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„Meloni kann Katastrophe für Europa werden“ – EU-Abgeordnete besorgt über Wahlergebnis

Die rechtsnationale Partei ‚Fratelli d’Italia‘ mit ihrer Vorsitzenden Giorgia Meloni hat die Parlamentswahlen in Italien gewonnen. Meloni wird voraussichtlich mit der rechtsextremen ‚Lega‘ von Matteo Salvini und der konservativen Partei des früheren Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi ‚Forza Italia‘ eine neue Rechts-Mitte-Regierung in Italien bilden. „Was passieren wird? Der Spaß ist vorbei!“, rief Meloni ihren Anhängern zu. Italien werde jetzt wieder seine „nationale Interessen“ in den Blick nehmen.

In Brüssel, aber auch in Berlin ist die Sorge groß. Führende EU-Politiker warnen vor dem neuen Bündnis. „Giorgia Meloni wird eine Ministerpräsidentin sein, deren politische Vorbilder Viktor Orbán und Donald Trump heißen. Der Wahlsieg des Bündnisses von Rechts-Mitte-Parteien in Italien ist deshalb besorgniserregend“, sagte die Sozialdemokratin Katharina Barley, Vize-Präsidentin des Europäischen Parlaments, zu WELT.

„Ihr wahlkampftaktisches Lippenbekenntnis für Europa kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie eine Gefahr für das konstruktive Miteinander in Europa darstellt. Die Autokraten bekommen mit ihr eine Lobbyistin im Rat, also der Vertretung der 27 EU-Mitgliedsländer, um Sand ins Getriebe der EU zu streuen.“

„Das Fundament und die gemeinsamen Werte der EU wären gefährdet, wenn Italien als drittgrößte EU-Volkswirtschaft von einer Koalition aus Postfaschisten und Rechtsaußen-Parteien regiert werden sollte“, sagte auch der Co-Chef der europäischen Grünen, Thomas Waitz. Die EU könne nur funktionieren, so Waitz, wenn sie zusammenhalte, beispielsweise bei der Kooperation auf den Energiemärkten, bei Beschlüssen über Russland-Sanktionen oder bei der Bewältigung der Corona-Krise. „Meloni würde dagegen auf nationale Alleingänge setzen, sie kann eine Katastrophe für Europa werden.“

Was blüht Europa und Deutschland mit Meloni?

Meloni hat einen Lieblingsfeind: Deutschland. Bereits in ihrer Autobiografie hat die 45-jährige Politikerin offen bekannt, eine „Abneigung“ gegen Deutschland zu haben.

Ihre jüngsten Vorwürfe: Berlin verhindere einen Preisdeckel für Gas. Und warum? Das bleibt unklar. Einmal sagte Meloni auf einer Wahlkampfveranstaltung, weil die Deutschen reicher seien als andere Länder, könnten sie sich die höheren Gaspreise leisten und sogar von den Problemen anderer Länder profitieren. Wenige Tage später erklärte sie dann, deutsche Unternehmen hätten besonders günstige Verträge mit dem russischen Energieunternehmen Gazprom, wodurch sie nur ein Drittel jener Kosten hätten, die italienische Unternehmen zu zahlen hätten. Belege lieferte Meloni allerdings nicht.

Giorgia Meloni bei einem Wahlkampfauftritt in Rom

Giorgia Meloni bei einem Wahlkampfauftritt in Rom

Quelle: AP/Gregorio Borgia

Die Kritik an Deutschland aus Italien dürfte künftig zunehmen, Meloni dürfte versuchen, die Deutschen zum Buhmann in Europa zu machen. Die Gefahr ist dabei, dass Melonis Kritik an Deutschland nicht nur in ihrem Heimatland, sondern auch in anderen europäischen Staaten, wie Polen, Griechenland oder Frankreich, auf fruchtbaren Boden fallen könnte.

Der Euro könnte noch schwächer werden, im schlimmsten Fall sogar wackeln, während die Verschuldung in der Eurozone weiter steigt. „Unter einer Regierungschefin Meloni wäre die Gefahr groß, dass Italien wieder in eine Schuldenkrise schlittert. Dann käme der gesamte Euroraum unter Druck“, sagt Europas Grünen-Chef Waitz.

Zwar steht eine Staatsschuldenkrise derzeit nicht akut bevor, obwohl die Leitzinsen und damit die italienischen Finanzierungskosten bereits in den vergangenen Monaten abrupt und stark in die Höhe geschossen sind und weiter steigen dürften. Ökonomen warnen aber, dass die Ausgabeversprechen von Meloni drohen, die Schuldentragfähigkeit des Landes zu überfordern.

„Wenn das Wahlprogramm der Koalition vollständig umgesetzt wird, wird es die öffentlichen Finanzen hart treffen und das Staatsdefizit in den nächsten fünf Jahren in unhaltbare Höhen treiben“, warnt Nicola Nobile vom privaten Wirtschaftsforschungsinstitut Oxford Economics. „Dadurch würde die Staatsverschuldung im Jahr 2027 einen Wert von 155 Prozent des Bruttoinlandsprodukts erreichen.“ Das wären zehn Prozent mehr als Ökonomen derzeit erwarten.

Solch eine Entwicklung könnte auch die Debatte über die Reform der Schuldenregeln für die Eurozone erneut verschärfen. In den kommenden Wochen will die Europäische Kommission, nach jahrelanger Diskussion zwischen den Mitgliedstaaten, ihre Vorschläge für eine Reform der Regeln vorstellen. Die erwarteten Reformen beruhen auf einem inoffiziellen Konsens, den die Mitgliedstaaten in den vergangenen Monaten erzielt haben: Begrenzte Erleichterungen für hoch verschuldete Staaten, ohne jedoch die Kernziele des Maastricht-Paktes infrage zu stellen.

