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Nach Garmischer Zugunglück - Bahn will Opfer mit 20000 Euro abspeisen

Garmisch-Partenkirchen/München – Sie liegt gekrümmt in ihrem Pflegebett, die Augen öffnet sie nur schwer. Und auf Fragen antwortet sie nur sehr langsam ...

Petra F. (72) saß im Regionalzug mit der Kennung 59458, der am 3. Juni 2022 mittags von Garmisch-Partenkirchen nach München fahren sollte. Die Rentnerin wollte zu ihrem Sohn, den Hund abholen. Doch sie kam nie an. Der Regionalzug entgleiste, zwei Waggons kamen von der Strecke ab. Fünf Menschen starben, 78 Menschen überlebten teils schwer verletzt.

Petra F. (72) in ihrem Bett im Pflegeheim am Rande Münchens. Die einst aktive Seniorin ist seit dem Zugunglück permanent auf fremde Hilfe angewiesen

Foto: Robert Gongoll

Petra F. gehört zu den Überlebenden. Der 3. Juni 2022 hat ihr Leben verändert. Seitdem ist nichts mehr wie es war für die Seniorin. Sie lebt inzwischen im Pflegeheim. Die Deutsche Bahn will ihr jedoch aufgrund des Unfalls lediglich 20 000 Euro Schadensersatz zugestehen.

Petra F. fängt an zu weinen, wenn sie versucht, über das Ereignis zu sprechen. „Meine Mutter war früher eine selbständige Frau, aktiv, unternehmungslustig. Jetzt ist sie ein Pflegefall, ein Schatten ihrer selbst", sagt ihr Sohn Sascha F. (42). Er besucht seine Mutter täglich, kümmert sich rührend.

Sohn Sascha F. (42) besucht mit Hund Benny (6) fast täglich seine Mutter im Pflegeheim. Vor einem Jahr lebte sie noch alleine in ihrer Wohnung, hatte Haustiere und viele Hobbys

Foto: Robert Gongoll

Früher, das ist gerade einmal zwölf Monate her. Da lebte Petra F. in ihrer eigenen Wohnung in Garmisch-Partenkirchen. Sie war aus München dorthin gezogen, um die Natur zu genießen. Die frühere Buchhalterin lebte von ihrer Rente und ihrem Ersparten.

„Sie war täglich mit dem E-Bike unterwegs, war in ihren Stamm-Café und Restaurants. Sie hatte eine Katze und kümmerte sich auch um meinen Hund. Wenn wir uns trafen, fuhren wir Fahrrad, spielten Tischtennis oder Minigolf", erzählt ihr Sohn. Jetzt kommt seine Mutter kaum noch aus dem Bett.

Als das Unglück geschah, saß sie im zweiten Waggon des Regionalzuges. Sie erinnere sich nur noch schemenhaft, der Horror verfolgt sie in bruchstückhaften Erinnerungen. Etwa, dass eine Frau neben ihr geschrien habe „Rettet mein Kind". Petra F. erinnert sich auch noch an einen Mann mit blutverschmiertem Gesicht.

Kurz nach dem Zugunglück – für das ein Gutachten der Bundesstelle für Eisenbahnunfalluntersuchung (BEU) inzwischen beschädigte Betonschwellen auf der Zugstrecke verantwortlich macht – rief Petra F. ihren Sohn an, sagte: „Ich war im Zugunglück, aber mach dir keine Sorgen."

Sie hatte schwere Verletzungen. Sechs gebrochene Rippen, Blut in der Lunge, ein massives Hämatom im Gesicht. Nur einen Monat später erlitt die Rentnerin einen Schlaganfall. Laut ihres Anwalts sei Petra F. seit dem Unfall „in körperlicher wie psychischer Hinsicht ein Pflegefall". Sie sei zu 100 Prozent behindert. Pflegestufe 4! „Der Zusammenhang mit dem Unfallereignis ist daher evident", heißt es in einer Stellungnahme an die Bahn.

Petra F. saß vor einem Jahr im zweiten Waggon des entgleisten Regionalzuges. Er entgleiste offenbar aufgrund defekter Betonschweller

Foto: Sven Hoppe/dpa

▶︎8000 Euro habe die Bahn der Familie bisher als Vorschuss auf einen möglichen Schadensersatz ausbezahlt, erklärt ihr Sohn. Maximal 20 000 Euro wurden der Familie an Schadensersatzzahlungen in Aussicht gestellt, so ihr Sohn. „So viel kostet das Pflegeheim in nur einem Jahr." Er fordert, dass die Bahn zumindest die künftigen Pflegekosten für seine Mutter übernimmt. „Und dazu ein angemessenes Schmerzensgeld."

Seine Mutter sei auch durch das Zugunglück dauerhaft traumatisiert und psychisch belastet. Doch ein Gutachten, um das zu beweisen, müsste Sascha F. selbst zahlen. Doch er gibt nicht auf. Wenn nötig, werde er das Schmerzensgeld einklagen. „Hier geht es um ein Leben, das Leben meiner Mutter. Es wurde mit einer Zugfahrt auf den Kopf gestellt. Damit auch meines."

Eine Sprecherin der Bahn erklärte auf Anfrage: „Festgelegte pauschale Entschädigungssummen für Personen- und Sachschäden gibt es nach deutschem Recht grundsätzlich nicht. Es kommt vielmehr auf die konkrete Unfallsituation der Betroffenen an. Dabei sind die jeweiligen Umstände des Einzelfalls und der individuell erlittene Schaden maßgeblich.“

Und weiter: „Auch die Dauer der Schadensregulierung ist einzelfallabhängig." Im Falle von Petra F. stünde man mit dem Anwalt der Frau in Korrespondenz. Nach BILD-Informationen aber vertritt die Bahn offenbar aber den Standpunkt, dass der Zustand von Petra F. nicht auf den Unfall, sondern auf vorhergehende Gesundheitsschäden zurückzuführen sei.