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Motown ist auf Comeback-Tour: "Big Three" laufen zu neuer Größe auf

Die alte US-Autowelt aus Detroit wirkte lange Jahre abgeschlagen und stand im Rennen gegen Tesla und Co als Verlierer da. Doch jetzt meldet sich Motown zurück - und bläst mit Milliarden-Investitionen zur Aufholjagd.

Verfallene Fabriken, ausgebrannte Häuser, verlassene Straßenzüge und selbst in Downtown nach Ladenschluss verstörende Dunkelheit - wer noch vor fünf Jahren durch Detroit gelaufen ist, der hatte die Hoffnung schon aufgegeben. Und so, wie es um die Stadt bestellt war, so wurden auch jene Unternehmen bewertet, die Detroit einmal großgemacht haben. General Motors, Ford und der Verbund von Chrysler, Jeep und Ram - so richtig Big erschienen die drei vermeintlich großen Autobauer nicht mehr.

Und vor allem traute ihnen niemand mehr eine große Zukunft zu: Während mit Tesla und all den Startups an der US-Westküste das neue Herz der amerikanischen Autoindustrie immer lauter zu schlagen begann, wurde das alte Herz zusehends ruhiger und schwächer, die Big Three schienen als Dinosaurier zum Aussterben verdammt und der Motown-Sound drohte aus den Hitparaden der KFZ-Zulassungen zu verschwinden.

Deutungshoheit über Zukunft des Autos amerikanischer Machart

Doch das Urteil war vorschnell und erweist sich offenbar als falsch - denn während die Innenstadt aufblüht und die Immobilienbranche so manche Brache zurückerobert, bereiten Ford, General Motors sowie der US-amerikanische Arm der Stellantis-Allianz ein mächtiges Comeback für Motown vor und holen sich mit Milliarden-Investitionen die Deutungshoheit über die Zukunft des Autos amerikanischer Machart zurück.

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Seit 2021 auch in Deutschland erhältlich: der Ford Mustang Mach-E.

(Foto: Ford)

Den Anfang hat dabei Ford gemacht. Schon der Mustang Mach-E war mehr als ein Schuss vor Teslas Bug. Er wird in den USA als einzige echter Alternative zum Model X akzeptiert. Mit dem F-150 Lightning haben sie gar vollends zum Befreiungsschlag angesetzt. Denn während der Tesla Cybertruck noch immer nicht auf der Straße ist, hat Ford mit der elektrischen Version des meistverkauften US-Autos einen maßgeblichen Schritt auf den Massenmarkt gemacht.

Neuerfindung des iPhones - nur auf Rädern

Dafür hat Konzernchef Jim Farley die Firma allerdings komplett umgekrempelt: So wie seine Vorgänger vor über 100 Jahren mit dem Model T das Fließband eingeführt haben, hat er für den Lightning die ganze Firma gespalten, hat die alte Welt in "Ford Blue" belassen und die neue im "Model e" mit einem Fünfjahres-Budget von 50 Milliarden Dollar in die Zukunft geschickt. In einer von überflüssigen Hierarchien befreiten Startup-Kultur sollen dort bei Apple und Tesla abgeworbenen Experten wie Alan Clark und Doug Field nicht weniger leisten als die Neuerfindung des iPhones, nur diesmal bitte auf Rädern: "Gute Autos wird es bei uns deshalb nicht mehr geben", sagt Model e-Entwicklungschef Darren Palmer, "wenn sie nicht die Welt aus den Angeln heben, dann bauen wir sie nicht". Und mit dem elektrischen Pick-Up machen sie jetzt den Anfang.

"Läuft bei denen", lobt Martin French, der US-Chef des Münchner Strategieberaters Berylls: "Mit dem Mach-E haben sie sich die volle Aufmerksamkeit der Generation E gesichert. Und jetzt, mit der die E-Version des liebsten Lasters der Amerikaner, mit einem niedrigen Einstiegspreis und mit viel Lob von den gusseisernen Pick-Up-Fans haben sie einen echten Treffer gegen Tesla gelandet," lobt French. Nehme man noch die elektrischen Nutzfahrzeuge dazu und die neue Aufteilung der Firma, könne Jim Farley vergleichsweise gelassen ins Duell mit Elon Musk gehen, rühmt der Experte das Motown-Comeback.

Zeichen der Zeit erkannt

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Mit dem GMC Hummer EV hat GM bereits eines von 30 geplanten E-Autos auf Ultium-Plattform auf den Markt gebracht.

(Foto: General Motors)

Auch der früher mal größte Autohersteller der Welt hat endlich die Zeichen der Zeit erkannt und sich der neuen Mobilität verschrieben: General Motors wird elektrisch, predigt Vorstandschefin Marry Bary bei jeder Gelegenheit und weil sie es offenbar ernst meint, hat sie dafür jetzt noch einmal das Budget aufgestockt und gleichzeitig das Tempo angezogen: Die GM-Chefin will die Transformation mit 27 Milliarden Dollar beschleunigen, den amerikanischen Riesen bis 2040 zum CO2-neutralen Unternehmen umbauen und sich schon 2035 vollends vom Verbrenner verabschieden.

