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Maskenklagen: Wie das Gesundheitsministerium seine Maskengeschäfte geheim halten will

Auch Karl Lauterbach verhindert Transparenz zu den Maskendeals seines Vorgängers. Prozessunterlagen zeigen, dass sein Ressort dabei auch zu seltsamen Behauptungen greift – wie angebliche Sicherheitsrisiken für seine Beamten. Jetzt hat ein Gericht die Behörde abgewatscht

Fast drei Jahre ist es her, dass der Staat in der Corona-Krise zum Großeinkäufer von Schutzmasken wurde. Um an die damals knappen Masken zu kommen, schlossen Bund und Länder teils abenteuerliche Deals. Bis heute laufen deshalb immer noch mehrere Dutzend Gerichtsverfahren. In den meisten Fällen klagen Lieferanten, die bis heute auf ihr Geld warten, gegen den Bund. Streitwert zuletzt: mehr als 400 Mio. Euro.

Unterlagen aus einem speziellen Verfahren vor dem Verwaltungsgericht Köln, die Capital vorliegen, geben nun Einblicke in die Prozesstaktik des Bundesgesundheitsministeriums, gegen das sich die Klagen der Lieferanten richten. Ein Unternehmer aus Offenburg hatte von dem Ministerium unter Berufung auf das Informationsfreiheitsgesetz (IFG) die Offenlegung von Dokumenten aus dem sogenannten Open-House-Verfahren verlangt – einem vereinfachten Bestellverfahren, über das der damalige Minister Jens Spahn (CDU) Massen von Schutzmasken für 4,50 Euro je FF2-Maske einkaufte. Konkret geht es in seiner im April 2021 eingereichten Klage unter anderem um die Prüfberichte zu angeblich mangelhaften Maskenlieferungen, auf deren Grundlage das Ministerium die Zahlungen verweigerte – aber auch Unterlagen der Consultingfirma EY. Die Berater hatte Spahn im April 2020 eingeschaltet, um das Chaos bei der Maskenbeschaffung in den Griff zu bekommen. Wie der Bundesrechnungshof später feststellte, hatte das Ministerium seinerzeit Milliarden Schutzmasken zu viel und zu teuer geordert.

Doch auch fast drei Jahre später will das inzwischen von Karl Lauterbach (SPD) geführte Ressort die Unterlagen nicht freigeben, weshalb der Open-House-Lieferant Joachim Lutz seine Ansprüche vor Gericht durchsetzen wollte. Das Urteil vom 19. Januar zugunsten von Lutz könnte angesichts der bislang auch unter Lauterbach beibehaltenen Blockadehaltung bei der Aufklärung merkwürdiger Maskendeals aus dem Jahr 2020 noch wichtig werden. Im Zusammenhang mit Großaufträgen an die Schweizer Firma Emix ermittelt auch die Staatsanwaltschaft Berlin wegen Korruptionsverdachts gegen einen bis heute amtierenden Abteilungsleiter des Ministeriums. Im Fall Emix entschied das Kölner Verwaltungsgericht im Januar in einem parallelen Verfahren, dass das Gesundheitsressort die Kommunikation des früheren Ministers Spahn mit der Emix-Vermittlerin Andrea Tandler herausgeben muss, so weit dadurch keine Geschäftsgeheimnisse berührt sind.   

Hoher Aufwand befürchtet

Das IFG gewährt allen Bürgerinnen und Bürgern das Recht, Dokumente der Verwaltung einzusehen – sofern nicht gewisse Ausnahmegründe dagegen sprechen. In dem Kölner Verfahren hatte die vom Gesundheitsministerium mandatierte Kanzlei Redeker Sellner Dahs gleich eine ganze Litanei von Gründen angegeben, die einer Herausgabe der Dokumente zum Open-House-Verfahren angeblich entgegen stünden: der Arbeitsaufwand durch „mehrere Zehntausend zu sichtende Seiten“, der das Ministerium von seinen „Kernaufgaben“ abhalten würde, der Datenschutz, das Urheberrecht, das Anwaltsgeheimnis, auf das sich auch die mit den Vorgängen befassten Juristen des Ministeriums berufen könnten, Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse von beteiligten Firmen, der besondere Schutz des „Kerns der exekutiven Eigenverantwortung“ des Regierungshandelns, die Einstufung der von Lutz angeforderten Prüfberichte als vertrauliche Verschlusssachen.

