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News: Italien, Wahl, Giorgia Meloni, Europa, Gas-Umlage, Nord Stream 2, Demonstration

Povera Italia, povera Europa!

Es ist eine Katastrophe mit Ansage: Die Italienerinnen und Italiener haben sich gestern, so der Stand nach den Hochrechnungen, mehrheitlich für ein rechtes Regierungsbündnis entschieden, das von einer postfaschistischen Partei angeführt wird.

Wahlsiegerin Meloni an der Urne

Foto: ANDREAS SOLARO / AFP

Zwei fast vergessene Gestalten treten nun wieder auf die Bühne.

Silvio Berlusconi, 85, Forza-Italia-Chef, der als viermaliger Ministerpräsident den Steuerbetrug in der italienischen Spitzenpolitik etabliert hat, nun Senatspräsident werden will und zum Angriffskrieg auf die Ukraine kürzlich sagte, Putin sei zu dieser »Spezialoperation« gedrängt worden. "Russia Today" hätte es nicht schöner sagen können.

Matteo Salvini, 49, Chef der Lega, ehemaliger Innenminister, der, man sollte es nicht vergessen, nach Berichten 2009 eine Rassentrennung von Einwanderern und Italienern in Eisenbahnwagen vorgeschlagen haben soll.

An der Spitze Giorgia Meloni, 45, Chefin der einstigen Splitterpartei Fratelli d'Italia, nun bald Ministerpräsidentin. Sie hat mehrfach behauptet, die EU betreibe einen vom Großkapital finanzierten »Bevölkerungsaustausch« – ein rechtsextremes Verschwörungsnarrativ in Reinform.

Schöne Aussichten also, nicht nur für Rom, sondern auch für Brüssel, wo die Runde der Anti-Agitatoren, vor allem aus Ungarn und Polen, nun eine weitere Mitstreiterin dazu bekommt. Der zarte Keim namens Einigkeit, zuletzt im Auftreten gegen Russland deutlich gewachsen, könnte schon bald wieder zerstört sein – und die Spaltung zwischen Progressiven und Bremsern im europäischen Bündnis noch tiefer.

»Giorgia Meloni stammt aus einer neofaschistischen Splitterpartei, die Italiens schlimmstem Kriegsverbrecher und Völkermörder ein Monument errichten ließ«, schreibt mein Kollege Frank Hornig  , SPIEGEL-Korrespondent in Rom. »Für Deutschland hegt sie ›Abscheu‹. Sie sucht nicht die Nähe zu Olaf Scholz und Emmanuel Macron – sondern zum ungarischen Autokraten Viktor Orbán.«

Salvini, Berlusconi und Meloni bei einer gemeinsamen Wahlkampfveranstaltung

Foto:

Alessandra Tarantino / AP

Muss dieses Kapitel der Morgenlage also in der Apokalypse enden?

Nicht ganz, denn es gibt auch gute Gründe zu glauben, dass sich die Sache nicht ganz so schlimm entwickelt.

Erstens weiß man nicht, wie lange diese Truppe zusammenhalten wird. In Italien ist man an schnelle Wechsel ja gewöhnt und zwischen den beiden Herren und der Dame knirschte es schon im Vorfeld gewaltig.

Zweitens hat sich Meloni klar gegen Putin und pro Ukraine positioniert. Sie will auch die von der EU erbetenen Reformpläne umsetzen und mit der Kommission zusammenarbeiten. Das könnte vielleicht auch damit zusammenhängen, dass sie nicht auf die 200 Milliarden Euro aus dem Corona-Wiederaufbauplan der EU verzichten will. Das Geld könnte eine Weile wie ein Kitt wirken – schlimm genug.

Drittens ist Italien eine funktionierende Demokratie, in der die Macht verteilt ist. Neben der Regierung und dem Parlament gibt es eine sehr selbstbewusste Justiz, eine lebendige Zivilgesellschaft und den Staatspräsidenten, der in Italien eine hohe stabilisierende Wirkung hat. Amtsinhaber Sergio Matterella, als Mitglied der Partito Democartico dem Mitte-links-Spektrum zugeordnet, wurde erst im Januar für eine zweite Amtszeit wiedergewählt.

