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Nach Erdogans Wiederwahl: Für die türkische Wirtschaft geht es nun weiter bergab

Die Türkei steckt in einer schweren Wirtschaftskrise. Die weitere Amtszeit von Präsident Erdogan dürfte diese verschärfen. Das trifft auch deutsche Unternehmen.

An der Istanbuler Börse ging es nach der Wiederwahl von Präsident Recep Tayyip Erdogan nach oben, doch die türkische Lira stürzte auf ein Rekordtief. Ein Ende der schweren Wirtschaftskrise in der Türkei ist nach der Wahl nicht in Sicht, im Gegenteil: Sie dürfte sich weiter verschärfen. "Die türkische Regierung wird Korrekturen vornehmen müssen", sagt Klaus-Jürgen Gern, Leiter der internationalen Konjunkturprognose am Kiel Institut für Weltwirtschaft (IfW), im Gespräch mit ntv.de. "Ohne Zinsanhebung wird es nicht gehen, ansonsten wird die inflationäre Spirale immer weitergehen." Das Problem: Eine solche Kurskorrektur sei nicht in Sicht. Deshalb werde die Unsicherheit nicht wie nötig sinken, sondern sogar noch größer werden, prognostiziert Gern.

Mit einem Umsteuern seitens Erdogans rechnet der Ökonom erst bei einer neuen kritischen Situation an den Finanzmärkten, die zu einer Zahlungsbilanzkrise führen könnte. Bis dahin dürfte sich die Abwärtsspirale weiterdrehen. Durch die Abwertung der Lira werden Importe in die Türkei immer teurer - was die Inflation zusätzlich anheizt. Im vergangenen Jahr lag diese zeitweise bei mehr als 85 Prozent; aktuell erreicht sie nach offiziellen Angaben immer noch rund 44 Prozent, unabhängige Schätzungen kommen zu noch deutlich höheren Werten. Der wesentliche Grund ist, dass die Notenbank trotz hoher Inflation Erdogans Wunsch nach niedrigen Zinsen erfüllt - entgegen der ökonomischen Lehre. Und die extrem niedrigen Zinsen führen dazu, dass die Lira immer weiter an Wert verliert.

Zwar leiden nicht alle Branchen unter der hohen Inflation, manche gewinnen sogar, beispielsweise der Tourismussektor: Dass durch die schwache Lira Urlaub in der Türkei immer günstiger wird, lässt die Buchungen weiter steigen. Der Deutsche Reiseverband kann sich vorstellen, dass in diesem Jahr der Rekord deutscher Türkei-Urlauber erneut geknackt wird, wie er auf ntv.de-Anfrage mitteilt. Auch türkische Exportbranchen wie der Maschinenbau oder die Autoindustrie profitieren von einer schwachen Lira, weil ihre Produkte auf dem Weltmarkt billiger werden. Andererseits ist die Türkei Gern zufolge aber stark auf Importe angewiesen, etwa für die Weiterverarbeitung. Das führt dazu, dass exportierende Unternehmen ihre Preise anheben müssen, um die Gewinnspannen zu halten, und wird vor allem dann zum Problem, wenn die für die Importe benötigten Devisen fehlen, wie Gern erklärt.

Instabilität verschreckt deutsche Investoren

"Die gegenwärtig hohe wirtschaftliche Unsicherheit macht das Land unattraktiv für Investoren", sagt Gern. Auch für solche aus dem Ausland, nicht zuletzt Deutschland. In der Türkei produzieren unter anderem deutsche Unternehmen aus der Auto- oder Textilindustrie. "Für die deutschen Modehersteller ist die Türkei seit vielen Jahren eines der wichtigsten Beschaffungsländer weltweit", teilt der Modeverband GermanFashion ntv.de mit. Ausländische Investoren suchen ein stabiles Umfeld. Die Instabilität, die drohende Zuspitzung der wirtschaftlichen Krise in der Türkei schreckt sie Gern zufolge ab. "Die geplante Intensivierung der wirtschaftlichen Beziehungen steht infrage", sagt der Wissenschaftler.

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IfW-Ökonom Klaus-Jürgen Gern

(Foto: picture alliance / photothek)

Die deutschen Unternehmen, die in die Türkei exportieren, müssen sich auf eine sinkende Nachfrage einstellen. Zum einen fehlen in der Türkei teils die Devisen, zum anderen bringt die hohe Inflation auch den türkischen Mittelstand zunehmend in Schwierigkeiten, wodurch die Nachfrage nach Konsumgütern zurückgeht. Deutsche Autos beispielsweise stehen bei gut situierten Haushalten hoch im Kurs, wie Gern berichtet - noch. Auch Maschinen made in Germany sind bislang gefragt in der Türkei, sie bilden den größten Anteil der Importe aus Deutschland.

Die Bundesrepublik ist mit rund acht Prozent aller türkischen Exporte das wichtigste Abnehmerland für die Türkei. Den größten Teil seiner Importe bezieht das Land aus Russland, vor allem weil große Mengen an russischem Gas und Öl eingeführt werden.

USA und EU machen Druck gegen Exporte nach Russland

Noch funktioniere die Versorgung mit Produktionsmitteln, sagt Gern. Die türkische Industrie trotzt der Krise, sie ist laut dem Ökonomen zuletzt sogar wieder gewachsen, der Export gestiegen. Denn die Nachfrage aus Russland nach türkischen Produkten nahm seit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine stark zu. Zum Teil dürfte es sich dabei um eine Umlenkung des Handels handeln, teils habe die Türkei aber auch die Produktion für Russland übernommen.

Doch damit könnte bald Schluss sein. Der Druck seitens der wichtigeren Handelspartner USA und EU steigt. Die türkische Regierung hat bereits die Regeln verschärft, wonach keine Güter mehr nach Russland geliefert werden sollen, die auf einer türkischen Sanktionsliste stehen. Umgehungslieferungen von zum Beispiel Produktionsteilen aus dem Westen, die die russische Industrie nicht selbst herstellen kann, aber auch Exporte von Maschinen oder Autos aus der Türkei sollen ein Ende haben. Auch darin stecken teils Produktionsteile aus Europa, wie Gern erläutert.

Darüber hinaus sieht der Ökonom ein weiteres Risiko für die türkische Wirtschaft. Während die Zahl gut ausgebildeter Wissenschaftler und Ingenieure über drei Jahrzehnte stetig stieg, stagniert diese seit 2015 laut einer aktuellen Studie und nimmt aktuell sogar leicht ab. Denn sie seien mit der gesellschaftspolitischen Ausrichtung der Türkei nicht einverstanden und verließen ihre Heimat deshalb. Wer zum Beispiel im Ausland studiert, bleibt eher dort als früher. "Je mehr Erdogan seinen gesellschaftspolitischen Kurs weiter strafft, desto größer dürfte dieses Problem werden", sagt Gern. "Das würde dann auch das Wachstum der türkischen Wirtschaft irgendwann spürbar behindern."