Die in dem Pakt festgehaltenen Ziele einer Schuldenquote von 60 Prozent der Wirtschaftsleistung und maximal drei Prozent Neuverschuldung im Jahr sollen bleiben. Ein noch stärker als bisher verschuldetes Italien unter Meloni könnte diesen Konsens torpedieren, um weitere Zugeständnisse für hoch verschuldete Staaten zu erzwingen. Dann wäre der Stabilitätspakt endgültig am Ende.

Anders als andere populistische Parteien in der Vergangenheit spielt Meloni zwar nicht mehr mit der Idee eines „Italexit“, also eines Austritts von Italien aus der EU oder der Eurozone. Stattdessen will sie aber noch mit Brüssel nachverhandeln, wie Italien das Geld aus dem rund 750 Milliarden Euro schweren EU-Wiederaufbaufonds NextGenerationEU ausgeben darf. Dem Land stehen 192 Milliarden Euro aus dem Geldtopf zu.

Das Streitpotential bei dem Thema Neuverhandlungen ist begrenzt, denn Brüssel hat ohnehin bereits angekündigt, dass die Prioritäten, wie das Geld aus dem Fonds ausgegeben werden soll, sich mit der dem Ukraine-Krieg und der von Russland ausgelösten Energiekrise geändert hätten. Die Kommission wird allerdings weiter darauf bestehen, dass Meloni die bescheidenen Reformen weitertreibt, die von der EU als Gegenleistung für das Geld erwartet werden. Das dürfte noch zum Problem werden.

Streit ist aber nicht nur bei der Reform der verkrusteten italienischen Wirtschaft zu erwarten. Auch bei der Migrationspolitik werden Meloni und ihr neuer Partner Salvini Druck machen: Sie sind nicht länger bereit, zehntausende Flüchtlinge aus Afrika, die in Italien anlanden, zu registrieren und aufzunehmen. In der EU-Asylpolitik dürfte es jetzt ungemütlich werden und die mühsam gefundenen Kompromisse unter dem französischen EU-Vorsitz in der ersten Jahreshälfte könnten sich als brüchig erweisen, weil Rom nicht mehr mitspielt.

Rückenwind für Orban und Gefahr für Russland-Sanktionen

Meloni hat einen engen Draht zu Ungarns umstrittenen Regierungschef Viktor Orban. Im Jahr 2019 war er Ehrengast auf ihrem alljährlichen Parteifest. Meloni und Salvini teilen auch Orbans Ansicht, die Nationalstaaten müssten gegenüber Brüssel mehr klare Kante zeigen. Orban würde innerhalb der EU deutlich an Gewicht gewinnen, wenn Italien seine Politik in wichtigen Punkten unterstützen würde.

Außerdem dürfte es schwerer werden, Orban wegen Rechtsstaatsverstößen zu bestrafen, weil mit der Unterstützung für ihn durch die neue Regierung in Rom eine Blockade von Sanktionen immer wahrscheinlicher wird. Nach dem Sieg der rechtsnationalen Schwedendemokraten in Stockholm dürfte die EU nun insgesamt vor einem Rechtsruck stehen.

Die EU-Regierung mit Putin-Freunden könnte zudem langfristig Sanktionen gefährden. Meloni selbst steht nach eigenen Aussagen fest an der Seite der Ukraine. Aber ihre voraussichtlichen Koalitionspartner, Salvini und Berlusconi, pflegen einen engen Draht nach Moskau, sie gelten immer noch als Fans des russischen Präsidenten Wladimir Putin.

In Italiens Oppositionsparteien gibt es sogar den Verdacht, dass die ‚Lega‘ aus Moskau mitfinanziert werden könnte. Salvini kritisiert die Sanktionen, wann immer es geht. Berlusconi wiederum sagte in der vergangenen Woche, Putin habe ja nur beabsichtigt, Ukraines Präsidenten Wolodymyr Selenskyj aus dem Amt zu entfernen und in Kiew „eine Regierung mit anständigen Leuten“ zu installieren.

Die EU-Parlamentarier Barley und Waitz fordern von Italiens Christdemokraten um Berlusconi, Meloni und Salvini am Ende doch nicht zu unterstützen. „Auch nach dem Wahlsieg des rechten Lagers in Italien muss das gemeinsame Interesse im Zentrum stehen. Wir brauchen eine proeuropäische Regierung in Italien und das kann ganz bestimmt keine Regierung unter der Postfaschistin Meloni sein. Ich fordere Berlusconi, dessen Partei immerhin der Europäischen Volkspartei angehört, diese Regierung nicht zu unterstützen“, sagte Waitz.

Barley ruft die Parteien im Europäischen Parlament und die EU-Länder auf, sich Störmanövern aus Rom von Anfang an zu widersetzen. Sie kritisiert in diesem Zusammenhang die christdemokratische EVP-Fraktion im EU-Parlament. „Die demokratischen Kräfte in Europa müssen jetzt besonders eng zusammenstehen“, sagte Barley.

Katharina Barley, Vize-Präsidentin des Europäischen Parlaments

Katharina Barley, Vize-Präsidentin des Europäischen Parlaments

Quelle: Getty Images/Thierry Monasse

Es sei dramatisch, so die SPD-Politikerin, dass die Konservativen in Europa das nicht begriffen. Barley: „Dass CSU-Frontmann Manfred Weber in Italien für das Rechtsbündnis geworben hat, ist ein Skandal. Er macht Wahlkampf mit Antidemokraten und stärkt damit antieuropäische Kräfte.“ CSU-Vizechef Weber ist Parteivorsitzender der Europäischen Volkspartei (EVP), der auch die deutschen Unionsparteien angehören, aber auch die ‚Forza Italia‘ von Berlusconi, angehört.

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