Allein bis 2025 will sie dafür im Windschatten von Volumen-Modellen wie dem Cadillac Lyric oder dem Chevrolet Silverado und Aushängeschildern wie einer elektrischen Corvette oder dem Hummer EV vor allem auf ihrer sogenannten Ultium-Plattform weltweit 30 neue Elektroautos auf den Markt bringen und so endlich auch in Europa wieder einen Fuß auf den Boden bekommen.

Richtung Null-Emissionen

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Mit dem Cadillac Lyriq will GM nächstes Jahr auch eine Volumenmodell auf Ultium-Plattform an den Start bringen.

(Foto: General Motors)

Es ist fünf Jahre her, dass sich GM zu Null-Emissionen verpflichtet und bis 2023 insgesamt 20 neue Elektroautos angekündigt hat - und Mary Barra liefert nicht nur, sondern es sieht ganz so aus, als würde sie in den nächsten drei Jahren noch kräftig drauflegen, fasst Berylls-Stratege French den Aufbruch zusammen. "Mit dem Lyric und dem elektrischen Blazer hat GM zwei gelungene Elektroautos am Start, die auch noch attraktiv eingepreist sind, und es sieht ganz so als, als sei das nur der Anfang", macht er Lust auf die nahe Zukunft.

"Und jetzt wagt also auch Jeep den Aufbruch und macht sich bereit für eine neue Generation von Kunden", sagt French: Wobei Chrysler, Jeep und Ram, die als kleinster der Big Three längst in der Stellantis-Familie aufgegangen sind, wie immer ein bisschen hinten dran sind. Erst recht, weil Mastermind Sergio Marchionne als Schmied der transatlantischen Allianz seinerzeit wenig übrig hatte für das Elektroauto und deshalb keinen Schritt mehr in die Zukunft gemacht hat, als unbedingt nötig war.

Elektrischer Fahrplan

Doch Marchionne ist tot, FCA ist Geschichte und Stellantis-Chef Carlos Tavares sieht die Welt mit offeneren Augen. Deshalb hat auch er einen elektrischen Fahrplan aufgestellt, will all seine 14 Marken in Europa bis zum Ende der Dekade zu 100 Prozent elektrifiziert haben und in den USA bis dahin zumindest 50 Prozent E-Fahrzeuge verkaufen.

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Mit dem Avenger bringt Jeep 2023 seinen ersten Stromer auf den Markt.

(Foto: Jeep)

Kein Wunder also, dass sie in Detroit gerade mächtig unter Spannung stehen - die sich jetzt so langsam in konkreten Ankündigungen auflöst: Im nächsten, spätestens im übernächsten Jahr will Ram im Rennen der elektrischen Pick-Ups mitmischen und Jeep als mittlerweile größte und wichtigste der US-Marken bringt bis 2025 mit Avenger, Recon, Wagoneer und Wrangler gleich vier voll elektrische Neuheiten ins Rennen, die den Amerikanern eine globale Führungsrolle bei den SUV unter Strom sichern sollen. Und weil auch Chrysler mitfährt in die neue Zeit, will die amerikanische Stellantis-Filiale bis zum Ende des Jahrzehnts über 25 Elektroautos im Rennen haben.

Aber man dürfe nicht nur auf die Modellankündigungen schauen, wenn man die neue Stärke der alten Autowelt messen wolle, sagt French und lenkt den Blick auf die Details: "Die letzten Monate waren voller Ankündigungen für neue Partnerschaften mit führenden Tech-Konzernen, um Batteriefabriken, Halbleiter-Produktion und Zellfertigung nach Amerika zu bringen, Ladenetzwerke auszubauen und das Recycling zu verbessern." All das wird Detroit brauchen, wenn es im Rennen um die Zukunft bestehen will.

Tesla spuckt weiter große Töne

Und was macht Tesla? Weiter große Töne spucken: "Denn das Elon Musk kürzlich angekündigt hat, bis zum Ende des Jahrzehnts 20 Millionen Autos zu bauen, das ist schon erstaunlich", sagt French und weiß nicht so recht, was er davon halten soll. "Aber wer würde schon gegen Elon Musk wetten wollen?"

Zwar räumt French ein, dass Motown gerade kräftig die Werbetrommel für eine Comeback-Tour rührt. "Aber allen Ankündigungen und allem Trara zum Trotz ist der Unterschied zwischen Teslas Absatz und den EV-Verkäufen der Big Three gewaltig und Detroit hat einen riesigen Rückstand aufzuholen", gibt er zu bedenken.

Aber egal, wie das Rennen ausgeht, ist für French eines gewiss: Die elektrische Auswahl für die US-Amerikaner war nie besser als heute. Und dabei sind viele der neuen Modelle noch gar nicht auf der Straße. Dazu noch die zahlreichen Incentives im Kampf gegen die Inflation sowie neue Mittel für die Infrastruktur: Egal, ob nun Detroit der Treiber ist oder die Westküste - auf der Electric Avenue geht es künftig mit deutlich höherem Tempo durch Amerika.