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Lukaschenko rächt sich für 2020: "Wenn du nicht unterschreibst, siehst du deine Kinder nie wieder"

Lukaschenko rächt sich für 2020 "Wenn du nicht unterschreibst, siehst du deine Kinder nie wieder"

In Belarus gibt es unter Machthaber Lukaschenko schon immer Repressionen gegen Oppositionelle. Vor zweieinhalb Jahren gehen aber nicht nur Aktivisten, sondern hauptsächlich einfache Bürger gegen die Diktatur auf die Straße, Lukaschenkos Macht wackelt mächtig. Inzwischen ist der 68-Jährige wieder fest im Sattel - und will sich an jedem einzelnen Demonstranten rächen.

2020 bewunderte die halbe Welt die mutigen Belarussen, die sich gegen den Diktator Alexander Lukaschenko erhoben. Nach der erwiesenermaßen gefälschten Präsidentenwahl gingen damals Hunderttausende Menschen auf die Straße, um die Absetzung des Machthabers zu fordern. Doch eine friedliche Revolution scheiterte. Die Proteste wurden brutal niedergeschlagen, mehr als 30.000 Demonstranten kamen ins Gefängnis, mehrere wurden getötet.

Zweieinhalb Jahre später ist in Belarus nichts wie früher: Die Zivilgesellschaft ist zerschlagen; Menschen, die nicht inhaftiert oder ins Ausland geflohen sind, sind dermaßen eingeschüchtert, dass von einem Wiederaufflammen der Proteste keine Rede sein kann. In der Ukraine herrscht ein blutiger Krieg und Belarus ist Teil der Aggression gegen das südliche Nachbarland. Kriegsgegnern droht die Todesstrafe oder jahrzehntelange Haft. Lukaschenko, dessen Macht 2020 noch an einem seidenen Faden hing, sitzt fest im Sattel. Seine Schergen arbeiten fleißig daran, jeden Widerstand im Keim zu ersticken.

Die Gewalt- und Verhaftungswelle gegen die belarussischen Bürger geht ungehindert weiter - und das durchgehend seit zweieinhalb Jahren. Mitarbeiter der Geheimdienste werten Foto- und Videoaufnahmen von den Protesten aus und identifizieren dank Gesichtserkennungstools die Demonstranten. Jeder, der auch nur einmal an einer Demo teilnahm, kann jederzeit damit rechnen, von Uniformierten abgeholt zu werden.

"Früh am Morgen klingelte es an der Tür"

Olga und Sergej aus Minsk wurden Ende September aus ihrer Wohnung geholt. Das Ehepaar war nie politisch aktiv, konnte aber angesichts der Gewalt von Lukaschenkos Sicherheitsleuten nicht mehr schweigen. Die beiden 48-Jährigen gingen im August 2020 dagegen auf die Straße. Sie wurden damals nicht wie Zehntausende andere Belarussen festgenommen - aber zwei Jahre später mussten sie doch diese Gewalt und Brutalität an eigener Haut erfahren. Die Schrecken, die sie in den vergangenen Monaten durchgemacht haben, schilderten sie in einem Gespräch mit dem Blog "Ljudi" ("Menschen"). Den Bericht veröffentlichte auch der größte unabhängige exil-belarussische Nachrichtenportal Zerkalo. Mit freundlicher Genehmigung der Redaktion erscheint der Text gekürzt nun auch bei ntv.de.

"Früh am Morgen klingelte es an der Tür", erinnert sich Olga. "Und schon zwei Sekunden später hörten wir schrecklichen Lärm" - die Polizisten fingen an, mit einem Vorschlaghammer gegen die Tür zu schlagen. Als Olga und Sergej die Tür aufmachten, sahen sie mehrere Männer mit Maschinengewehren, in kugelsicheren Westen und Helmen. Dem Paar wurde befohlen, sich auf den Boden zu legen.

Auf Olgas Smartphone fanden die Beamten mehrere Abonnements für Telegram-Kanäle unabhängiger Medien, was unter Lukaschenkos Regime als Verbrechen gilt. Die Regierung hat die meisten nicht-staatlichen Verlage als "extremistisch" eingestuft und verboten. Auf Sergejs Smartphone konnten die Polizisten keine "extremistischen" Inhalte finden. Enttäuscht zogen sie ihn an den Beinen in die Küche und fingen an, ihn zu schlagen.

"Ihr seid Weicheier, ihr seid vor uns weggelaufen"

"Ich habe alles gehört, verstand aber nicht, womit sie ihn schlagen", sagt Olga. "War es ein Gürtel? Oder ein Maschinengewehr? Später erfuhr ich, dass sie vom Herd eine Bratpfanne genommen und meinen Mann damit geschlagen haben." Die Pfanne sei danach sogar verbogen gewesen, fügt Sergej hinzu. Später, im Gefängnis, stellte der Mann fest, dass er nicht der einzige ist, der von der Polizei mit Kochgerät verprügelt wurde. Mehrere seiner Mithäftlinge erzählten ähnliche Geschichten.

