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Model S Plaid - 1:0 für Tesla: Erste Fahrt in der irren 1020-PS-Hyperlimousine

Das Tesla Model S Plaid realisiert Fahrleistungen, die es im Limousinen-Bereich bisher noch nicht gab - und für die es quasi noch keinen Wettbewerb gibt. ntv.de hat den unscheinbaren Boliden nun erstmalig auf deutschen Straßen gefahren.

Der Hinweis auf den Wahnsinn misst nur wenige Zentimeter in Breite und Höhe: Er sitzt in Form eines Badges auf dem Heckdeckel des jetzt auch in Europa eingeführten Model S (und X) Plaid. Es zeigt eine Art Spinnennetz, in dessen Mitte vielleicht ein Tunnel beginnen könnte, und ringsherum werden mittels symbolisierter Strahlen Kräfte dargestellt. Es könnte sich auch um ein schwarzes Loch handeln, in das man eingesogen wird. Irgendwie jedenfalls etwas Astronomisches, und astronomisch ist der Plaid ja auch in gewisser Weise. Was das heißt? Dazu später mehr.

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Wo das Plaid-Emblem draufklebt, stecken drei kraftvolle Motoren drunter.

(Foto: Patrick Broich)

Plaid (der Name entstammt der "Star Wars"-Parodie "Spaceballs") bezeichnet die künftigen Topversionen der jeweiligen Baureihe. Doch man könnte auch sagen, dass es sich bei diesem speziellen Tesla Model S sogar um das Fahrzeug-Topmodell überhaupt handelt, und zwar über die gesamte Automobillandschaft. Fast jedenfalls.

Für 137.990 Euro bietet Tesla verdammt viel Auto

Mit einer Leistung von 1020 PS, aber einem Einstandspreis von nur 137.990 Euro im Gegenzug - und hier muss man tatsächlich "nur" sagen -, gehört diese Allrad-Businessklasse zu den spektakulären Angeboten auf dem gesamten Automarkt. Jedenfalls gilt das in Bezug auf die Fahrleistungen, insbesondere die Beschleunigung. Doch das Maximaltempo ist ebenfalls verrückt mit 282 respektive 322 km/h in Verbindung mit aufpreispflichtigem Hardware-Pack gegen eine vermutlich erkleckliche fünfstellige Summe (wie hoch, ist derweil noch nicht bekannt).

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Das aufgefrischte Model S kommt mit neuer Rückleuchtengrafik.

(Foto: Patrick Broich)

Aber bevor ich das Auto noch in seiner Gesamtheit bespreche, sei an dieser Stelle ein kurzer Exkurs zum Thema Beschleunigung gestattet. Es gibt natürlich zum jetzigen Zeitpunkt noch keine Messungen durch hiesige Fachmagazine mit belastbaren Ergebnissen. Aber die Hinweise darauf, dass die Plaid-Limousine in unter sieben Sekunden von 0 auf 200 km/h sprintet, verdichten sich. Damit liegt das US-Car auf einem Level mit einem Bugatti Chiron. Ein Ferrari SF90 dürfte in einer ähnlichen Liga spielen.

Selbst gestandene Super- respektive Hypersportler wie Ferrari F8, Lamborghini Aventador, McLaren Senna oder Porsche 911 Turbo S hingegen haben längsdynamisch das Nachsehen. Und für Limousinen-Verhältnisse ist das Ergebnis noch beeindruckender. Bis auf den Mercedes-AMG GT Viertürer mit dem elektrifizierten Achtzylinder gibt es keine Limousine, die signifikant unter zehn Sekunden auf 200 km/h beschleunigt, und selbst der Untertürkheimer dürfte kaum unter sieben Sekunden liegen. Noch beeindruckender ist der im Vergleich zum S etwas langsamere Brocken X (die SUV-Variante zum Tarif von 140.990 Euro) mit seiner gewaltigen Stirnfläche und rund 300 Kilogramm Mehrgewicht.

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An das Yoke im Tesla muss man sich erst gewöhnen.

(Foto: Patrick Broich)

Für den Fall, Sie zu langweiligen - es geht ja gleich endlich hinter das Steuer. Hinter das halbierte Steuer, muss man sagen. Denn Tesla zog es vor, seinen schnellsten Modellen ein sogenanntes Yoke zu spendieren, was nichts anderes heißt als Steuerhorn, also in ähnlicher Form, wie es auch in Flugzeugcockpits eingesetzt wird. Kann man gut finden oder nicht, an das Lenken gewöhnt man sich womöglich schneller als an die Funktionsperipherie. Mal aus Versehen zu hupen oder falsch zu blinken (beides per Touchfläche auf dem Yoke zu aktivieren), könnte in der ersten Zeit vorkommen.