Es gibt also Hoffnung. Ein kleines bisschen.

Ich habe vor etwa 15 Jahren einen italienischen Freund gefragt, warum so viele in seinem Land Berlusconi gewählt haben. Seine Erklärung war der Müll in Neapel, der sich damals seit vielen Monaten in den Straßen türmte. Berlusconi lud als Ministerpräsident zu Sondersitzungen mit Kommunalpolitikern ein, etablierte einen Staatssekretär für Müllnotstand, erklärte die Deponien zum Militärgebiet und schickte Soldaten los: Bald war der Müll weg.

Auch wenn das grundsätzliche Problem – die Überlastung der Deponien – nicht beseitigt war, habe Berlusconis Durchgreifen die Menschen beeindruckt, sagte mein Freund.

Das macht Populisten eben so erfolgreich: Sie haben ein viel besseres Gespür als viele andere Politikerinnen und Politiker (und Journalistinnen und Journalisten) dafür, was die Leute wirklich bewegt.

Die Gas-völlig-unklar-lage

Es ist verständlich, dass die Politik in Krisenzeiten nicht alles richtig macht. Es ist verständlich, dass sie auch mal so richtig daneben langt. Und so hielt sich meine Empörung über das Hin und Her bei der Gasumlage bislang in Grenzen. Es ist ja auch eine komplizierte Sache.

Minister Lindner, Habeck: Einig, dass die Gasumlage wackelt

Foto:

IMAGO/Political-Moments

Nun aber wurde im Umlagedrama ein neuer Akt eröffnet, dessen Absurdität meine Toleranzgrenze überschreitet.

Vergangene Woche echauffierte sich Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) noch über die destruktive »Die-Gasumlage-muuuuss-weeg«-Attitüde der Union, bezweifelte aber selbst, dass seine Erfindung rechtlich überhaupt noch haltbar ist, wenn das Geld aus dieser Umlage auch einem frisch verstaatlichten Konzern wie Uniper zugutekommt.

Finanzminister Christian Lindner (FDP) hat diese Bedenken zwar zur Seite gewischt. Er stellte das umstrittene Instrument dann aber plötzlich grundsätzlich infrage: »Wir haben eine Gasumlage, die den Preis erhöht. Aber wir brauchen eine Gaspreisbremse, die den Preis senkt«, sagte der Finanzminister in bestechend schlicht formulierter Logik der »Bild am Sonntag«. Es stelle sich immer mehr »die wirtschaftliche Sinnfrage«.

Im Kanzleramt hielt man lange an der Gasumlage fest und erinnerte daran, dass sie ja ausdrücklich ein Wunsch der Wirtschaft gewesen sei. Doch ein Satz des Kanzlers auf seiner Nahostreise deutete in seiner Nullaussage (»Das ist etwas, wo alle Faktoren gemeinsam betrachtet werden müssen«) darauf hin, dass Olaf Scholz gerade kräftig nachdenkt.

Kommt das Geld nicht aus der Umlage, muss es irgendwo anders herkommen, zum Beispiel aus dem Haushalt. Dann aber wäre wohl die Schuldenbremse im kommenden Jahr gefährdet, an der Lindner weiter festhalten will, wie er gestern bei »Anne Will« nochmals betonte. Da verriet er auch, dass er schon eine Idee habe, wie es gehen könnte, sie aber nicht verrate. Achtung, Cliffhanger!

Und jetzt?

Der Kanzler und seine beiden Minister sollten sich recht schnell zusammensetzen und das Finale dieses Stücks entwerfen, bevor die Buhrufe aus dem Publikum nicht mehr zu überhören sind.

Vielleicht heute noch?

Mehr Nachrichten und Hintergründe zum Krieg in der Ukraine finden Sie hier:

  • Das geschah in der Nacht: Der ukrainische Präsident meldet heftige Gefechte entlang der Frontlinie – und verurteilt die Teilmobilmachung Russlands. Der Bürgermeister von Melitopol warnt vor Zwangsrekrutierungen. Die Slowakei lehnt die generelle Aufnahme russischer Kriegsdienstverweigerer ab. Der Überblick.

