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News: Giorgia Meloni, Italien, Türkei, Recep Tayyip Erdoğan, Brokstedt, Franca Lehfeldt

heute geht es um Italiens postfaschistische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni, um die türkische Opposition, die sich Zeit bei der Kandidatensuche lässt und um die Frage, ob es Schutz vor Angriffen wie in Brokstedt geben kann.

Eher Pragmatikerin als Postfaschistin?

Heute ist Italiens neue Ministerpräsidentin Giorgia Meloni seit 100 Tagen im Amt. Ihre Partei Fratelli d’Italia wird als postfaschistisch bezeichnet, daher waren die Befürchtungen in Europa vor der letzten Wahl in Italien groß  . Was würde es bedeuten, wenn eine Partei mit Wurzeln im Faschismus nun das Sagen im drittgrößten EU-Land hätte? Viele fragten sich, was auf Italien, auf Europa in Kriegszeiten zukäme, wenn eine Frau am Drücker ist, von der ein Satz wie »Ich habe ein unbeschwertes Verhältnis zum Faschismus« überliefert ist.

Und nun?

Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni bei einer Pressekonferenz in Tripoli, wo sie am Samstag zu Besuch war

Foto: HAZEM AHMED / REUTERS

Innenpolitisch fährt ihre Regierung durchaus einen zum Teil erzkonservativen Kurs, wenn auch bislang eher verbal. Sich feindlich gegenüber der LGBT-»Lobby«  zu äußern, wird offensichtlich nicht sanktioniert. Gepriesen wird das Familienkonzept von Mutter, Vater und vielen Kindern unter dem Segen der katholischen Kirche. Patchwork wird offensichtlich als ein Konzept liberaler, woker Eliten gesehen. Illegale Rave-Partys werden öffentlichkeitswirksam bekämpft wie Schwerverbrechen. Gleichzeitig ist bislang etwa eine Verschärfung des Abtreibungsrechts ausgeblieben – es sollte eines der ersten Regierungsvorhaben sein. Gab wohl doch Drängenderes.

In der Europa- und Außenpolitik jedoch bewegt sich Ministerpräsidentin Meloni auf den Spuren des Super-Europäers Mario Draghi, ihrem Vorgänger. »Es ist schon lustig«, sagt unser Italien-Korrespondent Frank Hornig. »Im Wahlkampf rief Meloni ihren Wählern mit Blick auf Brüssel ›Der Spaß ist jetzt vorbei!‹ zu, um dann, frisch im Amt, als Erstes genau dorthin zu reisen und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ihr Gewinnerlächeln zu präsentieren.«

Bislang hat sich Italien unter Meloni auf dem europäischen Parkett nicht ernsthaft quergestellt, nicht auf »Italy first« gemacht. Ein Streit mit dem Nachbarn Frankreich etwa darüber, wo ein Schiff mit Geflüchteten anlanden durfte, wurde schließlich beigelegt. Und ob sich die Ministerpräsidentin immer fest an die Seite ihres persönlichen und politischen Freundes Victor Orbán stellt, der Ungarn immer weiter zu einem autoritären Staat umzubauen droht, und gegen den Rest der EU, scheint auch nicht ausgemacht. »Man kann Melonis Politik als fremdenfeindlich und intolerant einstufen; doch dass sie eine Gefahr für die parlamentarische Demokratie darstellt, würden derzeit wohl nicht einmal ihre linken Gegner behaupten«, analysierte mein Brüsseler Kollege Michael Sauga jüngst  .

Dennoch verständlich, dass die ersten 100 Tage nicht alle Besorgten beruhigt. Aber vielleicht ist es ja tatsächlich so, dass Europa sogar disziplinierende Wirkung auf eine Regierung unter Führung von Postfaschisten hat – Italien ist einer der größten Profiteure aus dem Corona-Wiederaufbauprogramm.

Wer will es mit Erdoğan aufnehmen? Die Opposition weiß es nicht

Vielleicht standen die Chancen der türkischen Opposition noch nie so gut, den allmächtigen und omnipräsenten Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan bei der kommenden Wahl zu schlagen. So wie es aussieht, wird die Türkei am 14. Mai einen neuen Präsidenten und ein neues Parlament wählen.

Wartet darauf, dass die Opposition einen Kandidaten präsentiert: Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan

Foto: PRESIDENTIAL PRESS OFFICE / via REUTERS

Die Ausgangslage für die Opposition ist »günstig«: Die Inflation galoppiert schneller als anderswo, die Regierung bekommt sie derzeit nicht in den Griff, die Wirtschaft liegt darnieder, das Image ebenso, aber das ist ja nichts Neues. Die Moral vieler Menschen trübt sich, wenn sie in ihre Portemonnaies schauen und Supermarkt für Supermarkt abklappern, nur um ein paar Liras zu sparen.

