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Nach dem Terror die Floskeln

Blumensträuße, Gestecke, Teelichte, Kerzen, Luftballons und ein weißer Teddybär säumen den Bürgersteig nahe der Ecke Jefferson Avenue und Laurel Street. Die Straße ist abgesperrt, gelbes Flatterband hindert am Zutritt zum Parkplatz des „Tops“-Supermarktes, dessen Bilder seit Samstag um die Welt gehen.

Ein paar hundert Menschen sind am Sonntagabend hier. Sie reden, sie umarmen sich, sie halten Ansprachen, stimmen Sprechchöre an. „Keine Gerechtigkeit, kein Frieden“ lautet einer, erinnert an die Demonstrationen nach der kaltblütigen Ermordung des Afro-Amerikaners George Floyd vor zwei Jahren in Minneapolis.

Nun also Buffalo. Diese Tat, bei der ein 18-Jähriger am Samstagnachmittag zehn Menschen erschoss und drei verletzte, scheint auf einem klar formulierten Rassismus zu beruhen, auf einem Hass auf Andersdenkende und Andersfarbige. Darauf deutet ein sogenanntes Manifest hin, das der weiße Täter hinterlassen hat.

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Gezielt suchte er offenbar den afro-amerikanisch geprägten Stadtbezirk von Buffalo für seine blutrünstige Tat aus. Elf der 13 Opfer sind schwarz, zwei weiß. Das FBI spricht von einem Hassverbrechen, sucht weitere Hinweise für rassistisch begründeten Extremismus.

Gewissermaßen offiziell beginnt das Trauern am Sonntag während diverser Gottesdienste in der Stadt. Etwa in der True Bethel Baptist Church nahe dem Tatort. Hier sprechen unter anderem New Yorks Gouverneurin Kathy Hochul und Bürgermeister Byron Brown.

Per Video ist Chuck Schumer zugeschaltet, demokratischer Mehrheitsführer im Senat. Dazwischen kommen immer wieder Trauernde zu Wort, Angehörige von Opfern. Es wird an diesem Sonntagmorgen viel geweint, gebetet, getröstet, umarmt.

„Es ist ein Segen, an diesem Morgen aufgewacht zu sein“, sagt Bürgermeister Brown – und gedenkt jener Mitbürger, die vor und im „Tops“-Supermarkt ihr Leben verloren haben. Die Lehre dieses Verbrechens müsse sein, mehr zu lieben, mehr füreinander zu sorgen, sagt Brown. Von einer „schrecklichen, rassistischen, gewalttätigen Attacke“ spricht jener Mann, der diesen Kiez seit Jahrzehnten kennt, schon im Stadtrat vertreten hat.

Brown erzählt die Geschichte von dem früheren Feuerwehr-Dezernenten, der so oft sein Leben für die Stadt riskiert habe und der am Samstag nach seiner Mutter suchte. Die 86-jährige Dame war zum „Tops“ gefahren, um einzukaufen und ihren Ehemann in einem nahen Krankenhaus zu besuchen.

Am Samstag nahm sie keine Anrufe mehr entgegen, sagt der Bürgermeister, ihr Auto verblieb auf dem Parkplatz des Supermarktes. Dann wurde für den einstigen Feuerwehr-Chef gewiss, was er längst befürchtete: Auch seine alte Mutter wurde an diesem 14. Mai erschossen.

Besucher eines Gottesdienstes in der Macedonia Baptist Church in Buffalo

Besucher eines Gottesdienstes in der Macedonia Baptist Church in Buffalo

Quelle: AFP/SCOTT OLSON

„Oh, mein Gott!“, ruft eine Frau in einer hinteren Kirchenbank. Andere Frauen reichen sich gegenseitig Taschentücher. Es ist ein tränenreicher Gottesdienst. „Lasst uns trauern!“, ruft der Bürgermeister, „lasst uns uns umarmen! Lasst uns lieben!“ Die Welt schaue nun auf Buffalo, „lasst uns der Welt zeigen, was Buffalo daraus macht!“

Mit Beifall und teils stehenden Ovationen begrüßt die Gemeinde New Yorks Gouverneurin Hochul, erst seit ein paar Monaten im Amt. Bischof Darius Pridgen umarmt sie, und es folgt eine Rede, deren Tenor keinen Zweifel lässt: So geht es nicht weiter!

