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Moldau fordert Entmilitarisierung von Transnistrien

Die Republik Moldau ist der schwächste Nachbar der Ukraine. Sie ist eines der ärmsten Länder Europas, hat aber an der Bevölkerung gemessen die höchste Rate ukrainischer Geflüchteter aufgenommen. Auf ihrem Territorium befindet sich zudem – ähnlich wie im Osten der Ukraine – eine prorussische Separatistenrepublik, die das Land destabilisiert: Transnistrien. Dort sind 1500 russische Soldaten stationiert, hinzu kommen 10.000 bis 15.000 prorussische Paramilitärs.

Aus Sicht des russischen Außenministers Sergej Lawrow könnte Moldau ein neues „antirussisches Projekt“ nach der Ukraine werden. Moskau wirft dem Westen vor, sich nach Osten in das Einflussgebiet Russlands auszudehnen. Lawrow erklärte am Donnerstag weiter, dass kein Zweifel daran bestehe, dass der Westen Georgien zu Russlands nächstem Feind machen wolle.

Derartige Drohungen verstärken die Sorgen in dem kleinen Land Moldau, das gerne zur Europäischen Union gehören möchte. Im Gespräch mit WELT fordert nun der moldauische Regierungsberater Alexandru Flenchea den „bedingungslosen und vollständigen Abzug der russischen Truppen und Munition von moldauischem Gebiet sowie die Entmilitarisierung Transnistriens“.

Flenchea ist für die Friedenssicherung im Transnistrien-Konflikt verantwortlich und berät die Premierministerin Natalia Gavrilița. Der russische Truppenrückzug sei „Priorität“ der Regierung, sagte er WELT. Moldau fürchtet schon seit Längerem um seine nationale Sicherheit. Nachdem Russland vor rund einem Jahr die gesamte Ukraine überfallen hatte, war die Sorge vor einem Angriff besonders groß.

Der russische Präsident Wladimir Putin wollte den gesamten Süden der Ukraine inklusive der Hafenstadt Odessa einnehmen lassen und einen Landkorridor nach Transnistrien schaffen. Es wäre der zweite Angriff auf ein souveränes Land durch Putins Männer gewesen – und die Eröffnung einer neuen Offensive auf die Ukraine nicht nur von russischem und belarussischem Boden, sondern auch von moldauischem.

Quelle: Infografik WELT

Flenchea sagt, die russischen Truppen und paramilitärischen Einheiten in Transnistrien seien „aufgrund ihrer Größe und ihrer militärischen Fähigkeiten eher ein Ärgernis als eine wirkliche Bedrohung für die Ukraine, stellen aber unabhängig vom Krieg in der Ukraine eine potenzielle Gefahr für die Sicherheit der Republik Moldau dar“.

Dem moldauischen Geheimdienstchef Alexandru Musteata zufolge ist das Risiko eines russischen Angriffs noch immer hoch. „Die Frage ist nicht, ob die Russische Föderation eine neue Offensive gegen das Territorium der Republik Moldau durchführen wird, sondern wann“, sagte er Ende Dezember im Staatsfernsehen. Möglich sei ein Zeitraum zwischen Januar und April.

Flenchea relativiert diese Aussage: Es gebe derzeit „keine Anzeichen für eine direkte militärische Bedrohung durch die Russische Föderation“. Das liege vor allem am Kriegsverlauf in der Ukraine: Putin kann nach wie vor nicht so durchmarschieren, wie er es sich anfangs vorgestellt hatte. Der Widerstand der Ukrainer schützt auch Moldau.

Prorussische Kräfte versuchen, Regierung zu destabilisieren

Doch auch ohne einen militärischen Angriff auf moldauisches Territorium destabilisiert Russland die kleine Republik – direkt und indirekt. Doch worin genau liegt die Gefahr? Ana Mihailov, Leiterin des Büros der Friedrich-Ebert-Stiftung in Moldau, sagte kürzlich gegenüber dem „Tagesspiegel“, es gehe Russland „weniger um einen konventionellen Krieg als vielmehr um den Sturz der Regierung und die Machtübernahme durch die prorussischen Kräfte mithilfe sogenannter hybrider Mechanismen – Informationskrieg, Massenproteste und dergleichen“.

Die proeuropäische Regierung unter Präsidentin Maia Sandu steht unter Druck, es kommt immer wieder zu Protesten. „2023 werden die prorussischen Kräfte versuchen, die amtierende Regierung zu destabilisieren“, so Ion Tabarta vom Informations- und Dokumentationszentrums der Nato in Chisinau. „Sie versuchen, unseren europäischen Kurs zu kapern“, sagte er der Plattform Balkan Insight.

Zudem setzt die Abhängigkeit von russischer Energie und Lebensmitteln aus der Ukraine Moldau zu. Rund hunderttausende ukrainische Geflüchtete sind laut dem UN-Flüchtlingshilfswerk in Moldau registriert, gemessen an der Bevölkerung so viele wie in sonst keinem Land. Im November gab es nach russischen Raketenangriffen auf die Ukraine auch in Moldau großflächige Stromausfälle. Die Inflation liegt bei etwa 30 Prozent. Es mangelt außerdem an militärischer Ausrüstung, etwa einem effektiven Luftabwehrsystem.

Ende Oktober war eine russische Rakete in der Grenzstadt Naslavcea eingeschlagen, im Dezember wurden Raketentrümmerteile in einer Obstplantage in einem weiteren Ort nahe der Grenze zur Ukraine gefunden. „Die Republik Moldau ist nicht sicher und kann es auch nicht sein, solange dieser Krieg andauert“, sagt Flenchea.

Ein Großteil der militärischen Ausrüstung Moldaus ist veraltet. „Angesichts der Bedrohung durch russische Raketenangriffe wäre ein Flugabwehrsystem wirklich von größter Bedeutung“, so Mihailov. Doch es fehlen die Mittel.

Sollte Moldau seine Neutralität aufgeben?

Für die eigene Armee gab Chisinau bislang kaum Geld aus. Das Budget wurde nun zwar um 68 Prozent erhöht und beträgt rund 1,7 Milliarden Leu (82 Millionen Euro), was 0,55 Prozent des Bruttoinlandsprodukts entspricht. Der Verteidigungsminister Anatolie Nosatii hält das aber für zu wenig und fordert zwei Prozent.

Zwar unterstützt der Westen das Land in einem gewissen Rahmen, Deutschland etwa liefert gepanzerte Transportfahrzeuge. Der Nato kann Chisinau zum eigenen Schutz allerdings nicht beitreten, weil die Republik Moldau in ihrer Verfassung neutral ist. Im Falle eines Angriffs käme dem Land niemand zu Hilfe.

Übergabe der gepanzerten Fahrzeuge aus Deutschland an Moldau im Januar 2023

Übergabe der gepanzerten Fahrzeuge aus Deutschland an Moldau im Januar 2023

Quelle: REUTERS

Einige Stimmen in der moldauischen Regierung fordern bereits, die Neutralität aufzugeben. Skeptiker warnen, dass dies erst recht zu einem russischen Angriff führen könne. Doch dass Neutralität keine ausreichende Verteidigung ist, hat der Ukraine-Krieg den Menschen in Moldau schmerzlich vor Augen geführt.

Jetzt versucht die Regierung, ihre Sicherheitslücke zu schließen. Bis dahin bleibt Chisinau nur, auf einen Sieg der Ukraine zu hoffen, um Putin nachhaltig von seinem angestrebten Landkorridor bis nach Transnistrien abzuschrecken.