Auch auf den Schutz der finanziellen Interessen des Bundes pochten die Prozessvertreter des Ministeriums – schließlich handele es sich bei dem Kläger um einen Unternehmer, der in einem separaten Verfahren vor dem Landgericht Bonn den Bund auf Bezahlung seiner gelieferten 300.000 Masken im Gesamtwert von 1,6 Mio. Euro plus Zinsen verklagt. Da könnten die Dokumente, deren Herausgabe Lutz per IFG-Antrag erreichen will, ja seine eigentliche Klage stützen. Wie die anderen der rund 100 Lieferanten, die in Bonn gegen den Bund wegen ausstehender Zahlungen klagen, vermutet der Unternehmer, dass das Ministerium die vermeintlichen Qualitätsmängel oder verspäteten Lieferungen der Masken nur vorschiebt, um nicht bezahlen zu müssen.

Ministerium sieht Bedrohung für Beamte

Um die Ansprüche auf Zugang zu den Dokumenten aus dem chaotischen Einkaufsverfahren abzuwehren, scheuten die Anwälte des Ministeriums auch vor seltsam anmutenden Argumenten nicht zurück. So trugen sie den Kölner Verwaltungsrichtern vor, im Fall einer Herausgabe der Prüfberichte zu rund 10.000 Maskentests und weiterer Dokumente sei eine Gefährdung der „persönlichen Schutzgüter“ der beteiligten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Ministeriums zu erwarten. In anderen Worten: Die Sicherheit dieser Beschäftigten wäre bedroht. Zur Begründung verwiesen die Anwälte der Kanzlei Redeker Sellner Dahs, die Bundesministerien häufig zur Abwehr von Auskunftsklagen mandatieren, darauf, dass sich die Sicherheitslage von Amtsträgern des Gesundheitsressorts seit Januar 2022 „deutlich verschlechtert“ habe. Ihr Beleg dafür: die erhöhten Schutzmaßnahmen für Minister Lauterbach. Dies strahle auch „unmittelbar“ auf die übrigen Beschäftigten des Ministeriums aus, insbesondere auf jene, die mit Corona-Maßnahmen beschäftigt gewesen seien. Kläger Lutz vermutet dagegen ein anderes Motiv für die Geheimhaltung: Aus den Ministeriumsunterlagen könnte sich Munition für seine Klage ergeben, womöglich sogar auch Hinweise auf andere Unregelmäßigkeiten bei Maskendeals unter Spahn.

Tatsächlich waren im April 2022 Pläne einer Gruppe aus der Reichsbürger-Szene bekannt geworden, Lauterbach zu entführen. Aber dass Drohungen gegen den in der Corona-Krise besonders exponierten Lauterbach breit auf normale Beamte „ausstrahlen“, erschien auch dem Gericht etwas weit hergeholt. Zu Fragen von Capital, auf welchen konkreten Anhaltspunkten die behaupteten Sicherheitsrisiken basieren und ob Minister Lauterbach die Behauptung seiner Anwälte teilt, wollte sich das Gesundheitsministerium nicht äußern. Man prüfe derzeit das Urteil des Kölner Verwaltungsgerichts, aus Rücksicht auf die laufende Prüfung könne man derzeit „keine näheren Auskünfte“ erteilen, erklärte ein Ministeriumssprecher.

