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Marketing-Experte: „Viele WM-Sponsoren schalten jetzt in den Krisenmodus“

Sollten Sponsoren der Fußball-WM in Katar boykottiert werden? Und was bedeuten die Debatten rund um das Event für die betroffenen Marken? Marketing-Experte Christian Chlupsa nimmt im Interview Stellung

Christian Chlupsa ist BWL-Professor mit Marketing-Schwerpunkt an der FOM Hochschule in München

Sogar viele Fußballfans wollen aus Protest gegen Menschenrechtsverletzungen in Katar die WM-Spiele nicht anschauen. Aktivisten rufen auch zu einem Boykott der WM-Sponsoren auf. Was können Verbraucher damit tatsächlich bewirken?
CHRISTIAN CHLUSPA: Unternehmen werden an Quartals- und Jahresergebnissen gemessen, das heißt, ein Boykott schlägt sich nicht in vier oder fünf Wochen nieder. Die Verbraucher müssten also lange durchhalten, um ein Ergebnis zu erzielen, zum Beispiel monatelang keine Adidas-Produkte kaufen. Falls es einem Unternehmen deshalb irgendwann tatsächlich schlechter gehen würde, würde es unter anderem seine Preise senken. Wenn die ersehnten Sneakers dann plötzlich 69 statt 100 Euro kosten, lässt wahrscheinlich bei vielen Konsumenten die Willenskraft nach. Oder wenn das eigene Kind bei der WM im Fernsehen Schuhe gesehen hat, die es haben will – da werden viele schnell einknicken.

Aber wer durchhält, könnte den Unternehmen durchaus ein wirkungsvolles Signal senden?
Von den Sponsoren sind eigentlich nur vier in Deutschland aktiv: Adidas, Coca Cola, McDonald's und Visa. Bei Adidas trifft ein Boykott erst einmal die Falschen, nämlich den ohnehin schon gebeutelten deutschen Einzelhandel. Die Händler haben die Ware mit Blick auf die WM ja schon bestellt und bezahlt. Bei Adidas würde ein Boykott also noch später durchschlagen. Unabhängig von der WM halte ich es aber schon für erstrebenswert, sich zu fragen, welche Unternehmen sich ethisch korrekt verhalten, und sein Kaufverhalten entsprechend anzupassen. Die Unternehmen merken das durchaus, es geht allerdings nur auf lange Sicht.

Die deutsche Fußballnationalmannschaft trainiert am Dienstag im katarischen asch-Schamal

Rewe kündigt dem DFB die Zusammenarbeit auf. Könnte das Beispiel Schule machen? Derzeit sieht es eher nicht danach aus. Was andere Sponsoren sagen

Wie schädlich ist das WM-Sponsoring fürs Image der werbenden Unternehmen in der westlichen Welt?
Viele Sponsoren werden jetzt in den Krisenmodus schalten: den Fußball betonen und Katar kleinhalten, nach dem Motto „Wir sponsern den Fußball, die Fifa ist verantwortlich für den Ort“. Viele werden die WM ohnehin nicht so hoch hängen wie ursprünglich geplant. Ich denke, dass sie nicht ein so negatives Image der WM erwartet haben. Das wird sich wohl auch nicht mehr drehen. Ähnlich wie bei den Olympischen Spielen 1972 in München, mit denen man häufig nur noch das Attentat auf die israelische Mannschaft verbindet, wird der WM in Katar immer etwas Negatives anhaften. An den Sponsoren wird nach meiner Einschätzung aber nichts „kleben“ bleiben. Ihre Marketingprofis werden die WM spätestens nach dem Endspiel aus der Kommunikation nehmen.

Die WM-Sponsoren argumentieren, sie könnten Positives bewirken, die Menschenrechtslage in Katar verbessern. Was halten Sie von diesem Argument?
Momentan halte ich das für ein Feigenblatt und vorgeschoben. Projekte, die zum Beispiel Wanderarbeitern helfen, müssten langfristig sein, um über die WM hinaus Wirkung zu entfalten. Solche gibt es wahrscheinlich, aber nicht viele.

Warum sponsern diese Unternehmen auch diese WM – geht es nur um die Millionen, die das Event in Katar bringt oder stecken auch andere Gründe dahinter?
Adidas zum Beispiel bleibt fast nichts anderes übrig. Für Sportartikel-Hersteller ist es nicht nur bei WM und Fifa ein riesiger Kampf, überhaupt als Sponsor reinzukommen. Selbst bei weniger bekannten Sportarten buhlen sie darum, Sponsor zu werden. Wenn sie die WM jetzt nicht sponsern würden, wären sie beim nächsten Mal auch nicht dabei. Deshalb denken sie sich jetzt wahrscheinlich „Augen zu und durch“.