Nun will die Allianz der Vorsitzenden der Oppositionsparteien, die sich zu einem »Sechser-Tisch« zusammengefunden haben, heute ihr gemeinsames Wahlprogramm vorstellen. Ihr Ziel ist, einfach gesagt: Dafür sorgen, dass die Wählerinnen und Wähler Erdoğan abwählen, einen ›wind of change‹ zusammenpusten und irgendwie zurück auf den Pfad von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit finden. Akribisch hat das Bündnis die vergangenen Monate an einem Vorschlag für eine Verfassungsreform gearbeitet,  die es nach einem Wahlsieg mit Leben füllen will.

Allein: Mit wem der Sechser-Tisch das alles schaffen will – mit welcher Kandidatin oder mit welchem Kandidaten – das hat er bislang nicht verraten. Und das verstehen viele im Land nicht. Irgendwann im Februar soll es so weit sein.

Der »Sechser-Tisch« bei seiner jüngsten Tagung

Foto: Alp Eren Kaya HANDOUT / EPA

Im Gespräch ist der Chef der »Republikanischen Volkspartei« CHP, Kemal Kılıçdaroğlu. Der hat allerdings selbst noch nie eine entscheidende Wahl gewonnen. Das scheint auch Verbündeten vom Sechser-Tisch aufgefallen zu sein, was ein Grund dafür sein kann, dass er seinen Kandidaten noch nicht benannt hat. Als ich die Chefin der nationalistischen IYI-Partei, Meral Akşener, kürzlich in einem Interview  auf die Personalie ansprach, sagte sie den interessanten Satz: »Es muss aber jemand sein, der auch gewinnen kann.«

Immerhin ist er der einzige, der sich zur Verfügung gestellt  hat – wenn ihn der Sechser-Tisch wolle, sei er bereit.

Darüber hinaus sind die Bürgermeister der beiden wohl wichtigsten Städte der Türkei im Fokus: Mansur Yavaş (Ankara) und Ekrem Imamoğlu (Istanbul). Beide könnten starke Kandidaten sein. Doch so wie es aussieht, will der eine nicht – und der andere wird mit einem absurden Urteil bedroht: Imamoğlu könnte sein Amt verlieren und mit einem Politikverbot  belegt werden.

Erdoğan macht sich derweil lustig. Am Wochenende sagte er abfällig, die Opposition könne nicht einmal jemanden finden, der es »mit uns aufnehmen  kann«. Der »große Meister«, der aufblüht, wenn er sich gegen innere und äußere politische Gegner positionieren kann, scheint längst in Wahlkampfstimmung.

Nachrichten und Hintergründe zum Krieg in der Ukraine finden Sie hier:

  • Die jüngsten Entwicklungen: »Boris, ich will dir nicht wehtun, aber...«: Der britische Ex-Premier berichtet von einem Telefonat mit dem Kremlchef kurz vor Kriegsbeginn. Kiew meldet Tote und Verletzte in Charkiw und Cherson. Der Überblick.

  • Esken weicht Frage nach möglicher Kampfjet-Lieferung aus: Kampfflugzeuge für die Ukraine? Kanzler Scholz lehnt diese Art der Hilfe kategorisch ab. Für SPD-Chefin Saskia Esken ist der Fall wohl nicht ganz so klar.

  • Chef der Münchner Sicherheitskonferenz für Lieferung von Kampfjets: Christoph Heusgen schlägt vor, Kampfflugzeuge aus alten DDR-Beständen zur Verteidigung gegen Russland zu liefern.

  • General Pavel übernimmt: Tschechien hat einen ehemaligen Nato-General zum Präsidenten gewählt. Das hat Konsequenzen – für die Ukraine und die Europäische Union. Wer ist der Mann, der sich stets klar gegen Putin positioniert? 

  • Plastikplanen statt Klassenzimmer: Drei Fünftklässler, zusammengekauert in einem selbst gebauten Zelt auf einem windigen Hügel: Weil sie in ihrem Ort im Nordosten der Ukraine keinen Empfang haben, lernen die Kinder hier per Fernunterricht. So gut es geht. Das Video.

Der Albtraum von Brokstedt

Es ist der blanke Horror, den die Insassen der Regionalbahn am vorigen Mittwoch auf dem Weg von Kiel nach Hamburg durchleben mussten. Ibrahim A. zog offensichtlich kurz vor der Haltestelle Brokstedt ein Messer, verletzte fünf Menschen und tötete zwei, gerade einmal 17 und 19 Jahre alt. Man kann ihren Eltern, ihren Familien, Angehörigen und Freunden nur Kraft und Geduld wünschen.

Kerzen und Blumen erinnern an der Haltestelle Brokstedt in Schleswig-Holstein an die Opfer des Messerangriffs

Foto: Axel Heimken / dpa

Und uns als Gesellschaft eine möglichst schnelle Aufklärung – möglichst ohne toxische Debatte. Wie meine Kollegen schreiben, hat Ibrahim A., der aus dem Gazastreifen stammt, 2016 Schutzstatus in Deutschland erlangt und wurde kriminell. So kriminell, dass ihm das zuständige Bundesamt für Migration und Flüchtlinge den Schutzstatus wieder entziehen wollte. Das Verfahren lief. Noch sechs Tage vor der Tat befand sich A. in U-Haft, ein Gutachten bescheinigte offenbar keine »Fremd- und Selbstgefährdung«.

