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"Liv Strömquists Astrologie": Eine Satire über die Menschheit und ihre Sternzeichen

"Liv Strömquists Astrologie" Eine Satire über die Menschheit und ihre Sternzeichen

Liv Strömquist ist bekannt für Graphic Novels, in denen sie aus feministischer Perspektive und mit viel schrägem Humor gesellschaftliche Normen auseinandernimmt. Sie hinterfragt Schönheitsideale ("Im Spiegelsaal"), stereotype Geschlechterrollen ("Der Ursprung der Liebe") und die Tabuisierung der Vulva ("Der Ursprung der Welt"). Dabei greift sie auf wissenschaftliche Literatur genauso zurück wie auf die Thesen antiker Philosophen und die Lebensgeschichten berühmter Menschen - von Christina von Schweden bis zu den Kardashians.

In "Liv Strömquists Astrologie" geht es - zumindest auf den ersten Blick - weniger gesellschaftskritisch zu. Die Schwedin nimmt sich darin zunächst die Sternzeichen vor, und das alles andere als zimperlich. In knallbunten Farben und mit dem für sie typischen, eher schludrigen Zeichenstil breitet sie die schlechten Eigenschaften von Widder, Schütze und Co aus. Besonders interessant wird das, wenn sie dafür berühmte Beispiele heranzieht: Beyoncé ist für Strömquist der Prototyp einer langweiligen Jungfrau, Melania Trump verkörpert den stoischen Stier, Hölderlin gehört zu den hochemotionalen Fischen.

In der zweiten Hälfte des Comics versucht sie, mit Adorno und anderen Theoretikern zu erklären, warum Menschen sich überhaupt für Horoskope interessieren. Es ist eine Frage, auf die Strömquist auch im Gespräch immer wieder nach Antworten sucht. Im Interview spricht sie darüber, warum Astrologie eine Flucht vor der "Vom Tellerwäscher zum Millionär"-Erzählung sein kann, wie ihr Umfeld auf ihr Interesse an Astrologie reagiert hat und warum ihr Buch im Grunde eine Satire ist. Liv Strömquist ist übrigens Wassermann.

ntv.de: Bei der Recherche für dieses Interview habe ich immer wieder auf Astrologie-Seiten gelesen, dass mein Sternzeichen das unbeliebteste ist. Ich bin Skorpion. Muss ich mir Sorgen machen, dass ich keine Freunde mehr finde?

Liv Strömquist: (lacht) Ich glaube nicht, dass es das unbeliebteste Sternzeichen ist. Skorpion ist ein sehr tiefgründiges, interessantes, kraftvolles Sternzeichen. Du solltest dich freuen, dass du Skorpion bist. Aber ja, auch in meinem Buch gebe ich Bewertungen über die Sternzeichen ab. Es geht mir nicht darum, jedes Zeichen genau zu erklären. Es soll einfach Spaß machen, mehr über sie zu erfahren. Deswegen sollte man das Buch auch mit ein bisschen Selbstdistanz lesen.

Kaum ein Sternzeichen kommt in deinem Buch richtig gut weg. Fische haben ein Alkoholproblem, Krebse sind weinerlich, Löwen wollen immer im Mittelpunkt stehen. Mein Eindruck beim Lesen war, dass Horoskope eine gute Möglichkeit sind, sich über sich selbst und andere lustig zu machen.

Es ist fast wie eine Satire über die Menschheit. Ich nutze die Sternzeichen, um Witze über bestimmte Typen von Menschen zu machen. Auch wenn man das Sternzeichen außen vor lässt, entdeckt man unterschiedliche Arten von Menschen, die einem bekannt vorkommen: zum Beispiel Menschen, die oberflächlich sind und viel reden oder sehr ehrgeizig sind und stur ihren Weg verfolgen und so weiter. Sternzeichen sind ein Weg, um sich über die Menschheit lustig zu machen.

Im Vergleich zu deinen bisherigen Büchern wirkt das Thema Astrologie überraschend unpolitisch. Warum hast du dich entschieden, dieses Buch zu machen?

Ich denke schon, dass es manche Stellen in dem Buch gibt, die sich als politische Kritik lesen lassen. Anfangs war das Thema nur ein Nebenprojekt. Bei meinen Auftritten habe ich als Abwechslung immer mal Comics über Astrologie eingebaut, das Publikum fand das sehr lustig. Dann habe ich angefangen, kleine Skizzen zu machen und sie bei Instagram veröffentlicht. Den Leuten hat das gut gefallen und ich wurde immer wieder gefragt, warum ich kein Buch über Astrologie mache. Es gab bisher wohl kein Thema, um das ich häufiger gebeten wurde. Also habe ich das Buch gemacht. Es soll ein lustiges Geschenk sein für Leute, die Horoskope unterhaltsam finden. Abgesehen von diesen Menschen hat mir aber fast jeder von dem Buch abgeraten. Meine Verleger, alle meine Freunde meinten: Mach das bloß nicht!

Diese kritischen Stimmen gibt es auch im Buch, zum Beispiel deine Schwiegermutter, die Astrologie mit Faschismus vergleicht.