Leichter Stupser aufs Fahrpedal - und die anderen bleiben zurück

Aber muss man im Plaid überhaupt noch blinken? Nachdem ich auf dem großen Screen per Wischgeste "D" aktiviert und mittlerweile das gut ausgebaute und meist unlimitierte Autobahnnetz mitten im teilweise einsamen Speckgürtel von München erreicht habe, cruisen die meisten Verkehrsteilnehmer hinter mir. Zum Glück habe ich freie Bahn. Also volle Kraft voraus, ich darf ja.

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Die Fondpassagiere dürfen sich auf eine eigene Kommandozentrale und USB-Slots freuen.

(Foto: Patrick Broich)

Und puuuuh, was passiert hier? Ganz ehrlich, man verhaspelt sich bei dem Versuch, während der Beschleunigung die aufsteigenden Zahlen auf dem Tacho laut mitzuzählen - weil man sie so schnell einfach nicht aussprechen kann. Es geht nicht, und zwar bis zum limitierten Wert nicht, der in diesem Fall von den Decken der Winterreifen mit dem Geschwindigkeitsindex "W" (270 km/h) diktiert wird. Duelle mit einem Plaid? Vergesst es, Ihr Ferrari-, Lamborghini-, Porsche- oder Was-auch-immer-Fahrer. Ja, man kommt gegen den Plaid an - mit Boliden wie einem Aston Martin Valkyrie vielleicht oder einigen Koenigsegg-Modellen oder dem McLaren Speedtail.

Der Unterschied ist allerdings, dass man bei solch extrovertierten Hypersportlern im Multimillionenwert mit der Performance rechnet - nicht aber bei der braven Tesla-Limousine. Und wer jetzt mit dem Einwand um die Ecke kommt, dass der Dreimotorer die Leistung ja gar nicht lange aufrechterhalten könne. Nein, nein, dickes Dementi. Die Tesla-Ingenieure haben einen guten Job gemacht und offenbar sowohl die Kühlperformance als auch das Batteriemanagement in einer Weise optimiert, dass die Beschleunigungsdarbietung mit Fug und Recht als reproduzierbar durchgehen kann.

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Selbst nach zehn Jahren Bauzeit sieht das Model S noch frisch aus.

(Foto: Patrick Broich)

Selbst der intensive Gebrauch von ihr während der Teststreckenlänge von über 100 Kilometern offenbart keinerlei Ermüdungserscheinungen. Auch nicht, wenn der Akkufüllstand unter die 50-Prozent-Marke rutscht. Dennoch sollte nicht ausgeschlossen werden, dass eine zur Neige gehende Batterie auf die Performance drückt, also besser schnell mal kurz am Supercharger nachladen - ist ja zügig erledigt.

Trotz Mega-Power bleibt das Model S Plaid effizient

Auch wenn ein günstiger Verbrauch sicher nicht das vorrangige Kaufmotiv des Plaid-Kunden sein dürfte, sei ruhig erwähnt, dass der werksseitig angegebene Durchschnittsverbrauch von 18,7 kWh/100 Kilometer schwer in Ordnung geht, sollte er sich bewahrheiten. Und 100 kWh Akkukapazität resultieren in einer Reichweite von 600 Kilometern (WLTP), die als langstreckentauglich bezeichnet werden darf.

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Bei Bedarf wird aus dem eleganten Cruiser ein zorniger Sprinter.

(Foto: Patrick Broich)

Falls man es denn überhaupt schafft, das rechte Pedal entsprechend behutsam zu bewegen. Sollte man aber wirklich mal tun, nämlich, um herauszufahren, dass der luftgefederte Hightech-Viertürer seine 2,1 Tonnen Leermasse bei gelassener Gangart durchaus sanftmütig über schlechte Asphaltpfade flauscht. Derweil reicht die Restkonzentration auch, um festzustellen, dass die in der Vergangenheit viel gescholtene Verarbeitungsqualität des Model S in Wirklichkeit deutlich feiner ist, als manches Vorurteil glauben macht.

Bleiben wir fair - einen Architekturpreis erhält die obere Mittelklasse nicht. Dazu sind die Armaturen zu funktional, die Oberflächen zu banal und der wahrlich große (übrigens intuitiv bedienbare) Touchscreen eine Spur zu belanglos. Belanglos ist das Model S Plaid aber sowas von überhaupt nicht, sondern vielmehr eines der verrücktesten Autos der jüngeren Zeit. Ein Hidden Champion der Performance-Disziplin zum fast unverschämt günstigen Kurs. Doch der Wettbewerb aus Süddeutschland wird den Plaid ganz genau beobachten und mit einer Reaktion folgen. Ganz sicher.

Die neu geschaffene US-amerikanische Marke Lucid steht bereits mit einer ähnlich gelagerten Offerte in den Startlöchern. Es bleibt also zu erwarten, dass die Karten beizeiten neu gemischt werden. Jetzt steht es jedenfalls erst einmal 1:0 für Tesla.