„Gott, vergib mir die Wut in meinem Herzen“, beginnt Hochul. Es gehe darum, diese Wut über das Gewaltverbrechen umzuleiten in eine Leidenschaft, für den Schutz der Menschen, um die Waffen von den Straßen zu holen und „die Stimmen des Hasses, des Rassismus und der weißen Vorherrschaft im Internet zum Schweigen zu bringen“.

Hochul greift die sogenannten sozialen Medien massiv an. Hintergrund: Der Täter hatte sein Verbrechen live im Internet verbreitet, dort sein „Manifest“ hinterlassen, nachdem er sich offenbar in Online-Foren radikalisiert hatte. Wie ein Virus verbreiteten die sozialen Medien Hass, sagt Hochul. Die Debatte um Restriktionen im Netz dürfte in den USA nun neu an Fahrt aufnehmen.

Doch der Gottesdienst offenbart neben aller eindrücklichen Emotionalität und den glaubhaften Beschwörungen, etwas ändern zu wollen, auch den Eindruck einer gewissen Vergeblichkeit. Die „Gedanken und Gebete“ nach den ständigen Massen-Schießereien in den USA geraten allzu oft zu einer Floskel. Nichts geschieht danach. Geschäftsmäßig rattert der demokratische Mehrheitsführer im Senat, Schumer, sein Fazit der Tat vom Vortag herunter.

Dass diese einem „hässlichen Muster“ folge, und ein „Gift in Amerika“ darstelle – wie oft mag Schumer in seinen über 33 Jahren als Senator so schon geredet haben? Dass er hier nun auf die erste schwarze Supreme-Court-Richterin verweist und – in einem Gottesdienst! – den Täter vom Samstag „ein Tier“ nennt – das zeigt erst die Unbeholfenheit, ja die Machtlosigkeit gegen die Waffen-Lobby und das Gift des weißen Nationalismus in den USA.

Kein Ruhm für den Attentäter

Schumer, aber auch andere Redner betonen, dass sie den – längst öffentlich bekannten – Namen des Täters bewusst nicht nennen wollen, um ihm nicht noch mehr Ruhm, Bekanntheit zu verschaffen. Doch am Sonntagmorgen veröffentlicht die Staatsanwaltschaft des zuständigen Erie County ein Foto des jungen Täters, in weißem Hemd.

Er wurde bereits vernommen, ist wegen Mordes ersten Grades angeklagt und plädiert selbst auf nicht schuldig. Am Donnerstag soll die Vernehmung fortgesetzt werden. Zuvor, am Dienstag, will US-Präsident Joe Biden Buffalo besuchen.

Derweil wird immer mehr über die Ideologie jenes Mannes bekannt, der nach der Tat von der Polizei festgenommen worden war. So hinterließ der Attentäter vor seiner Tat ein Dokument, in dem er die Mitgliedschaft in „irgendeiner Organisation oder Gruppe“ leugnete, wie die „Washington Post“ berichtet.

Er sei „der alleinige Täter dieses Angriffs“, schreibt er darin. In dem 180-seitigen „Manifest“ vertritt er die in westlichen Gesellschaften verbreitete These des „Great Replacement“. Dieser Verschwörungstheorie nach sollen weiße Menschen absichtlich durch Immigranten ersetzt werden.

In dem „Manifest“ schrieb der 18-Jährige, er wollte, dass bei seiner Tat jeder „zuschaut und aufnimmt“. Das Dokument beschreibt laut „Washington Post“ die Radikalisierung des Täters in Internetforen und beschreibt einen Plan, die schwarze Gemeinde in Buffalo ins Visier zu nehmen.

Demnach ließ sich G. von dem norwegischen Attentäter Andres Breivik inspirieren. In dem Dokument finden sich zudem Hinweise auf die Anschläge auf die Synagogen in Pittsburgh 2018 und Halle 2019 sowie in einer afro-amerikanischen Kirche in Charleston/South Carolina 2017.

Die ersten Hinweise auf die Gedankenwelt des Täters zeigen: Die Aufarbeitung der Bluttat von Buffalo und ihres ideologischen Unterbaus haben eben erst begonnen.