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News des Tages: Kampfpanzer-Lieferungen, Lehrermangel, Holocaust-Gedenktag

1. Reale Gefahr oder gefährliche Realität?

Es ist nur eine kleine Zahl, dafür aber eine spannende: Laut einer internen Statistik des Bundesverteidigungsministeriums haben seit Beginn des Ukra­inekriegs 235 aktive Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr den Dienst an der Waffe nachträglich verweigert – das sind rund 30 Prozent mehr im Jahr davor. Viele der späten Kriegsdienstverweigerer schrieben in den Begründungen für ihre Anträge, dass sie bei ihrem Eintritt in die Bundeswehr nicht mit einer realen kriegerischen Auseinandersetzung gerechnet hätten.

Nun gibt es einen Krieg in Europa, und er geht auch Deutschland und die Bundeswehr etwas an.

»Der Streit um die Leoparden hat vieles offengelegt«, schreibt das Autoren-Team des SPIEGEL-Hauptstadtbüros in der aktuellen Titelgeschichte  . »Man weiß jetzt mehr über den Führungsstil des Kanzlers, aber auch über die Probleme, die Risse in den Beziehungen zu Washington, im westlichen Bündnis.«

Die insgesamt zehn SPIEGEL-Autorinnen und Autoren haben die Entscheidung des Kanzlers, Leopard 2 Panzer in die Ukraine zu liefern, rekonstruiert. Man kann die Ergebnisse ihrer Recherche als Heldengeschichte über Olaf Scholz erzählen, der es mit seiner Beharrlichkeit geschafft hat, die Amerikaner mit ins Boot zu holen. Oder als die Story eines Kanzlers, der immer erst dann springt, wenn es nicht mehr anders geht.

»Es ist richtig, dass wir uns nicht haben treiben lassen«, sagt Scholz selber. Das SPIEGEL-Titelteam findet: »Scholz hat die Angelegenheit verschleppt, das ist klein. Er hat den Schutz der USA gesucht, großes Vertrauen in die Eigenständigkeit Europas hat er offensichtlich nicht. Andererseits dürfte auch das öffentliche Urteil über den Zauder-Kanzler etwas vorschnell gewesen sein, denn er hat sich gegen Biden durchgesetzt.« Die Gefahr, dass Putin den Westen spaltet, sich wegen der Leoparden nur Deutschland als Kriegsziel aussucht, sei mit der Panzer-Vereinbarung von dieser Woche geringer geworden.

Und hier weitere Nachrichten und Hintergründe zum Krieg in der Ukraine:

  • Die neue rote Linie: Erst Panzer – dann Kampfjets? Die Ukraine fordert genau das, manche Staaten zeigen sich aufgeschlossen. Was würden Militärflugzeuge bei der Verteidigung gegen den russischen Angriff bringen? 

  • »Deutschland ist keine Kriegspartei und wird es nicht werden«: Nach einer umstrittenen Aussage von Außenministerin Baerbock schaltet sich ihr Parteikollege in die Debatte ein: Deutschland sei im Ukrainekrieg keine Kriegspartei, sagt Wirtschaftsminister Habeck. Nicht als Einziger.

  • »Sollen sie doch Panzer schicken. Russland kann das Altmetall brauchen«: In der Ukraine werden bald große Offensiven beider Kriegsparteien erwartet. Kiew drängt bei den angekündigten Panzern auf schnelle Lieferung, bittet um weitere Waffensysteme. Und was sagen die Menschen in Moskau?

  • Die zerstrittenen Profiteure des Panzerbooms: Deutsche Rüstungshersteller stehen vor einem Milliardengeschäft. Sie sollen alte Leoparden instand setzen, Massen von Munition produzieren und neue Waffen entwickeln. Aber was können sie überhaupt liefern? Und wann? 

  • Hier finden Sie alle aktuellen Entwicklungen zum Krieg in der Ukraine: Das News-Update

2. Gegen die Wand

Biologie, Sport, Französisch, Mathe, Deutsch, Physik, Musik – es gibt fast kein Schulfach, das nicht irgendjemand aus meiner Familie schon mal unterrichtet hätte. Ich komme aus einem Lehrerhaushalt. Und ahne daher, was folgende Überschrift bei vielen Lehrern auslösen wird: »Expertengruppe verlangt von Lehrern mehr Einsatz« . Empörung!

