Germany
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Mit Kanonen auf Spatzen schießen

Studieren ist in Deutschland gratis. Nein, ich weiß: Gratis ist natürlich gar nichts. Irgendjemand muss das Gehalt des Professors und die Chemikalien im Labor bezahlen. Es ist der Staat. Oder präzise gesagt: Es sind diejenigen, die diesen Staat finanzieren. Also die wirtschaftlich erfolgreichen Bürger, die ordentlich Steuern zahlen.

Rainer Hank

Freier Autor in der Wirtschaft der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.

Gratis ist das Studium nur für die Studenten. Ein Versuch, Studiengebühren durchzusetzen, ist hierzulande vor ein paar Jahren gescheitert und wurde rasch von den Bundesländern kassiert.

Ich bezweifle, ob das gerecht ist. Im Durchschnitt verdienen Personen mit Universitätsabschluss über das gesamte Erwerbsleben 387.000 Euro mehr als Personen, die eine Lehre absolviert haben. „Studierende sind die Besserverdiener von morgen“, sagt Ludger Wößmann, einer der führenden deutschen Bildungsökonomen; er forscht am Ifo-Institut und lehrt an der Universität München. Besserverdiener können sich ein luxuriöseres Leben leisten, wohnen schöner, reisen häufiger und können, wenn sie es geschickt anstellen, ihre Bildungsgeschichte in intellektuelle Freiheitsgewinne ummünzen.

„Umverteilung von unten nach oben“

Nun könnte man denken, dass das Studium der Reichen auch von den Steuern der reichen Eltern bezahlt wird. Schließlich gibt es ein progressives Steuersystem. Das wäre richtig, wenn die Verteilung der Kinder bildungsferner und gebildeter Schichten an den Universitäten ungefähr gleich wäre. Doch so ist es gerade nicht. Während nur 27 Prozent der Kinder aus Nichtakademikerfamilien ein Studium aufnehmen, studieren 80 Prozent der Kinder aus Akademikerfamilien. Die Kluft ist in den vergangenen Jahren sogar gewachsen. Das bedeutet: Nichtakademiker beteiligen sich an der Studienfinanzierung der Akademikerkinder.

„Die Floskel, dass die Arzthelferin das Studium der Arzttochter finanziert, ist gar nicht so weit hergeholt“, sagt Ifo-Forscher Wößmann. „Das vom Staat verschenkte Studium ist eine Umverteilung von unten nach oben.“ Man wundert sich, dass sich Sozialdemokraten und Linke diese eklatante soziale Ungerechtigkeit nicht längst schon vorgeknöpft haben. Das bestätigt den Verdacht, dass die SPD ihr Bildungsaufstiegsversprechen für die Arbeiterschaft inzwischen vergessen hat. Kein Wunder, dass sich die Begeisterung der Arbeiter für die Sozialdemokratie in Grenzen hält.

Gute Erfahrungen mit neuartigem Modell

Was tun? Eine Neuauflage der Debatte über Studiengebühren kann man sich schenken. Die Sache ist gelaufen. Unter Bildungsforschern und Bildungspolitikern wird neuerdings ein alternativer Vorschlag herumgereicht. Sein Name: „nachgelagerte Studiengebühren“. Im Gegensatz zu den regulären Studiengebühren gibt es hier zwei Unterschiede.

Erstens werden die Gebühren erst nach dem Ende des Studiums erhoben, wenn die ehemaligen Studierenden ein eigenes Einkommen erzielen. Und sie müssen auch nur dann gezahlt werden, wenn dieses Einkommen über einem gewissen Schwellenwert liegt. Wößmann schlägt vor, mit 1000 Euro im Jahr (oder etwas mehr) einzusteigen. Es sollen also nicht die kompletten Kosten des Studiums refinanziert werden. In Australien hat man mit diesem Modell gute Erfahrungen gemacht. Und während gewöhnliche Studiengebühren in der Bevölkerung kein gutes Ansehen genießen, fällt die Zustimmung zu nachgelagerten Gebühren in Umfragen eher hoch aus.