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Mammut-Prozess um gestartet - So viel verdiente der Ex-Chef von Wirecard

München – Es soll der größte Schwindel der deutschen Nachkriegsgeschichte sein: Start des Mammut-Prozesses um den Wirecard-Kollaps im Hochsicherheits-Gerichtssaal in der Münchner JVA Stadelheim! Mehr als 100 Verhandlungstage sind bis ins Jahr 2024 angesetzt.

Mehr als fünf Stunden dauert es, bis die drei Münchner Staatsanwälte die 87-seitige Anklageschrift verlesen. Die Angeklagten: Ex-CEO Markus Braun (53), der frühere Geschäftsführer einer Wirecard-Tochterfirma in Dubai, Oliver B. (49), und der Ex-Buchhalter von Wirecard, Stephan Freiherr von E. (48).

Ihnen wird u.a. gewerbsmäßiger Bandenbetrug, Marktmanipulation und Untreue zur Last gelegt. Braun und seinen mutmaßlichen Komplizen drohen jahrelange Haftstrafen.

Die Wirecard-Zentrale in Aschheim bei München. Der Konzern meldete 2020 Insolvenz an

Foto: Peter Kneffel/dpa

Wirecard galt zeitweilig als Shootingstar der Finanzbranche, meldete jährlichen Umsatz-Zuwächse von 30 bis sogar 50 Prozent, der Aktienkurs stieg zeitweise über 200 US-Dollar. Der Ex-CEO, seine Mitangeklagten und der untergetauchte Betriebsvorstand Jan Marsalek sollen die Bilanzen des Finanzdienstleisters jedoch seit 2015 gefälscht haben, Geschäfte über Drittanbieter erfunden haben.

Es geht laut Anklage um Scheinbuchungen von mehr als 1,9 Mrd. Euro. Die Umsätze und das Treuhandvermögen soll es laut Staatsanwaltschaft nie gegeben haben. Ohne die erfundenen Erlöse des Drittpartnergeschäfts sei Wirecard defizitär gewesen, sagte Staatsanwalt Matthias Bühring. Kredite über mehr als 200 Mio. Euro waren laut Anklage notwendig, „um den Kollaps des Unternehmens zu verhindern“.

Medienberichte über Unregelmäßigkeiten führten ab Ende 2019 zu einer umfassenden Durchleuchtung der Geldflüsse. Ein halbes Jahr später, im Juni 2020, meldete das DAX-Unternehmen Insolvenz an. Gläubiger blieben in der Folge auf Forderungen von über mehr als drei Mrd. Euro sitzen. Aktionäre verloren über 20 Mrd. Euro!

Brauns Motiv für den mutmaßlich historischen Schwindel laut Staatsanwaltschaft: „Er wollte die Stabilisierung des Aktienkurses auch, um den Wert seines Aktienpaketes von rund sieben Prozent der rund 123 Mio. Aktien zu erhalten, da er dieses auch als Sicherheit für verschiedene private Kredite hinterlegt hatte.“

Neben seinem siebenstelligen Gehalt und weiteren variablen Zahlungen erhielt Braun laut Staatsanwaltschaft auch eine jährliche Dividende für sein Aktienpaket von mehr als eine Mio. Euro. Zwischen 2015 und 2018 waren es insgesamt 5,5 Mio. Euro laut Anklageschrift.

Der Eingang zum unterirdischen Hochsicherheits-Gerichtssaal der JVA Stadelheim in München. Hier findet der Wirecardprozess statt. Über 100 Verhandlungstage sind angesetzt

Foto: Robert Gongoll

Braun selbst wies im Vorfeld des Prozesses die Vorwürfe durch seine Anwälte von sich. Er sei von seinem flüchtigen Ex-Kollegen Marsalek getäuscht und hintergangen worden, sieht sich als Opfer des Skandals. In seinem ersten öffentlichen Auftritt seit zweieinhalb Jahren blieb er zunächst einsilbig. Zum Start des Verfahrens bestätigte Braun lediglich seine Personalien. „Absolut richtig“, sagte er auf die Frage, ob er in der JVA Stadelheim untergebracht sei. Kommende Woche soll er sich zu den Vorwürfen umfassend äußern. Seine Verteidiger haben eine zweistündige t angekündigt.