  • »Die Mobilisierung wird für Russland sehr viele Probleme nach sich ziehen«: Wladimir Putin will 300.000 Reservisten einziehen. Die Russland-Expertin Liana Fix sieht den Aggressor in einer Position der Schwäche und rechnet mit »bitteren militärischen Gefechten«. 

  • Menschen verlassen Russland: Die Flucht vor der russischen Teilmobilmachung hält offenbar an: Der finnische Grenzschutz berichtet von Tausenden zusätzlichen Reisenden. Vor dem Grenzübergang nach Georgien bilden sich lange Schlangen.

  • Putin und das Peak-Power-Syndrom: Russland befindet sich im demografischen Niedergang, wie viele andere Länder auf dem Globus. Die Macht schwindet, die Führer fürchten den Abstieg – das macht sie noch gefährlicher. Eine Kolumne von Henrik Müller.

»Nord Stream 2«-Fetischismus

Apropos Buhrufe. Einen Vorgeschmack auf das, was vielleicht noch kommt, konnte man gestern in Lubmin bekommen. Auf einer von einem Mitglied der Querdenker-Partei »Die Basis« angemeldeten Demo war das Motto: Nord Stream 2 öffnen!

Protestierende in Lubmin: Sinnlose Forderungen

Foto: JOACHIM HERRMANN / REUTERS

Eine beliebte, immer wiederkehrende Forderung, die auch ein Bundestagsvizepräsident schon mal geäußert hat, was sie aber nicht plausibler macht. Der russische Präsident hat auch in Nord Stream 1 das Gas abgedreht – ob also durch eine oder durch zwei Pipelines kein Gas fließt, kommt aufs Gleiche raus: am Ende ist es null Gas.

Den Protestierenden ging es offenbar weniger um die eine Röhre als vielmehr um Hetze gegen die Regierung im Generellen, wie meine beiden Kollegen Maik Baumgärtner und Ann-Katrin Müller aus Lubmin berichten. Etwa 4000 Menschen versammelten sich gestern in dem kleinen Seebad und hörten fast zweieinhalb Stunden zu, wie auf der Bühne etwa gefordert wurde, dass »im Reichstag mal wieder durchgefegt« werden müsse.

»Die Demonstration zeigt einmal mehr, dass es nicht wirklich um die Probleme der Menschen geht, sondern darum, ein möglichst breites, antidemokratisches Bündnis zu schmieden«, sagen Baumgärtner und Müller.

Alter Bekannter in Uniform

Der Kanzler war am Wochenende im Nahen Osten, drei Länder in zwei Tagen, es war eine heikle Mission. In Saudi-Arabien traf er Kronprinz Mohammed bin Salman, jenen Mann, den westliche Geheimdienste für den brutalen Mord an dem Journalisten Jamal Khashoggi vor vier Jahren verantwortlich machen. Er gab ihm die Hand und beendete eine lange diplomatische Eiszeit. Zugleich, versicherte der Kanzler, habe er alle menschenrechtliche Fragen mit dem Kronprinz besprochen.

Scholz, bin Salman: Historischer Handschlag

Foto:

BANDAR AL-JALOUD / AFP

In den Vereinigten Arabischen Emiraten wurden LNG- und Diesel-Verträge mit den Deutschen abgeschlossen. Dann reiste Scholz mit seiner großen Delegation nach Katar, um Gespräche zu führen; angeblich auch über Menschenrechte, vor allem übers Gas. Verträge allerdings wurden keine unterzeichnet.

Es ist das bekannte Dilemma: Wie hoch darf der Schurkengrad eines Staates sein, damit man mit ihm noch Geschäfte machen kann? Ab welchem Level ist die Toleranzgrenze überschritten? Die Höhe der Hürde verändert sich ständig, beeinflusst vor allem von unseren eigenen Bedürfnissen – etwa nach Energie. Es ist, alles in allem, nur selten ein lupenreiner Deal.