Wie meine Kollegin Swantje Unterberg aus dem SPIEGEL-Deutschland-Ressort heute berichtet, haben Wissenschaftler einen Plan gegen den Lehrkräftemangel vorgelegt – fast ohne Tabus.

Die Ständige Wissenschaftliche Kommission (SWK) empfiehlt unter anderem, dass Pädagoginnen und Pädagogen künftig mehr arbeiten sollten als bisher. »Die Teilzeitquote im Lehramt ist mit rund 47 Prozent im Verhältnis zu jener bei Erwerbstätigen insgesamt (29 Prozent) deutlich höher«, heißt es im 40-seitigen Papier der SWK. Würden alle der rund 447.000 Lehrkräfte in Teilzeit aufstocken, käme man rein rechnerisch auf mehr als 200.000 zusätzliche Vollzeitstellen – »weit mehr, als zur Bekämpfung des Lehrermangels nötig wären«, berichtet Swantje.

»Wenn wir das System nicht gegen die Wand fahren wollen, müssen Lehrkräfte noch mehr leisten als in der Vergangenheit schon«, sagt der SWK-Vorsitzende Olaf Köller. Dazu gebe es keine Alternative.

»Wer hält dieses Land eigentlich noch am Laufen?«, fragt sich auch mein Lage-Kollege, SPIEGEL-Kolumnist Alexander Neubacher.

Die Bäckerei macht zu, die Postfiliale bleibt geschlossen und jetzt höre auch noch sein Zeitungs-Zusteller Herr Stöhr auf . »Wussten Sie, dass die durchschnittliche Wochenarbeitszeit in Deutschland geringer ist als in allen EU-Staaten außer Dänemark und Niederlande?«, schreibt Alex. Er gönne allen Menschen, also auch Lehrerinnen und Lehrern, »eine schöne Work-Life-Balance. Aber ich glaube, dass sich eine Volkswirtschaft wie unsere nicht in Teilzeit betreiben lässt, ohne dass es zu Verlusten kommt.«

3. Kampf gegen rechts

Am 27. Januar 1945, also heute vor 78 Jahren, wurde das Konzentrationslager Auschwitz durch Soldaten der Roten Armee befreit. Der Tag ist in Deutschland seit 1996 Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus. »Unvergessen ist das Leid von sechs Millionen unschuldig ermordeten Jüdinnen und Juden – genauso wie das Leid der Überlebenden«, schrieb Kanzler Olaf Scholz auf Twitter  .

Manche Menschen würden glauben, Deutschland habe sich bereits genug mit der Schoa beschäftigt, sagte Bundestagspräsidentin Bärbel Bas heute im Bundestag: »Das ist ein Irrtum. Es kann keinen Schlussstrich geben.«

Deshalb möchte ich Ihnen heute eine Geschichte aus dem neuen SPIEGEL ans Herz legen: Meine Kollegen Maik Baumgärtner, Ann-Katrin Müller, Roman Höfner und Max Hoppenstedt beschreiben darin eine neue Szene von Nazi-Jägern . »Gut getarnt verfolgen sie im Netz Rechtsextremisten und enthüllen die Identitäten von Rädelsführern, die der Staat oft nicht finden kann. Auf eigenes Risiko«, schreiben sie.

Ab welchem Alter sind Kinder eigentlich groß genug, um vom Holocaust zu erfahren? Gibt es Bücher oder Filme, die sich Ihrer Meinung nach besonders eignen als erste Einführung in eines der dunkelsten Kapitel der deutschen Geschichte? Dann schreiben Sie mir gerne an anna.clauss@spiegel.de 

Mein achtjähriger Sohn will am Nachmittag mit einem Freund Schlittschuhlaufen – auf einer Eislaufbahn in Dachau, unweit der KZ-Gedenkstätte. Die östliche Baracke dort wird ab Einbruch der Dunkelheit besonders illuminiert sein. Wir werden auf dem Heimweg daran vorbeifahren.

Podcast Cover

Was heute sonst noch wichtig ist

  • Staatsanwaltschaft sieht keinen Verdacht strafbaren Verhaltens durch Lindner: Im Oktober berichtete der SPIEGEL über eine fragwürdige Immobilienfinanzierung des Bundesfinanzministers. Daraufhin befasste sich die Berliner Staatsanwaltschaft mit dem Fall. Ergebnis der Prüfung: keine Bestechung oder Vorteilsannahme.

