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Luise (12) von ihren Freundinnen getötet - Kann man seinem Kind einen Mord verzeihen?

Als am 11. März in Freudenberg im Siegerland das Unvorstellbare geschah, gab es drei Mütter, die nicht ahnen konnten, dass ihre Welt bereits in Trümmern lag. Vermutlich kannten sie sich, das Opfer Luise und die beiden Täterinnen waren befreundet, Freudenberg ist eine Kleinstadt (rund 18.000 Einwohner).

Die tödliche Wut, die die 12- und 13-jährigen Mörderinnen wohl schon seit einiger Zeit in sich nährten, man nimmt an, weil Luise über die Figur der einen gelästert hatte, teilten sie wohl nicht mit ihren ahnungslosen Eltern.

Und so gibt es drei Mütter, die vor dem 11. März vielleicht einen Elternabend besucht, anschließend ein Glas Wein zusammen getrunken haben und nun in sternenweit entfernten Welten verzweifeln. Die eine, von allen bemitleidet, von Freunden, Familie und Nachbarn getröstet.

Evelyn Holst: Die Autorin lebt in Hamburg und hat selbst inzwischen zwei erwachsene Kinder

Die beiden anderen, ja, welche Gefühle gelten den Müttern der brutalen Mörderinnen? Verdienen auch sie unser Mitgefühl? Oder ist unser erster Gedanke: Was ist denn da in der Erziehung schiefgelaufen? Sippenhaft, sofort und für immer.

Die Tat sprengt unsere Vorstellungskraft. Zumal sie vorsätzlich geschah, eine der Täterinnen hatte sich vorher im Internet über Strafunmündigkeit schlaugemacht. „Wir gehen mal kurz raus“, haben sie zu ihren Müttern gesagt, und die haben vermutlich: „Aber seid bitte zum Abendessen wieder da“, erwidert, und das war das Ende ihres ganz normalen Lebens.

Die blutjungen Mörderinnen lockten ihr ahnungsloses Opfer in den Wald, eine hielt es fest, die andere stach zu. Immer wieder. Eigentlich wollten sie sie mit einer Plastiktüte ersticken, das klappte nicht.

Man will sich diese entsetzliche Szene nicht vorstellen, die Todesschreie, das Blut, die Mordlust, so brutal, dass Ermittler von einer „Übertötung“ sprechen, und all das wegen einer pubertären Lästerung? Wie gehe ich als Mutter mit einer Tochter um, die mit ihrer Freundin die blutende Leiche einen Abhang herunterstößt, und dann seelenruhig bei den Eltern des Opfers anruft und: „Luise kommt jetzt nach Hause“, sagt?

Kann man so ein Kind jemals wieder in die Arme schließen?

Mütter verzeihen ihren Kindern viel. Gerade in der Pubertät. Auch danach. Eigentlich ein Leben lang. Ladendiebstahl, Drogen, Alkohol am Steuer können als Jugendsünden vergessen werden, aber das?

Eine Übertötung wegen einer dummen Bemerkung?

Wir sind Mütter, wir machen Fehler, aber wir sind nicht für alles verantwortlich.

Sind die sozialen Medien schuld? Eine Jugendkultur, in der bereits Zehnjährige über Po-Implantate und Fettabsaugungen nachdenken? Die Motive der beiden Mörderinnen sind nicht öffentlich. Sie sind in der Jugendpsychiatrie, sicher wird auch Luises Mutter psychologisch betreut, aber wer hilft den Müttern der Täterinnen? Die mit ihren Familien die Stadt verlassen mussten und jetzt – wo wohnen? Wo arbeiten? Wo einkaufen? Wie weiterleben?

Kerzen, Blumen und Abschiedsbriefe: Am Fundort von Luises Leiche, neben einem Waldweg bei Wildenburg, haben Freunde und Bekannte eine Trauerstelle eingerichtet

Foto: Christian Knieps

Es tröstet ja nicht, dass die Täterquote unter Jugendlichen ab 14 Jahren in den letzten Jahren dramatisch gestiegen ist. Um 35,5 Prozent auf 93.095 Straftaten. Aber eine Übertötung war nicht dabei.

Die letzte dieser Art fand vor 30 Jahren in England statt, als zwei Zehnjährige den zweijährigen James Bulger zu Tode steinigten. Der Grund? Langeweile.

Eltern, deren Kinder ein Verbrechen begangen haben, nehmen oft eine Teilschuld auf sich, weil so die Schuld ihrer Kinder leichter zu ertragen ist. Es muss ja einen Grund geben, eine Erklärung. Man muss es irgendwie aushalten können, das Unfassbare. Die Scham, die Verzweiflung, die Ausweglosigkeit.

„Ich musste meine Gefühle aufspalten“, sagt eine Mutter, deren Sohn im Alkoholrausch einen Fußgänger totgefahren und danach Fahrerflucht begangen hatte. „Vor der Tat habe ich alles an ihm geliebt, danach gab es einen Teil, den ich gehasst habe. Aber ich bin ja immer noch seine Mutter. Hat mein Sohn mein Leben zerstört? Ja, das hat er, aber ich habe damit zu leben gelernt.“

Wir sollten die Mütter der Täterinnen nicht verurteilen. Noch vor vier Wochen waren es Mütter wie wir.

Foto: BILD

Dieser Artikel stammt aus BILD am SONNTAG. Das ePaper der gesamten Ausgabe gibt es hier.