Annegret Kramp-Karrenbauer steht vor der Transportmaschine mit den Masken, die gerade entladen

Im Frühjahr 2020 ließ die Bundesregierung Masken mit Bundeswehr-Chartermaschinen nach Deutschland fliegen – auch Masken des umstrittenen Lieferanten Emix. Zu dem Transport verstrickt sich das Gesundheitsministerium bis heute in fragwürdige Angaben

Im Zentrum der Auswertung steht eine 50-seitige Begründung des Urteils vom 19. Januar, in dem die Kölner Verwaltungsrichter der Klage von Lutz recht gaben. Das Ministerium müsse die erbetenen Dokumente herausgeben, andernfalls könnten Vollstreckungsmaßnahmen verhängt werden, also ein Zwangsgeld. Inzwischen hat Lutz‘ Berliner Anwalt Christoph Partsch, der zu den renommiertesten IFG-Experten des Landes zählt, dem Ministerium eine Frist gesetzt: Bis zum 15. Februar muss es die Dokumente vorlegen. Ob es der Aufforderung nachkommen oder versuchen wird, gegen das Urteil vorzugehen, ließ der Ministeriumssprecher unter Verweis auf die Prüfung offen.

Die im nüchternen Duktus der Verwaltungsjuristen gehaltene Urteilsbegründung liest sich wie eine Klatsche für das Gesundheitsressort, dessen Argumente gegen eine Offenlegung fast ausnahmslos zurückgewiesen werden. Immer wieder heißt es, diese seien „unsubstantiiert“, „pauschal“ oder es mangele an der Darstellung „konkreter Tatsachen“. An einer Stelle watscht die Kammer das Ministerium und seine Anwälte regelrecht ab: „Die Beklagte beschränkt sich – wie auch im Übrigen – auf die Darlegung allgemeiner und abstrakter Besorgnisse.“ Soll heißen: Viel Geraune, wenig Konkretes.

Wiederholt führt das Gericht aus, Ausnahmen für eine Offenlegung von Akten nach dem IFG müssten nach geltender Rechtsprechung „eng ausgelegt“ werden. So bestehe etwa kein Recht auf eine Ausnahme, um die laufenden Klagen von Maskenlieferanten gegen den Bund abwehren zu können. Die „Erfolgsaussichten der öffentlichen Hand vor Gericht“ seien durch die Ausnahmeregeln nicht geschützt, schreiben die Richter. Diese seien „kein Instrument, um den Haushalt vor (gegebenenfalls gerechtfertigten) Schadensersatzansprüchen zu schützen“. In anderen Worten: Wenn der Staat die Rechte von Vertragspartnern verletzt hat, darf er dies nicht auch noch vertuschen, um keinen Schadenersatz bezahlen zu müssen.

Gericht: Ministerium „ergeht sich in Mutmaßungen“

Auch den Verweis des Ministeriums auf Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse beteiligter Firmen lassen die Richter nicht gelten. Es sei nicht belastbar begründet worden, wie Vorgänge aus dem Jahr 2020 zu einem abgeschlossenen Verfahren noch heute relevante Geschäftsgeheimnisse enthalten könnten – zumal es sich bei dem Open-House-Verfahren um einen einmaligen Vorgang handele. Ebenso rügen sie die Entscheidung des Ministeriums, die Prüfberichte zu den Maskentests als Verschlusssache einzustufen – etwas, das in erster Linie zum Schutz der äußeren und inneren Sicherheit der Bundesrepublik erfolgt. Das Gesundheitsressort hatte die Geheimhaltung damit begründet, dass die betroffenen Lieferanten bei einem Bekanntwerden der Prüfberichte den Bund auf Schadensersatz verklagen könnten. „Dies trägt die Einstufung weder im Ansatz noch in der Begründung“, rügen die Richter. Auch im Fall eines IFG-Antrags aus der Capital-Redaktion zu den Maskenverträgen aus dem Juni 2022 begründete das Ministerium seinen Ablehnungsbescheid mit der Einstufung sämtlicher Dokumente als Verschlusssache – der Widerspruch läuft, eine Entscheidung ist überfällig.

Abgebügelt wurde schließlich auch das Argument, ein Bekanntwerden der Namen von Beamten, die mit dem Open-House-Verfahren befasst waren, sei geeignet, deren Sicherheit zu gefährden. Die Beklagte – also das Ministerium – habe dazu keine „konkreten oder auch nur abstrakten“ Anhaltspunkte geliefert, schreiben die Richter, „vielmehr ergeht sie sich in Mutmaßungen“. Der Verweis auf die Sicherheitssituation von Minister Lauterbach und eine angebliche „Ausstrahlungswirkung“ auf seine Beamten genüge nicht.

