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Massiv steigende Gaspreise: Deckel gegen Desaster

Gasherd

Gasherd

Foto: Christopher Neundorf / Kirchner-Media / IMAGO

Als am vergangenen Dienstag die SPD-Fraktion tagt, muss sich Kanzleramtschef Wolfgang Schmidt einiges anhören. Viele Abgeordnete sind gerade erst aus ihren Wahlkreisen nach Berlin zurückgekehrt. Und sie haben Geschichten von verzweifelten Bürgerinnen und Bürgern mitgebracht, die manchem Genossen den Atem stocken lassen.

Es sind Berichte über strauchelnde Firmen und um ihre Existenz bangende Familien, über Menschen, die nicht mehr wissen, wie sie ihre Energierechnungen bezahlen sollen, seitdem die Preise für Strom und Gas in die Höhe geschossen sind, mitunter um ein Vielfaches.

Man kann das, was die Abgeordneten da Olaf Scholz' engem Vertrauten vortragen, als Anklage verstehen, zumindest jedenfalls als eindringlichen Appell: Tut endlich etwas – und zwar sofort.

»Die Regierung muss jetzt noch schneller handeln«

Einer, der sich an diesem Tag meldet, ist Matthias Mieves, ein junger Abgeordneter aus Kaiserslautern. Noch nie zuvor hat in der Fraktion das Wort ergriffen. Jetzt erzählt er von einer Familie, die fortan fast das gesamte Netto-Gehalt des Vaters für Gas ausgeben muss, eine deutlich vierstellige Euro-Summe.

Dem SPIEGEL sagt er später  , selbst alle bisherigen Hilfen zusammengerechnet, seien bei manchen Familien noch weit von dem entfernt, was sie benötigen, »um von der Not in eine zumindest halbwegs beherrschbare Situation zu kommen«.

Die Sache dränge, sagt Mieves, »die Regierung muss jetzt noch schneller handeln«. Was er meint: Der Staat soll eingreifen – und ähnlich wie es beim Strom geplant ist auch die Gaspreise begrenzen.

Kanzler Olaf Scholz in Katar: Gespräche über Energielieferungen

Foto: Kay Nietfeld / dpa

Es ist deutlich spürbar in diesen Tagen: Die Panik vor Herbst und Winter wächst in der Politik, vor der möglichen Katastrophe, die da auf das schon jetzt krisengeschüttelte Land zurollt, vor Firmenpleiten, vor Privatinsolvenzen – gar vor einer regelrechten Deindustrialisierung.

Dabei fühlt bislang nur ein Teil der Menschen am eigenen Leibe, welches Desaster sich da anbahnt. Viele haben ihre neuen Abschlagsrechnungen noch gar nicht erhalten, mitunter halten sich die Preissprünge auch noch im Rahmen, weil die Anbieter langfristig Gas eingekauft haben – also auch noch zu günstigeren Zeiten.

Doch lange wird dieser Effekt nicht anhalten. Und dann? An den Märkten hat sich die Lage zwar aktuell wieder etwas entspannt – doch die dort aufgerufenen Gaspreise liegen immer noch ein Vielfaches über dem, was sie noch vor einigen Monaten betragen hatten. Eine echte Trendwende in Richtung halbwegs moderater Kosten ist nicht in Sicht.

Nur: Der Regierung fehlt bislang ein handfester Plan, wie sie das Unheil abwenden will.

Eingriffe kompliziert

Während sich die Ampelkoalition als Teil ihres jüngsten Entlastungspakets im Grundsatz auf eine Strompreisbremse verständigt hat, die zumindest einen gewissen Basisverbrauch zu günstigeren Konditionen sichert, ist beim Gas nach wie vor alles offen.

Der Grund: Eingriffe in den Gasmarkt gelten als besonders kompliziert, die Regierung hat das Thema zunächst einer Expertenkommission überlassen. Die Runde tagte am Samstag zum ersten Mal.

Allerdings ist der Druck, die Preise endlich zurückzudrehen, inzwischen so hoch, dass kaum noch ein Weg daran vorbeizuführen scheint.

In der SPD-Fraktion ist die Forderung nach einem Deckel längst weit verbreitet, daneben drängeln vor allem die wahlkämpfenden Genossen in Niedersachsen, die gerne vor der Abstimmung am 9. Oktober positive Nachrichten aus Berlin vorweisen würden.

