht es nach dem Willen der Australier, sollen die Löcher bald noch tiefer werden.

Luftansicht der handgegrabenen Minen

Foto: DER SPIEGEL

Hodgson zeigt mit seiner rechten Hand auf eine Gruppe Männer, die mit Schaufeln und Sieben in der Mondlandschaft stehen. »Da sind sie wieder«, murmelt er, »wir müssen eine Lösung finden.« Sie – das sind die Bewohnerinnen und Bewohner Manonos, die sich im Kleinbergbau versuchen, in den alten Löchern noch immer nach Zinn buddeln, das sich für ein paar Euro am Tag verkaufen lässt. Die Australier müssen sie irgendwann loswerden, sollen hier doch schwere Bagger und Raupen vorfahren. Vor kurzem hatten sie es schon einmal versucht, sogar Sicherheitskräfte engagiert, die für Ordnung sorgen sollten. Doch die Menschen in Manono sind auf das Einkommen aus der Zinngewinnung angewiesen, die Stimmung drohte zu kippen. Nun wollen die Minenbetreiber den Anwohnern eine eigene Fläche zuweisen.

Vor einigen Wochen gab es eine Demonstration in Manono, organisiert von Jugendlichen. Sie forderten den Bau einer Batteriefabrik in der Stadt, damit der Rohstoff nicht nur exportiert wird, sondern die Wertschöpfung vor Ort stattfindet. Tatsächlich hat die kongolesische Regierung große Pläne, hat an einer Universität sogar ein Zentrum für Batterieherstellung geschaffen. Doch noch geht es erstmal weiterhin darum, wer das größte Lithiumvorkommen der Welt kontrolliert.

Steve Hodgson steht inzwischen vor der Polizeistation, gemeinsam mit einem Anwalt. Seine Kollegen und er haben einen großen Bagger beschlagnahmen lassen, der unerlaubt in der Konzession unterwegs war, angeblich um Schotter für den Straßenbau aufzusammeln. Schnell stellte sich heraus: Das schwere Gefährt war offenbar im Auftrag einer chinesischen Firma unterwegs. Eine Machtprobe, glauben die AVZ-Leute. Der Fahrer wurde direkt festgenommen; ein kleiner Sieg, doch einige Zeit später kommt er wieder frei. Die Chinesen finden immer eine Lösung.

Dieser Beitrag gehört zum Projekt Globale Gesellschaft