Zu Verfahrensbeginn hatten Anwälte im Prozess Anträge angekündigt, die vom Gericht zunächst schnell abgehandelt und zurückgestellt wurden. Doch der beiläufige Vorgang könnte noch von Bedeutung sein. Anwalt Dr. Vincent Burgert vertritt eine der sogenannten Einzugsbeteiligten, die Firma OCAP Management aus Singapur. Ihr fällt laut Anklage eine zentrale Rolle bei den mutmaßlichen Bilanzfälschungen und angeblichen Scheingeschäften der „Wirecard-Bande“ zu.

Statistik: Wirecard Aktienkurs – Infografik

Jurist Burgert von der Münchner Kanzlei Burgert Krötz kündigte zu Prozessbeginn einen Antrag an. Mit diesem bittet er um eine Auskunft, ob Mitglieder der Kammer um den Vorsitzenden Richter Markus Födisch (48) „oder deren Angehörige Aktien der Wirecard AG besaßen und durch den Kurseinbruch Verluste erlitten haben.“

Auch der Münchner Anwalt Nico Werning, einer der Verteidiger von Markus Braun, stellte einen entsprechenden Antrag. „Es wird um dienstliche Stellungnahmen gebeten, ob Mitglieder der Kammer oder deren Angehörige bis zum Zusammenbruch der Wirecard AG Eigentümer von Aktien waren und wirtschaftliche Schäden erlitten haben.“

Falls das Gericht dies bejahen müsste, wäre es für die Verteidiger von Braun und seiner Komplizen ein Grund, die Kammer als befangen abzulehnen. „Richter sind befangen, wenn sie unmittelbar durch die Tat betroffen sind. Sollten Mitglieder der Kammer, Ehepartner, Lebensgefährten oder Geschwister durch den Kollaps von Wirecard Verluste erlitten haben, besteht die BesOb das Gericht sich dazu jedoch äußern wird, blieb zunächst unklar.“

Der Ex-Buchhalter von Wirecard, Stephan Freiherr von E. (48, l.), mit seinem Verteidiger Peter Pospisil vor Gericht. Der Angeklagte soll im Laufe des Prozesses psychiatrisch begutachtet werden

Foto: Robert Gongoll

Der frühere Chef-Buchhalter von Wirecard, Stephan Freiherr von E. (48), soll von zwei Gerichtspsychiatern begutachtet werden. U.a. von Prof. Dr. Norbert Nedopil (75). Der frühere Leiter der Abteilung für forensische Psychiatrie der psychiatrischen Klinik und Poliklinik der Ludwig-Maximilians-Universität München gehört zu Deutschlands bekanntesten psychiatrischen Sachverständigen, hatte u.a. Gustl Mollath (66) und NSU-Terroristin Beate Zschäpe (47) begutachtet. Nedopil war am ersten Verhandlungstag im Sitzungssaal anwesend, beobachtete Stephan Freiherr von E. Die eigentliche Evaluierung soll jedoch erst im kommenden Jahr stattfinden.

Es geht um die Feststellung, ob von E. – der bereits seit 2021 wieder auf freiem Fuß ist – im Tatzeitraum psychisch beeinträchtigt war. Damit könnte sich die Schuldfähigkeit mindern oder sogar ganz ausgeschlossen werden. Dann wäre eine Unterbringung des Ex-Buchhalters von Wirecard in einer psychiatrischen Anstalt statt im Vollzug einer Haftanstalt möglich. Das Landgericht München I hatte die beiden Gerichtsgutachter bestellt. Die Verteidiger von Stephan Freiherr von E., Dr. Sabine Sattler und Peter Pospisil, wollten sich dazu nicht äußern.