Auch Grünenchef Omid Nouripour sagte am Sonntag: »Wir brauchen natürlich auch einen Gaspreisdeckel.« Und auch FDP-Chef und Finanzminister Christian Lindner ist inzwischen offen für einen solchen Schritt: Eine Gaspreisbremse müsse die Preise senken, sagte er der »Bild am Sonntag«. Sie müsse »allen Menschen in einer Volkswirtschaft schnell helfen«.

Auch Kanzler Scholz selbst, der sich bislang in der Frage oft zurückgehalten hatte, sagte bei seinem Besuch in Katar: Es gehe jetzt darum, »wie wir die viel zu hohen Preise reduzieren können«.

Wer soll bezahlen?

Nur klar ist auch: Auf den Staat kommen gewaltige Kosten zu, sollte er wirklich in den Gasmarkt eingreifen. Laut einem RND-Bericht müsste der Staat 2,5 Milliarden Euro zuschießen – allein, um den Endverbraucherpreis pro Kilowattstunde um nur einen Cent zu senken.

Bleibt die Frage: Wer soll dafür bezahlen? Finanzminister Lindner will nach wie vor von einer Aufweichung der Schuldenbremse nichts wissen. »Eine Gaspreisbremse muss mit langfristig stabilen Staatsfinanzen verbunden werden«, sagte er am Wochenende. »Die Schuldenbremse für den Bundeshaushalt steht.«

Das klingt angesichts der gigantischen Herausforderungen, vor denen die Republik steht, zunehmend schräg. Zumal der FDP bei den Schulden die Verbündeten von der Stange gehen. Sozialdemokraten und Grüne halten die Schuldenbremse zumeist ohnehin für einen Fehler. Inzwischen bröckelt aber auch in der Union der Widerstand gegen eine Krisenbekämpfung auf Pump.

Wie heikel die Sache ist, zeigt sich schon beim Streit über die Gasumlage, mit der Gasimporteure gerettet werden sollen, die die hohen Einkaufspreise nicht mehr stemmen können. Etwa 2,4 Cent pro Kilowattstunde sollen die Verbraucher mehr bezahlen, das ist der Plan.

Eine weitere Belastung für die ächzenden Bürger und Unternehmen? Viele halten das längst nicht mehr für vertretbar. Auch Finanzminister Lindner merkte via »Bild am Sonntag« an, ihm stelle sich bei der Umlage »immer mehr die wirtschaftliche Sinnfrage«. Im Wirtschaftsministerium von Robert Habeck sieht man wiederum noch offene »finanzverfassungsrechtliche« Fragen.

Kippt die Umlage? Derzeit sieht es immer mehr danach aus. Doch auch dann muss geklärt werden, wer am Ende für die Unternehmensrettung aufkommt. Grünenchefin Ricarda Lang formulierte am Sonntag eine bissige Botschaft in Richtung des FDP-Vorsitzenden: »Die Gasumlage kann weg, sobald das Finanzministerium eine Bereitschaft für Alternativen zeigt und diese Alternative heißt natürlich klar: Finanzierung der Stabilisierung aus dem Haushalt.«

Streit über Atomkraft

Am Ende könnte die Preiskatastrophe also mehrere Gewissheiten einreißen – und zwar ganz aktuelle und solche, die schon lange bestehen. Denn es könnten nicht nur die Gasumlage und die Schuldenbremse fallen. Lindner machte am Wochenende jedenfalls schonmal klar, dass die Gespräche über eine Begrenzung der Gaspreise dafür nutzen will, die Anti-Haltung der Grünen bei der Atomkraft aufzuweichen. »Eine Gaspreisbremse muss in der Kombination mit Maßnahmen wie der Verlängerung der Kernenergie beschlossen werden«, sagte Lindner.

Es dürften also noch harte Verhandlungen werden. Nur: Der Winter naht und damit die Tage, in denen die Heizungen aufgedreht werden. Viel Zeit bleibt der Regierung also nicht. Oder wie der SPD-Abgeordnete Mieves sagt: »Es kommt jetzt darauf an, dass wir als Koalition die verabredeten Dinge umsetzen, und zwar schnell.«