Vereinzelte Marken boykottieren die WM trotzdem. Für welche Unternehmen lohnt sich das – und ist das der eigentliche Grund für einen Boykott? Mancher boykottiert die WM, macht aber auf anderem Weg Geschäfte mit Katar.
Es macht einen Unterschied, ob ich mich entscheide, etwas nicht zu tun, oder das auch lauthals verkünde. Viele versuchen, das nun öffentlich zu spielen - obwohl es in ihrem Fall gar keine Bedeutung hat. Für Adidas würde sich ein Boykott nicht lohnen, denn dieser würde auch auf Sponsorenverträge mit den Fußballvereinen ausstrahlen, in den die Nationalspieler spielen. Wenn Adidas diese WM nicht sponsern würde, würde es nicht mehr als verlässlicher Vertragspartner wahrgenommen. Damit würde das Unternehmen auch andere Verträge riskieren - aus der Nummer kommt es also schlecht raus.

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Entscheiden sich Unternehmen am Ende immer für die Haltung, mit der sie weltweit am meisten verdienen oder entwickeln inzwischen tatsächlich mehr Unternehmen eine echte Haltung? In der Außendarstellung spielt sie ja inzwischen eine große Rolle.
In Deutschland gibt es viele Familienunternehmen wie zum Beispiel die Sportbekleidungsfirma Trigema, die tatsächlich Werte wie Familie, Tradition und Nachhaltigkeit haben. Inzwischen gibt es aber auch große Unternehmen wie Patagonia, die das leben. Dessen 83-jähriger Gründer hat sein milliardenschweres Outdoor-Unternehmen an einige Stiftungen übertragen, alle Gewinne sollen in den Kampf gegen die Klimakrise gehen.

Lohnt sich eine echte Haltung für weltweit agierende Unternehmen am Ende auch finanziell?
Langfristig ist das schon interessant, wenn sich ein Unternehmen moralisch ordentlich aufstellt, so dass es zur Zielgruppe passt. Heute wird allerdings oft auf Hypes aufgesprungen, beim Christopher Street Day sind alle „Regenbogen“, bei der Weltklimakonferenz plötzlich alle nachhaltig. Man sollte sich als Unternehmen stattdessen überlegen, welche Werte zum eigenen Markenkern passen; bei Adidas zum Beispiel geht es um Sport. Es ist gut, andere Werte im Auge zu haben und zu leben, Adidas etwa sollte sich natürlich divers aufstellen. Aber Firmen sollten Werte, die nicht zu ihrem Kern gehören, nicht aktiv kommunizieren, um ihre Marke nicht zu verwässern. Wer sich auf seinen Kern konzentriert, ist langfristig erfolgreicher.

Mit einem Eintreten für „unsere“ Werte verschrecken Unternehmen außerdem manch andere Märkte. Ähnlich verhält es sich beim Rückzieher des DFB bei der Regenbogen-Kapitänsbinde. 
Als Manuel Neuer würde ich mir auch gut überlegen, ob ich mit der Armbinde auflaufe. Ich denke, da haben sich einige Funktionäre überschätzt, als sie dachten, sie könnten in Katar westliche Werte durchsetzen. Auch die Katarer haben natürlich ein Stück weit ein Spiel gespielt, am Ende setzen sich die Hardliner durch, wie auch das Alkoholverbot rund um die Stadien zeigt. Wir pflegen aber ebenfalls eine Doppelmoral, wenn wir die WM verurteilen und gleichzeitig eine Energiepartnerschaft mit Katar schließen.

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Bislang haben nur wenige Unternehmen Interesse, mit der Fußball-WM in Russland zu werben. Der Weltverband könnte erstmals auf vielen Vermarktungsrechten sitzen bleiben – eine Gefahr für seine Budgetplanung

War der Aufschrei eigentlich bei anderen Sportveranstaltungen wie Olympia in China oder der WM in Russland auch so groß? Warum empören sich plötzlich so viele über ausgebeutete Arbeiter oder verfolgte Homosexuelle? Vielen sind die Rechte dieser Menschen sonst ja ziemlich egal.
In Katar kam schon viel zusammen: die umstrittene Vergabe, der Tod von Bauarbeitern, die Homosexuellenfeindlichkeit, jetzt auch noch das Alkoholverbot und der Skandal um die Kapitänsbinde. So eine serielle Negativkommunikation gab es in der Form noch nie.

Wenn ich nicht mehr mit der Visakarte bezahlen, keine Cola trinken, keine Adidas-Sneakers tragen, aber andererseits ja auch keine Kleidung aus Bangladesch kaufen „darf“ – wie kann ich als Verbraucher noch konsumieren, ohne gegen meine eigenen Werte zu verstoßen?
Ich entscheide mit jeder Konsumentscheidung, wen ich unterstütze. Besonders bei Produkten wie Milch oder anderen Lebensmitteln, die ich oft kaufe, und großen Anschaffungen lohnt sich eine kleine Recherche, wo ich mein Geld lasse, zum Beispiel lokal oder regional. Dann können solche Firmen auch wachsen, wie das Beispiel des schwedischen Haferdrink-Herstellers Oatly zeigt, der heute börsennotiert ist.

Dieser Artikel ist zuerst auf ntv.de erschienen. 

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