Nachdem ich eigentlich schon fertig war, konnte ich es nicht mehr so richtig verantworten, ein unkommentiertes Astrologiebuch zu machen. Deswegen habe ich das letzte Kapitel ergänzt, es ist eine kritische Analyse der Astrologie. Mir war wichtig, dass man sich nicht nur in dem Thema verliert, sondern es auch aus nüchterner Distanz betrachten kann.

Du versuchst die Frage zu beantworten, warum Astrologie so erfolgreich ist. Horoskope erleben ja seit einigen Jahren einen enormen Hype, gerade unter Millenials. Woran liegt das?

Ein großer Faktor ist sicher die zunehmende Suche nach Identität. Wir leben in einer individualistischen Gesellschaft, in der es keine kollektive Erzählung darüber gibt, wer man ist, warum man auf der Welt ist. Jeder Mensch muss das für sich herausfinden und definieren. Viele Entwicklungen in der heutigen Zeit basieren auf diesem Drang, eine Identität zu finden und sich selbst zu verstehen. Astrologie ist vielleicht eine etwas verspielte Version davon.

Möglicherweise ist sie auch eine Antwort auf die liberale Idee, dass man erreichen kann, was auch immer man will, solange man nur hart genug arbeitet. Doch was, wenn ich nicht das Gefühl habe, dass ich alles erreichen kann? Wenn ich nicht weiß, wie das geht? Die Kategorien, die Astrologie schafft, können eine Erleichterung sein, eine Art Ausweg aus der Leistungsgesellschaft. Du bist in gewisser Weise entschuldigt, denn du bist nun mal so oder so, daran kannst du leider nichts ändern.

Oft wird vermutet, dass Menschen sich zur Astrologie hingezogen fühlen, weil sie ihnen Sicherheit gibt. Du zitierst in deinem Buch den Soziologen Aris Komporozos-Athanasiou, der eine ganz andere Theorie hat: Vielleicht ist es gerade die Unsicherheit selbst, die Astrologie-Fans suchen.

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Liv Strömquist ist Politikwissenschaftlerin und Wassermann.

(Foto: Maja Flink)

Bei dieser Theorie geht es darum, wie sich ein Wirtschaftssystem, das auf Spekulation beruht, auf Menschen auswirkt. In diesem System kann es zur Inflation kommen oder zu einem wirtschaftlichen Abschwung, sodass man kann nicht mit Sicherheit sagen kann, ob Investitionen sich in Zukunft lohnen. Man kann sich also nicht wirklich auf die Zukunft verlassen, es fühlt sich fast so an, als gäbe es keine Zukunft. Was dann passieren kann, ist, dass ich mich selber spekulativ verhalte. Wenn ich nicht weiß, worauf ich mich verlassen kann, dann kann ich genauso gut meine Co-Star-App um Rat fragen.

Du nennst Online-Dating als weiteren Bereich, der von Spekulation geprägt ist.

Dating-Apps sind auf eine Menge Unsicherheit und Unvorhersehbarkeit ausgelegt, weil man mit Fremden spricht, mit denen man keine Verbindung hat. Jemand kann dir zum Beispiel schreiben, dass er oder sie Single ist, aber in Wirklichkeit ist diese Person verheiratet. Und in dieser Ungewissheit fängt man selbst an, sich unsicher zu verhalten und zufällige Entscheidungen zu treffen. Mit der Astrologie ist es ähnlich: Es scheint so, als ob die Welt von völlig zufälligen Dingen beherrscht wird, die man nicht verstehen kann und auf die man keinen Einfluss hat. Die Reaktion auf all diese Unsicherheit ist, dass man einfach anfängt, nach den zufälligen Regeln des Universums zu handeln. Denn das fühlt sich genauso plausibel an wie alles andere.

In deiner Arbeit nimmst du oft eine stark feministische Perspektive ein. Hat Astrologie eine feministische Komponente für dich?

Ich mache nicht nur feministische Arbeit und ich würde nicht sagen, dass dies ein feministisches Buch ist. Es gibt dieses Narrativ, dass Astrologie als dumm und irrational abgewertet wird, weil sie als etwas Weibliches gilt. Manche sehen es deswegen als feministischen Akt, Astrologie zu würdigen. Ich weiß nicht, ob ich diese Meinung teile. Ich denke nicht, dass etwas nur deswegen aufgewertet werden sollte, weil es mit Frauen in Verbindung gebracht wird.

Auch bei vielen queeren Menschen sind Horoskope beliebt.

Ja, das ist eine große Sache in der queeren Community. Ich kann mir vorstellen, dass es einen Grund dafür gibt, warum Frauen und andere Gruppen, die traditionell unterdrückt werden, sich zur Astrologie hingezogen fühlen. Vielleicht besonders dann, wenn Menschen sich nicht durch die normative Wissenschaft vertreten fühlen. Es gibt eine lange Geschichte der Unterdrückung von Frauen und queeren Menschen in der normativen Wissenschaft. Wenn du dich nicht wirklich in der Gesellschaft repräsentiert fühlst, spürst du vielleicht Sympathien für etwas, das gesellschaftlich nicht hoch angesehen ist - eine Art Verbundenheit unter Ausgestoßenen.

Mit Liv Strömquist sprach Sarah Schaefer