Während ihr Mann in der Küche geschlagen wurde, blieb Olga mit den Beamten im Flur. "Einer sagte zu mir: 'Ihr (Oppositionelle - Anm. d. Red.) seid solche Weicheier, ihr seid damals vor uns weggelaufen'." Die Proteste im Herbst 2020 verliefen seitens der Bevölkerung zumeist friedlich, die Polizei ging dagegen sehr brutal gegen Demonstranten vor. "Und ich dachte: Ich stehe hier im Morgenmantel, und du vor mir in voller Montur und mit einem Maschinengewehr. Ihr verprügelt zu zehnt meinen Mann und droht mir, meine Kinder wegzunehmen. Oh ja, du bist mutig und ich bin ein Weichei."

"Wir hätten eure Eltern töten können"

Bei der Durchsuchung der Wohnung - wonach die Beamten suchten, erfuhr das Ehepaar nicht - warfen die Polizisten Kleidung, Bücher und andere Gegenstände auf den Boden und trampelten darauf herum. Die Kinder des Paares saßen währenddessen in ihrem Zimmer, unter der Aufsicht eines bewaffneten Polizisten. "Meine Tochter erzählte mir später, was er ihnen gesagt hatte: 'Eure Eltern sind Kriminelle, seid nicht wie sie. Gut, dass sie die Tür schnell geöffnet haben. Sonst hätten wir sie mit Maschinengewehren aufgeschossen. Und dann wäre es lustig gewesen, wir hätten eure Eltern töten können', sagten sie den Kindern", erzählt Olga.

Nach der Durchsuchung nahmen die Polizisten das Ehepaar fest. Auf der Wache angekommen, wurde der Frau ein Protokoll zur Unterschrift vorgelegt, demzufolge sie angeblich gestand, eine gewaltsame Machtübernahme geplant, Straßen blockiert und Fotoaufnahmen an "extremistische" Telegram-Kanäle geschickt zu haben. Auf ihre Bemerkung, nichts davon gemacht zu haben, reagierte der Beamte genervt: "'Bist du bescheuert? Wenn du nicht unterschreibst, wirst du deine Kinder nie wiedersehen!'" Olga unterschrieb schließlich. Daraufhin teilte der Ermittler mit, dass gegen sie ein Strafverfahren eingeleitet worden sei.

Unter Ausreiseverbot wurde sie schließlich freigelassen. Warum das Ehepaar überhaupt festgenommen wurde, habe ihr niemand erklärt. Sergej kam an dem Abend nicht nach Hause, er wurde wegen "Rowdytum" zu 13 Tagen Haft verurteilt.

Zahnbüsten, Seife, Toilettenpapier - alles verboten

Seine "Strafe" verbüßte der Mann im berüchtigten Okrestina-Gefängnis. Nach seinen Worten waren in einer Viererzelle 18 Menschen untergebracht. Im Bericht, den Zerkalo veröffentlichte, schildert Sergej den unmenschlichen Umgang mit den Inhaftierten. Demnach sind jegliche Hygieneutensilien im Gefängnis verboten, sogar Zahnbürsten, Seife und Toilettenpapier. "In der Zelle ist immer das Licht an. Man schläft auf dem Boden, wie bei Tetris: Jemand liegt unter dem Bett, jemand unter dem Waschbecken. Man kann die Beine nicht ausstrecken, weil schon eine andere Person da liegt", erzählt Sergej.

"Wir haben uns hingelegt, alle 18, und dann geht die Tür auf und zwei weitere Personen kommen herein", erinnert sich Sergej an einen Abend im Gefängnis. "Und sie können nicht einmal den Boden betreten, weil alles voll mit Menschen bedeckt ist", sagt der Mann. "Viele waren durch Prügel verletzt, hatten gebrochene Rippen und verzogene Gesichter. Einige konnten vor Schmerzen nicht einmal richtig atmen." Das Fenster in der Zelle war laut Sergej nicht fest verschlossen. Dadurch war es nachts sehr kalt, "alle wurden krank, viele bekamen Covid-19".

Zu siebt in einer Isolationszelle

Doch das Schlimmste begann erst nach 13 Tagen, als die Haft eigentlich hätte vorbei sein sollen. Sergej wurde nicht freigelassen, stattdessen schickte man ihn für weitere drei Tage in eine anderthalb Mal drei Meter große Einzelzelle. "Es befanden sich sieben Personen darin. Alle husteten und niesten, einige hatten Fieber, andere Kopfschmerzen. Sie bekamen keine Medikamente. Tagsüber durfte man nicht sitzen. Und so standen wir den ganzen Tag, bis das Licht ausging", beschreibt Sergej die Bedingungen im Okrestina-Gefängnis.

Nach insgesamt 16 Tagen kam Sergej schließlich frei, am nächsten Morgen verließ er das Land. Einen Monat später gelang auch Olga und den Kindern des Paares die Flucht. Mitte Dezember konnte die Familie schließlich in einem EU-Land zusammengeführt werden.

Die Eheleute wissen immer noch nicht, wofür genau sie verfolgt wurden. "Unsere Schuld besteht einfach darin, dass wir Belarussen sind", sagt Olga. Dabei hatte die Familie noch verhältnismäßig Glück. Tausende ihrer Mitbürger sitzen wegen Teilnahme an friedlichen Kundgebungen weiterhin unter unmenschlichen Bedingungen hinter Gittern - und es werden immer mehr.