  • Auckland steht unter Wasser: Sintflutartige Regenfälle und Unwetter haben in Auckland zu Überschwemmungen geführt. Auch ein Konzert von Elton John musste aus Sicherheitsgründen abgesagt werden.

  • Fahnder stellen bei »Reichsbürger«-Razzia 420.000 Euro und kiloweise Gold sicher: Bei der Großrazzia in der »Reichsbürger«-Szene hat die Bundesanwaltschaft mehr Geld beschlagnahmt als bekannt. Auch der Kreis der Verdächtigen hat sich nach SPIEGEL-Informationen inzwischen ausgeweitet.

Was wir heute bei SPIEGEL+ empfehlen

  • »... bevor die Debatte außer Kontrolle gerät«: Eine geheimnisvolle Telefonkonferenz und die angebliche Weltverschwörung – wie die Suche nach dem Ursprung des Coronavirus zu einer toxischen Debatte geriet. Und wie Forschende zu Hassobjekten wurden, die um ihr Leben fürchten .

  • Aachen ist die perfekte Stadt für einen Wochenendtrip: Die Wege sind kurz, die Sightseeing-Liste ist umso länger: Hier sind die besten Tipps für den Kunst-, Cocktail- und Karl-der-Große-Genuss in der gerade so winterlichen Großstadt Nordrhein-Westfalens .

  • »Diese ›Reform‹ verbindet korrupte mit extremistisch-ideologischen Interessen«: Die Regierung von Benjamin Netanyahu plant Sondergesetze, die die Gewaltenteilung beschränken. Die Schriftstellerin Zeruya Shalev warnt: Israels Premier will damit auch seinen Korruptionsprozess ausbremsen .

Was heute weniger wichtig ist

Eben noch auf dem Basketball-Court, plötzlich als vermeintlicher Autodieb festgesetzt: Die Polizei in Los Angeles hat den deutschen NBA-Profi Dennis Schröder auf der Heimfahrt gestoppt . Der Point Guard der Los Angeles Lakers musste mit erhobenen Händen aussteigen, kurzzeitig wurden ihm Handschellen angelegt. Ein Freund, der den Wagen fuhr, musste sich an einer Tankstelle mit gespreizten Armen und Beinen auf den Boden legen. Minuten später kam dann die Aufklärung: Es handelte sich um ein Missverständnis.

Mini-Hohlspiegel

Von Welt.de

Und heute Abend?

Das für den Auslands-Oscar nominierte Jugenddrama »Close« läuft seit dieser Woche in den deutschen Kinos. In seiner Coming-of-Age-Geschichte erzählt der erst 31-jährige belgische Regisseur Lukas Dhont von der Zerstörung einer Freundschaft durch sozialen Druck – und von starren Vorstellungen von Männlichkeit.

Im Zentrum der Geschichte stehen zwei 13-Jährige: Léo (Eden Dambrine) und Rémi (Gustav De Waele) wachsen in der belgischen Provinz auf. Sie sind es gewohnt, miteinander zu kuscheln und die Nähe des anderen zu genießen. Auch ihre Eltern finden das in Ordnung. Doch die Unbefangenheit, mit der sich die zwei auch in der Öffentlichkeit berühren, sorgt in der Schule schon bald für Fragen.

»Unsere Vorstellung von Männlichkeit ist sehr beschränkt und setzt Jungen enorm unter Druck«, sagt Dhont. Das habe er selbst als junger Mensch erlebt. »Es ist einschneidend, wenn wir als Teenager feststellen, dass die Welt uns in Schubladen steckt.« In seinen Filmen erzählt er davon, was diese Erfahrung mit jungen Leuten macht.

SPIEGEL-Filmkritiker Lars-Olav Beier hat über »Close« eine sehr berührende Rezension geschrieben . Er findet, Regisseur Dhont habe das Teenager-Dasein, »die kurze Zeitspanne, die aus uns andere Menschen machen kann, mit einem präzisen Blick und einem Feingefühl eingefangen, wie es im Kino selten ist«.


Ich wünsche Ihnen einen schönen Abend.

Herzlich
Ihre Anna Clauß, Leiterin Meinung und Debatte