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Mariupol in der Ukraine: Satellit zeigt, wie Russen das zerstörte Theater verstecken

In großen weißen kyrillischen Lettern hatten sie das Wort auf das ordentlich gemusterte Pflaster des Platzes vor dem Akademischen Dramatheater der Oblast Donezk geschrieben: »Дети« – Kinder. Und auch auf der anderen Seite des Gebäudes, wo auf dem Zentralplatz von Mariupol im Sommer normalerweise die Springbrunnen plätscherten, nachts bunt angeleuchtet, hatten sie den Schriftzug gepinselt, wie auch hochauflösende Satellitenbilder des Privatunternehmens Maxar belegen.

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Von oben

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Verlag: Deutsche Verlags-Anstalt

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In den Tagen und Nächten nach dem russischen Einmarsch in der Ukraine am 24. Februar hatte die Stadtverwaltung von Mariupol ein halbes Dutzend öffentliche Gebäude als notdürftige Luftschutzeinrichtungen ausgewiesen. Wer anderswo keinen besseren Schutz fand, konnte hier unterkommen – und der aus der Luft gut sichtbare Hinweis auf die Kinder, die sich im Keller und im Rest des Gebäudes befanden, so hoffte man, würde die Russen von einem direkten Beschuss des Theaters abhalten.

Berichte über Bestattungen in Massengräbern

»Ich dachte, wenigstens hier sind wir nun sicher«, so hat es die Überlebende Maria Radionowa dem SPIEGEL später gesagt  . Doch am 16. März wurde das Theater schwer getroffen. Die genaue Zahl der Menschen, die sich zum Zeitpunkt des Angriffs in den Kellerräumen befanden, ist nicht klar. Bis zu 1300 Personen hätten dort zwischenzeitlich Schutz gesucht, erklärte die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa später in einem Bericht  . Nach dem Angriff, der zweifelsfrei mit Absicht erfolgt sei, so die Organisation, hätten etwa 150 Menschen die Schutzräume verlassen können, 300 weitere seien wohl verstorben – das Schicksal der restlichen Schutzsuchenden sei unter den Bedingungen des Krieges nicht zu klären gewesen. Eine Rekonstruktion  der Nachrichtenagentur AP kam zu dem Schluss, dass 600 Menschen gestorben sein könnten.

Eine Bombe, transportiert vermutlich von einem russischen Flugzeug, hat das Theater zerstört. Russland behauptete hingegen, ukrainische Kämpfer hätten sich in dem Gebäude versteckt und es schließlich selbst in die Luft gejagt. Eine SPIEGEL-Recherche  fand für diese Behauptung keinerlei Belege.

Nach dem Angriff, so schilderte es Augenzeugin Radionowa, hätten Überlebende zunächst mit bloßen Händen nach Verschütteten gegraben. Mehr als eine Woche lang  mühten sich dann Rettungstrupps. Bis etwa Ende Mai, so berichteten  es ukrainische Medien später, seien dann Trümmer aus dem Theater entfernt und Opfer geborgen worden. Diese seien in Massengräbern bestattet worden.

Ein aktuelles Satellitenbild des Theaters, ebenfalls aufgenommen von einem Maxar-Satelliten, zeigt nun, dass die russischen Besatzer das Haus offenbar bis zu einem möglichen Wiederaufbau – wann auch immer – verstecken wollten. Um das schwer beschädigte Gebäude wurde einstweilen ein hohes Gerüst errichtet, über das eine bedruckte Plane gespannt ist. Auf ihr ist unter anderem das Konterfei des russischen Dichters Michail Lermontow zu erkennen. Das Konzept, Schandflecke hinter einem Sichtschutz verschwinden zu lassen, ist nicht unüblich in Osteuropa.

Ein russischer Medienbericht  zeigt die Verhüllung des Theaters ebenfalls. Ein Reporter wirft auch einen Blick hinter die Plane. Die weiteren Aufräumarbeiten an der Ruine, so berichtet er dann, seien vorerst ausgesetzt.