Beeindruckend ist, dass Ibrahim A. von anderen Reisenden gestoppt wurde, wie meine Kollegen schreiben. Sie haben damit womöglich Leben gerettet. Sich gegen einen Angreifer mit Waffe zu schützen, gar zu wehren, zumal in einem abgeschlossenen und sich bewegenden Raum wie einem Zug, ist nicht gerade ein leichtes Unterfangen. Dass es aber nicht unmöglich ist, kann man in dem hochspannenden Interview unseres Kollegen Hilmar Schmundt mit dem Trainingspädagogen Swen Körner lesen – darin geht es um Deeskalationsstrategien in gewalttätigen Konflikten, aber auch um die Hammerfaust .

Hier geht's zum aktuellen Tagesquiz

Die Startfrage heute: Wer ist Präsident des FC Bayern München?

Gewinnerin des Tages…

Die Journalistin Franca Lehfeldt bei einer Veranstaltung im vergangenen Jahr

Foto: Andreas Rentz / Getty Images for WomenOnTop

… ist für mich die Journalistin Franca Lehfeldt, und zwar für das Aushalten von sexistischem Mist und dabei Nichtausflippen.

Lehfeldt hatte am Holocaust-Gedenktag in ihrer Moderation bei »Welt« gesagt: »Heute vor 78 Jahren befreite die Rote-Armee-Fraktion die Überlebenden des deutschen Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz.« Statt Rote Armee hat sie Rote Armee Fraktion gesagt. Ein Fehler. Ungut, vor allem an jenem Tag. Sollte nicht passieren. Aber seitdem muss die Frau, die offensichtlich für viele nur »die Frau von« ist, einiges aushalten. Warum dieses Überschießende dabei? Aus meiner Sicht ganz einfach: wegen ihres Partners, ihrer Jugend, ihres Aussehens. Und, weil sie peinlichen selbstbezogenen Quatsch auf Instagram postet. Macht natürlich sonst niemand in der Republik. So banal ist es am Ende.

Man muss kein Fan von Franca Lehfeldt, ihrer journalistischen Arbeit, politischen Einstellung oder Axel Springer sein, ihrem Arbeitgeber, um das abstoßend zu finden. Traurig, dass Misogynie bei bestimmten Frauen doch akzeptabel zu sein scheint.

Die jüngsten Meldungen aus der Nacht

  • USA schließen Militärschlag gegen Iran nicht aus: Damit Iran nicht in den Besitz von Atomwaffen kommt, sind für US-Außenminister Blinken »alle Optionen« denkbar. Auf Nachfrage machte er deutlich, dass dazu auch eine militärische Aktion gehören könnte.

  • Suche nach radioaktiver Minikapsel in Westaustralien – Bergbauriese Rio Tinto entschuldigt sich: Die radioaktive Kapsel ist kleiner als eine 10-Cent-Münze – und sie wurde irgendwo auf einer 1400 Kilometer langen Strecke verloren. Die Behörden suchen fieberhaft nach ihr. Und gaben nun neue Details bekannt.

  • Annie Wersching ist tot: Die Schauspielerin war in Dutzenden TV-Serien zu sehen, am bekanntesten war wohl ihre Rolle der FBI-Agentin Renee Walker in »24«. Nun ist Wersching im Alter von 45 Jahren gestorben.

Podcast Cover

Die SPIEGEL+-Empfehlungen für heute

  • Wie Europas Bürokraten den Vorsprung bei Wasserstoffanlagen verspielen: Im Geschäft mit den zentralen Anlagen für die Wasserstoffwirtschaft ist Europa Weltspitze, doch nun will China den Wachstumsmarkt aufrollen. Was macht die EU? 

  • Wie die Parole »Drittes Reich« Karriere machte: Am 30. Januar 1933 kam Hitler an die Macht. Weithin bekannt ist die NS-Diktatur auch als »Das Dritte Reich«. Die zugkräftige Formel geht in die Weimarer Republik zurück – und beruht auf einer Reihe von Irrtümern. 

  • So lässt sich ChatGPT verantworten: Der Chatbot gilt als Meilenstein künstlicher Intelligenz. Doch er ermöglicht auch Täuschungen und Missbrauch und wirft neue ethische Fragen auf. Ein Vorschlag von Peter Dabrock. 

  • Das Prince-Prinzip: Gegen männlich dominierte Machtstrukturen im Musikbusiness: Raye schrieb schon für Beyoncé und John Legend, auf ihrer eigenen Platte widersetzt sie sich nun der Regeln der Branche – mit traurigen Songs, zu denen man tanzen kann. 

Ich wünsche Ihnen einen guten Start in den Tag.

Ihre Özlem Topçu, stellvertretende Ressortleiterin Ausland