In ihrem Urteil entschieden die Kölner Richter, keine Berufung zuzulassen. Allerdings bleibt dem Gesundheitsministerium noch die Möglichkeit, vor dem nordrhein-westfälischen Oberverwaltungsgericht in Münster die Zulassung der Berufung zu erreichen. Zu der Frage, ob es dies plant, wollte sich der Ministeriumssprecher aufgrund der laufenden Prüfung nicht äußern.

Unternehmer Joachim Lutz hatte gegen das Bundesgesundheitsministerium unter Berufung auf das Informationsfreiheitsgesetz (IFG) geklagt

Unternehmer Joachim Lutz hatte gegen das Bundesgesundheitsministerium unter Berufung auf das Informationsfreiheitsgesetz (IFG) geklagt

© Privat

„Mit diesem Urteil kommen wir der Wahrheit näher, wie es zu einer ungeheuren Verschwendung von Steuergeldern und zu dem nachfolgenden Vertragsbruch kam“, sagte Kläger Lutz. Sein Anwalt Christoph Partsch fügte hinzu: „Das Bundesgesundheitsministerium hat viele Verträge mit Lieferanten gebrochen. Bis heute verschleppt es die Klärung durch die Gerichte.“ Lieferanten, die bisher noch nicht geklagt oder ihre Teilklage erweitert haben, drohe mit Ende des Jahres 2023 die Verjährung. Auch deshalb rechnet Partschs Kollege Axel Mütze damit, dass Lauterbachs Ministerium die von dem Urteil betroffenen Akten nicht umgehend herausgeben werde, sondern wohl erst in einigen Monaten – nach der Androhung eines Zwangsgeldes.

 EY macht Kasse, Deloitte steigt groß ein

Die Nachwehen der Masken-Geschäfte in der Frühphase der Corona-Krise 2020 bleiben damit auch drei Jahre später eine Erlösquelle für diverse Dienstleister des Bundes – allen voran für den Beratungskonzern EY. Inzwischen haben die Ausgaben an dessen Rechtsberatungsarm EY Law nach Angaben des Lauterbach-Ressorts die Grenze von 40 Mio. Euro überschritten. Hinzu kommen 36,8 Mio. Euro, die EY seit April 2020 als zentraler Dienstleister für die Abwicklung der Masken-Verträge erhalten hat. Damit summiert sich der Umsatz des EY-Konzerns, der wegen der Rolle seiner Wirtschaftsprüfer im Bilanzfälschungsskandal bei Wirecard in Deutschland mit Imageproblemen kämpft, mit dem Gesundheitsressort auf fast 80 Mio. Euro.

Neben Kanzleien mit deutlich kleineren Honorarbudgets wie CMS oder Redeker ist inzwischen auch der EY-Konkurrent Deloitte groß im Geschäft. Ein früherer EY-Anwalt hat bei seinem Wechsel zu Deloitte jüngst einige der Open-House-Klagen mitgenommen. Mehr als 60 der rund 100 Verfahren betreut allerdings nach Angaben aus Kreisen der Verfahrensbeteiligten weiterhin EY Law.

Weitaus lukrativer ist noch der Folgeauftrag als Dienstleister des Gesundheitsressorts für die Abwicklung der Masken-Verträge, für den sich EY nach knapp zwei Jahren nicht wieder beworben hatte: Für diese sogenannte Betriebsführung ist nun Deloitte zuständig, laut einer Vergabemitteilung für ein Auftragsvolumen von 16,9 Mio. Euro über zehn Monate. Für die Durchführung des Auftrags wird demnach mit 43 Vollzeitstellen kalkuliert – so viel Personal wie mitten in der Corona-Krise. Allerdings gibt es beim Bund in Sachen Masken bis heute auch immer noch etwas zu tun: Bei Hunderten von Millionen teuer beschaffter Masken ist inzwischen das Haltbarkeitsdatum abgelaufen. Nun müssen sie fachmännisch entsorgt werden – auf Steuerzahlerkosten.

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