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News des Tages: Robert Habeck, Ampelkoalition, »Reichsbürger«, Work-Life-Balance

1. Robert Habeck lässt die Ampel flackern

In der Ampelkoalition hat es heute geknallt. Auslöser war ein Auftritt des grünen Vizekanzlers und Wirtschaftsministers Robert Habeck gestern Abend in den ARD-»Tagesthemen«, wo er seinen Koalitionspartnern unter anderem Fortschrittsverweigerung und absichtlichen Vertrauensbruch vorwarf. Das wollten SPD und FDP so nicht stehenlassen.

FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai sagte heute dem SPIEGEL: »Die Wahrnehmung von Herrn Habeck, die Grünen seien in der Ampelkoalition für den Fortschritt verantwortlich und die anderen Parteien würden ihn verhindern, entspricht nicht der Realität.«

SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese unterstellte Habeck einen allzu billigen Profilierungsversuch: »Etwas mehr Selbstkritik wäre richtig gewesen.« Habecks Äußerungen seien »sicherlich« eher an die eigenen Leute gerichtet: »Hintergründig mag auch der Konflikt mit Annalena Baerbock um die nächste Spitzenkandidatur eine Rolle spielen.«

FDP-Politiker Konstantin Kuhle wies Habecks Mutmaßung zurück, man habe seinen Gesetzentwurf zum Heizungstausch vorzeitig an die »Bild«-Zeitung durchgestochen, um ihn zu erledigen. »Wer sagt, dass es nicht Habecks Ministerium selbst war?«, twitterte Kuhle.

Und dann kam auch noch FDP-Vize Wolfgang Kubicki mit der These um die Ecke, dass Habeck ein ähnliches Verständnis von Freiheit habe wie, kein Witz, Wladimir Putin. Im Interview mit einem Onlinesender namens »Massengeschmack.tv« sagte Kubicki: »Putin und Habeck haben eine ähnliche Überzeugung davon, dass der Staat, der Führer, der Auserwählte besser weiß als die Menschen, was für sie gut ist.« Nur greife Habeck nicht wie Putin zum Mittel der Gewalt, sondern wolle »es durch Verbote machen«.

Kubicki hat sich inzwischen entschuldigt. Dennoch fragt man sich: Was ist da bloß los?

Am Sonntag will sich der Koalitionsausschuss treffen. Je nach Zählweise hängen bis zu 40 Projekte der Ampel in der Luft, weil sich die drei Partner nicht einigen können; vom EU-Verbrennerautoverbot bis zur Kindergrundsicherung.

Doch während in der öffentlichen Debatte bislang zumeist die FDP als Schuldige ausgemacht wurde, weil sie sich den Plänen der beiden linken Partnern widersetze, rücken nun die Grünen in die Außenseiterrolle. Was wohl auch an der Radikalisierung ihrer Forderungen liegt.

Das von Habeck forcierte Verbot neuer Öl- und Gasheizungen halten viele in der SPD für unausgereift und unsozial. Das von der grünen Umweltministerin Steffi Lemke vorgeschlagene Biosprit-Ende bis 2030 lehnen die SPD-Fachpolitiker ab. Und dass die Grünen jetzt auch noch den Kohleausstieg in Ostdeutschland vorziehen wollen, geht nach Genossenmeinung gar nicht.

Habeck habe »anscheinend in seiner eigenen Partei ein bisschen Druck auf dem Kessel«, sagte SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert heute. Aber »man sollte mit dem Druck nicht so umgehen, dass man jetzt einfach in alle Richtungen deswegen koffert«.

Marina Kormbaki und Christian Teevs aus unserem SPIEGEL-Hauptstadtbüro analysieren, dass hinter den Streitereien zwischen SPD und Grünen auch ein tieferer Konflikt steckt  . Für die Grünen gehe es um die Rolle als führende Kraft der linken Mitte. Auch die SPD sehe die Grünen als Konkurrenten, gepaart mit einer gewissen Herablassung. Subtext: Die Grünen müssten noch in der Regierung ankommen.

Ich glaube, dass es die meisten Wählerinnen und Wähler nicht schlimm finden, wenn Koalitionspartner in einer Sachfrage hart streiten. Doch wenn sich der Eindruck durchsetzt, dass die Regierung handlungsunfähig wird, weil jede Partei nur noch die eigene Stammklientel bedient, wird die selbsternannte Fortschrittskoalition zur Belastung.

2. Ein Schuss bei der »Reichsbürger«-Razzia

Die Bundesanwaltschaft hat heute erneut mehrere Wohnungen von mutmaßlichen Anhängern der sogenannten »Reichsbürger«-Gruppe um Heinrich XIII. Prinz Reuß durchsucht. Denn die Gruppe ist offenbar größer als bislang gedacht. Die Durchsuchungen richteten sich gegen fünf Beschuldigte aus Bayern, Niedersachsen, Sachsen und der Schweiz. Auch wurden die Räumlichkeiten von 14 weiteren Personen durchsucht, die nicht als verdächtig gelten.