In der Nacht ist Scholz zurückgekommen. Am Nachmittag geht es zur Julius-Leber-Kaserne, wo der Kanzler einen ersten wichtigen Schritt in seiner Zeitwende schreiten wird: Ein neues Führungskommando wird aufgebaut, es bündelt die Führung der Streitkräfte im Inland.

Generalmajor Breuer: Vom Impfen zur hybriden Kriegsführung

Foto:

Annette Riedl / dpa

Neuer Befehlshaber wird ein alter Bekannter: Carsten Breuer, der Coronageneral. Breuer war von November 2021 bis Mai 2022 Leiter des Pandemie-Krisenstabs der Bundesregierung im Bundeskanzleramt und koordinierte anschließend Einsätze der Bundeswehr bei Waldbränden. In seiner neuen Aufgabe sieht der Generalmajor die »hybride Einflussnahme auf die Sicherheitsarchitektur Deutschlands« als größte Herausforderung an. Sein Blick also richtet sich künftig nach Moskau.

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Die Startfrage heute: Wann endete der Kriegszustand zwischen den USA und Deutschland?

Gewinner des Tages...

Marathonläufer Kipchoge: Neuer Weltrekord

Foto: FABRIZIO BENSCH / REUTERS

… ist Eliud Kipchoge aus Kenia, der gestern auf dem Berlin Marathon eine übermenschliche Leistung erbracht hat. Mit 2 Stunden, 1 Minute und 9 Sekunden für die 42 Kilometer unterbot er seine Bestleistung vom vergangenen Jahr nochmals um 30 Sekunden. Ich brauche für meine Runde von 13 Kilometern eine Stunde und 10 bis 15 Minuten. Für mich ist unvorstellbar, wie ein Mensch so lange so schnell rennen kann.

Die jüngsten Meldungen aus der Nacht

  • EU verurteilt Irans gewaltsames Vorgehen: Wegen der brutalen Niederschlagung von regimekritischen Demonstrationen hat jetzt die Europäische Union die Regierung Teherans scharf kritisiert. Die 27 EU-Mitgliedstaaten erwägen auch Sanktionen.

  • Brand in Altenheim – drei Tote, sechs Schwerverletzte: In dem Heim in Wardenburg bei Oldenburg ist aus bisher unbekannter Ursache ein Brand ausgebrochen.

  • Rihanna tritt beim nächsten Super Bowl auf: Die neunfache Grammy-Gewinnerin ist der Star der nächsten Halbzeitshow des NFL-Finales am 12. Februar 2023. Einen neuen Sponsor hat das TV-Spektakel auch.

Die SPIEGEL+-Empfehlungen für heute

  • Bolsonaros Freunde mit der Knarre: Hunderttausende Anhänger von Brasiliens Staatschef Bolsonaro haben sich in den vergangenen Jahren eine Schusswaffe besorgt. Stürzen sie das Land ins Chaos, falls er in wenigen Tagen die Präsidentschaftswahl verliert? 

  • Irgendwie, irgendwo, irgendwann: Die Ampel will rund jede zehnte Schule in Brennpunktvierteln mit Geld vom Bund unterstützen. Streit unter den Ländern droht das Vorhaben zu zerreiben. Und landet die Hilfe eigentlich bei den richtigen Schulen? 

  • »Wer allein im Restaurant sitzt, fühlt sich, als würde niemand mit ihm spielen wollen«: Alleinsein hat einen schlechten Ruf. Die Autorin Sarah Diehl erklärt, woher der kommt – und was wir womöglich verpassen, wenn wir uns immer anderen Menschen anpassen .

  • Das Geheimnis eines römischen Giraffenbratens: Im antiken Rom kam kaum ein Essen ohne die Würzsoße Garum aus, hergestellt aus fermentiertem Fisch. Heute arbeiten Aromenforscher mit ähnlichen Verfahren. Wie schmeckt die Antike? 

Ich wünsche Ihnen einen guten Start in den Tag – und in die Woche!

Ihr Martin Knobbe