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Massai in Kenia: "Viele Familien müssen zum letzten Mittel greifen"

Nach vier Jahren nahezu ohne Regen regiert der Staub in Kenia. Eine Massai berichtet, wie der Alltag zum Überlebenskampf geworden ist und wie Deutschland helfen kann.

Wo einst gut genährte Rinder durchs Gras wanderten, liegen jetzt Gerippe auf dem Boden. In Kenia ist inzwischen die vierte Regenzeit in Folge ausgefallen. Auf dem Viehmarkt in Kajiado, im Süden des Landes, sind viele Tiere so schwach, dass sie kaum laufen können: Fotos aus dem November zeigen Hirten der Massai, die verzweifelt versuchen, ihre fast verhungerten Kühe zum Aufstehen zu bewegen.

Anita Soina (22) will das nicht hinnehmen. Sie stammt aus Kajiado County, gehört selbst zur Volksgruppe der Massai, die als Halbnomaden von der Viehzucht leben. Frustriert davon, dass sich die Regierung in Nairobi trotz des verheerenden Wassernotstands zu wenig um den Klimaschutz kümmerte, kandidierte Soina im Sommer kurzerhand selbst.

"Wieso soll die Jugend mit Plakaten auf Demos 'bitte, bitte' machen, wenn wir mitregieren können?", fragt sie. Soina ist als Aktivistin aktiv, hat eine eigene Klima-NGO und eine Stiftung gegründet, ein Buch geschrieben und spricht auf nationalen und internationalen Bühnen über die Auslöser und Auswege aus der Dürre. Inzwischen ist sie in Kenia so bekannt, dass die Klatschpresse über ihr Privatleben spekuliert.

Für einen Sitz im Parlament hat es bisher dennoch nicht gereicht, doch Soina will bei der nächsten Wahl erneut antreten. Im Interview mit t-online berichtet die junge Massai, warum sie ihren Kampf für Klimagerechtigkeit über die Grenzen Kenias hinaus ausweitet und wieso gerade Deutschland mehr tun muss.

t-online: Vier Jahre nahezu ohne Regen sind in Deutschland bisher unvorstellbar, am Horn von Afrika aber Realität. Was macht diese extreme Trockenheit mit dem Alltag der Menschen?

Anita Soina: Es ist die schlimmste Dürre seit mehr als 40 Jahren. Inzwischen können wir unsere Tiere nicht mehr füttern, obwohl sie unsere einzige Einkommensquelle sind. Früher gab es für eine erwachsene Kuh umgerechnet 300 US-Dollar auf dem Markt, jetzt müssen wir die nahezu verhungerten Tiere für 5 Dollar verscherbeln. Davon können die Familien sich nicht ernähren und müssen zum letzten Mittel greifen, um zu überleben.

Unsere jungen Mädchen werden jetzt sehr früh verheiratet. Die Eltern brauchen das Brautgeld, damit sie und ihre anderen Kinder nicht verhungern. Ich glaube, was man in vielen reichen Ländern noch nicht versteht: Dürre schafft auch massive soziale Probleme.

Welche anderen übersehenen Konsequenzen hat der Wassermangel für die Massai?

Frauen und Mädchen müssen viel weitere Strecken laufen, um Wasser zu holen. Dadurch ist das Risiko enorm gestiegen, auf dem Weg vergewaltigt oder von Tieren angegriffen zu werden. Früher haben wir dafür gekämpft, dass die Bevölkerung Zugang zu sauberem Wasser hat. Jetzt geht es nur noch darum, überhaupt Wasser zu bekommen.

Kenias neuer Präsident, William Samoei Ruto, sprach kürzlich davon, dass es trotz dieser extremen Situation an Solidarität mit ärmeren Ländern fehle. Wie sehen Sie das?

Wir haben gerade einen Präsidenten, der sich sehr um Klimabelange bemüht. In jeder Rede kämpft er dafür, dass wir die Unterstützung kriegen, die wir verdienen. Ich sage bewusst "verdienen", weil der gesamte afrikanische Kontinent weniger als vier Prozent der globalen Treibhausgase produziert, aber mit am schlimmsten von den Folgen der Klimakrise betroffen ist.

Welche Art von Hilfe ist aus Ihrer Sicht am dringendsten?

Ich erwarte, dass die größten Verursacher der Klimakrise ihre Emissionsziele verschärfen. Wir haben immer noch Länder, die erst für 2060 oder 2070 versuchen wollen, klimaneutral zu sein, obwohl die Lage jetzt schon eskaliert.