Während einer der Razzien wurde ein Polizist durch einen Schuss in den Arm verletzt . Nach SPIEGEL-Informationen gehört er zum Spezialeinsatzkommando Baden-Württemberg und war an einer Durchsuchung in Reutlingen beteiligt. Gegen den Schützen wurde ein Ermittlungsverfahren wegen versuchten Mordes eingeleitet.

Die Bundesanwaltschaft ermittelt gegen die Gruppe wegen des Verdachts der Bildung einer terroristischen Vereinigung. Die Ermittler vermuten, dass sich die Gruppe zum Ziel gesetzt hat, »die bestehende staatliche Ordnung in Deutschland zu überwinden«. Dabei soll auch der »Einsatz militärischer Mittel und Gewalt gegen staatliche Repräsentanten« geplant gewesen sein.

Muss man die Verirrten-Truppe um den Preußenprinz und ihr Gefasel wirklich so ernst nehmen? Dass bei der Razzia heute offenbar auf einen Polizisten geschossen wurde, spricht leider klar dafür.

3. Finden Sie auch, dass Ihr Chef ein Idiot ist?

Frustriert, genervt, ausgebrannt: Was ist bloß mit Deutschlands Arbeitnehmern los? Laut einer neuen Umfrage der Beratungsfirma Gallup unter 1500 Beschäftigten ist die Zufriedenheit am Arbeitsplatz stark gesunken. Hier die wichtigsten Daten:

  • Nur noch 55 Prozent geben an, sie wollten in einem Jahr noch bei demselben Arbeitgeber sein. 2019 waren es noch fast 75 Prozent.

  • 69 Prozent machen Dienst nach Vorschrift.

  • Etwa jeder Dritte beklagt, aufgrund von Arbeitsstress ausgebrannt zu sein.

  • Nur noch ein Viertel ist sehr zufrieden mit dem direkten Vorgesetzten. Die Mehrheit fühlt sich weder ausreichend unterstützt noch inspiriert, Dinge zu tun, die man sich zunächst nicht zugetraut hätte.

  • 18 Prozent haben innerlich gekündigt.

Tatsächlich treffe ich in letzter Zeit häufiger auf Menschen, die von Frühverrentungssehnsucht geplagt werden. Für den SPIEGEL gilt das selbstverständlich nicht. Wir haben auch tolle Chefs, ehrlich. Trotzdem hat meine Kollegin Kerstin Kullmann das Phänomen der Arbeitsunzufriedenheit diese Woche in einem großen Report so beschrieben : »Der ›Quiet Quitting‹-Trend, also nur Dienst nach Vorschrift tun, geistert als Trend weltweit durch die sozialen Medien, tausende junge Menschen teilten ihre Zustimmung in Videos und Posts.«

Überhaupt: Diese jungen Menschen! Viele Personalchefs beklagten, die Jungen übernähmen wenig Verantwortung, wollten nicht fünf Tage am Stück arbeiten und weigerten sich, Überstunden zu machen.

Interessant fand ich, was Kerstin vom Harvard-Psychiater Robert Waldinger erfahren hat, der die weltgrößte Langzeitstudie zu Faktoren für ein zufriedenes Leben betreut. Waldinger glaubt nicht an Work-Life-Balance, weil er bezweifelt, dass sich Arbeit und Leben voneinander trennen lassen. Zeit am Arbeitsplatz sei vielmehr immer dann erfüllend, wenn man sie mit bereichernden Menschen verbringe. Waldingers Ratschlag: »Knüpft einige sinnerfüllende Beziehungen, während ihr im Job seid.«

Gut, dass wir wieder regelmäßig ins Büro gehen. Oder etwa nicht?

Podcast Cover

Was heute sonst noch wichtig ist

  • Dutzende Festnahmen nach Krawallen in Frankreich – Le Pen spricht von »sozialer Explosion«: Die Proteste gegen die Rentenreform in Frankreich sind abermals eskaliert – und der nächste Aktionstag steht bereits bevor. Die Rechtspopulistin Marine Le Pen heizt die Stimmung weiter an.

  • »Die zweite Pizza kam grad aus dem Ofen, als das halbe Boot hochgehoben wurde«: Eine Segelcrew schippert von Galapagos nach Französisch-Polynesien – als ihr Boot mit einem Wal zusammenstößt. Was während und nach dem Kentern passiert, ist filmreif.

  • 25 Verletzte bei Schiffsunfall in Edinburgh: Das Boot eines Microsoft-Mitgründers ist Schauplatz eines Unfalls mit mehreren Verletzten – offenbar aufgrund starker Winde.

Nachrichten und Hintergründe zum Krieg in der Ukraine

  • »Wir haben keine Angst vor Deutschland«: Die Nato-Länder sollen mehr für Verteidigung ausgeben – müsste sich Europa vor einem hochgerüsteten Deutschland fürchten? Nein, meint Estlands Verteidigungsminister Pevkur. Was er jetzt von Berlin erwartet .

  • Putins Schwäche, Xis Stärke: Der Besuch seines Amtskollegen kommt Putin gerade recht – er braucht die demonstrative Rückendeckung Chinas. Doch Russland macht sich immer abhängiger vom mächtigen Nachbarn, der es vor allem bei warmen Worten belässt .

  • Hier finden Sie alle aktuellen Entwicklungen zum Krieg in der Ukraine: Das News-Update

Meine Lieblingsgeschichte heute: Prost, Pulver

In der Klosterbrauerei Neuzelle in Brandenburg haben sie eine bahnbrechende Erfindung gemacht: Bierpulver. Man muss es nur mit Sprudelwasser verquirlen, schon ergibt sich ein herrliches Getränk im Glas, das aussieht, perlt und schmeckt wie ein Pilsener. Sagt Stefan Fritsche von der Klosterbrauerei. Sie können es sich in diesem Filmbeitrag selbst ansehen.

Zwei Jahre soll die Entwicklung des Bierpulvers gedauert haben. Kein übertrieben großer Aufwand, wenn man den Nutzen bedenkt. Müssen niemals wieder schwere Kisten geschleppt und Pfandflaschen in Rückgabeautomaten gesteckt werden? Fritsche sagt: »Viele Menschen kommen jetzt auf uns zu und sagen, das hat die Welt gebraucht. Weil wir so viele Probleme auf einmal lösen.«

Bislang gibt es das Pulverbier nur ohne Alkohol. Für die Zukunft ist jedoch sogar eine Starkbiervariante in Planung. Und nein, der 1. April ist erst Ende nächster Woche.

Was wir heute bei SPIEGEL+ empfehlen

  • Das Ende der »Zürich-Mafia«: Wer ist schuld am Ende der Credit Suisse? Die Führung macht dunkle Mächte verantwortlich, tatsächlich hat wohl eine Riege überschätzter Manager die Schweizer Großbank zugrunde gerichtet. Ein Lehrstück menschlichen Versagens .

  • Der Zoff über Intels Megafabrik in Sachsen-Anhalt: In Magdeburg soll eine gigantische Chipfabrik entstehen. Wissenschaftler weisen auf Schwachstellen des Projekts hin – und bringen damit Politiker in Rage. Chronologie einer Eskalation .

  • Der Polarisierer: Keiner spielte mit so viel Übersicht wie der Weltmeister von 2014: Mesut Özil war der beste deutsche Fußballer seiner Generation – und wurde Symbol einer modernen Gesellschaft. Doch die Verehrung hatte ihre Grenzen .

Was heute weniger wichtig ist

Champagnersozialistin: Sahra Wagenknecht, 53, gehört zu den Spitzenverdienern im Bundestag. Laut ihrem Abgeordnetenprofil kam sie seit 2021 auf Nebeneinkünfte von 792.961,43 Euro. Allein ihr Buch-Deal mit dem Campus-Verlag brauchte 720.000 Euro. Weitere Beträge kamen durch Auftritte herein, etwa bei einer Swiss Rock Asset Management AG. Linkenchefin Janine Wissler kritisierte heute ihre Noch-Parteifreundin: Bundesabgeordnete sollten ihre Arbeit im Parlament machen. Tatsächlich war Wagenknecht dort zuletzt häufig abwesend gewesen. Andererseits: Wenn sie mit Vorträgen den Kapitalisten das Geld aus der Tasche zieht, ist dem Sozialismus ja vielleicht auch gedient.

Mini-Hohlspiegel

Aus der »Neuen Westfälischen«

Und heute Abend?

Seit gestern ist klar, was in letzter Zeit die Höhepunkte deutschen Fernsehschaffens gewesen sein sollen: Die Grimme-Preisträger stehen fest. Jan Böhmermann und das Team von »ZDF Magazin Royale« etwa werden für die »Kombination aus journalistischer Recherche und unterhaltsamer Aufbereitung« geehrt.

Wobei ich mich frage, was genau damit gemeint könnte. Der »herbeigeböhmermannte Skandal« (Sascha Lobo) über einen angeblich allzu Russland-freundlichen Behördenchef, der sich hinterher als völlig übertrieben herausstellte? Die »grob verfälschende«  (»FAZ«) Sendung über Bosnien-Herzegowina, wo angeblich ein Muslim-feindlicher Polit-Dilettant der CSU sein Unwesen treibe? Oder gab es den Preis gar für Böhmermanns Aufruf, irgendwer solle »verdammt noch mal endlich Dieter Nuhr die Fresse polieren«? Vielleicht hätte die Grimme-Jury bei ihren Beratungen mal das Fenster auf Kipp machen sollen.

Gefreut habe ich mich allerdings über den Preis für die ZDF-Produktion »Die Wannseekonferenz« von Matti Geschonneck. Mein Kollege Wolfgang Höbel schrieb über den Film : »Mit maximaler Konzentration legt er das Prosaische und Grausame eines fast gewöhnlichen Beamtentreffens offen. In mal gestresster, mal zum Scherzen gelockerter Runde reden seine Protagonisten mit deutscher Gründlichkeit über die technischen Details der Auslöschung von Menschen, als handle es sich um Baugenehmigungen.« Hier können Sie den Film in der ZDF-Mediathek abrufen .

Ich wünsche Ihnen einen schönen Abend. Herzlich

Ihr Alexander Neubacher, Leiter Meinung und Debatte