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News: Koalition, Wolodomyr Selenskyj, Ukraine, Sahra Wagenknecht, Linke

Eine Frage des Vertrauens

Ich hoffe, dass wir noch eine Regierung haben, wenn Sie diese Lage lesen. Ich habe da zwar eigentlich keinen Zweifel. Aber wenn man gestern die Kommentare und Tweets einiger Kolleginnen und Kollegen zum Zustand der Ampelkoalition las, konnte man auf die Idee kommen, Olaf Scholz wäre kurz davor, Neuwahlen anzustreben (was gar nicht so einfach geht, Gerhard Schröder kann es bezeugen) oder Friedrich Merz zum Vizekanzler zu machen (was mit 67 Jahren immerhin endlich sein erstes Regierungsamt wäre). Ich kann Ihnen aber versichern: Die Ampel bleibt.

Was war überhaupt passiert?

Große Worte: Robert Habeck

Foto: Political-Moments / IMAGO

Nach allerlei Kabbeleien in den letzten Wochen hatte Robert Habeck am Dienstagabend den »Tagesthemen« ein Interview gegeben. Da beklagte er mit einem sehr, sehr betroffenen Gesichtsausdruck, dass ein Gesetzentwurf (der zum Heizungstausch) an die »Bild«-Zeitung gegeben worden sei, und zwar aus der Regierung. Die Gespräche über den Entwurf seien dadurch »zerstört worden, wahrscheinlich mit Absicht zerstört worden, des taktischen Vorteils wegen«. Habeck weiter: »Das hat dem Vertrauen in die Regierung geschadet. Und eine Regierung, die das Vertrauen verspielt, hat natürlich ihr größtes Pfund verloren.«

Die Schublade mit der Aufschrift »Eine Nummer kleiner«, die fehlt bei Habeck irgendwie.

Ich habe mich aus diesem Anlass an einen SPIEGEL-Titel aus dem Juni 2010 erinnert. Damals regierte Schwarz-Gelb (noch kein Jahr), und nach längerer Diskussion hatten wir uns als Redaktion für eine sehr einfache Titelzeile entschieden: »Aufhören!« Darunter waren Angela Merkel und ihr Vizekanzler Guido Westerwelle zu sehen, die aussahen, als hätten sie ein längeres Abendessen mit Helmut Kohl und Jürgen Möllemann vor sich.

Ich habe den Text von damals noch einmal gelesen und möchte gern zwei Passagen zitieren, erstens diese: »Man kann nur ›Aufhören!‹ denken, wenn man dieser Regierung zusieht. Aufhören mit den ewigen Beschimpfungen von ›Wildsau‹ bis ›Gurkentruppe‹, aufhören mit dem Streit um fast jeden Punkt der Regierungsarbeit, von der Wehrpflicht bis zu Hilfen für Opel, aufhören mit der falschen Ausrichtung eines Sparprogramms, das den Reichen keinen Beitrag abverlangt.«

Und zweitens diese, in der es um eine Sparklausur im Kanzleramt geht und die Gespräche, die am Rande dieser Klausur unter Kabinettsmitgliedern geführt wurden: »Die einen regen sich über Guttenberg auf. ›Gefährdet bei ihm jeder eingesparte Cent denn immer gleich ein Soldatenleben?‹, wird gefragt. Die anderen empört das Auftreten von Staatssekretär Gatzer: ›Der Sozi, der saß schon neben Steinbrück und hat den gesteuert, jetzt macht er mit Schäuble den Molli. Was maßt der sich an, dieser Sozen-Beamte.‹«

Ja, so war das damals (ich hatte immer Angst vor dem Tag, an dem ich diesen Satz sage, aber jetzt ist es so weit). War das gut? Nein, war es nicht, die Titelzeile hatten wir uns ja nicht aus Spaß überlegt. Aber verglichen mit Schwarz-Gelb, ist die Ampel immer noch ein Waldorfkindergarten. Es hilft, sich das noch mal in Erinnerung zu rufen, um die Dimension eines frühzeitig veröffentlichten Gesetzentwurfs einzuordnen.

In Kiel mag so etwas nicht oft vorkommen, in Berlin ist es nun mal Teil des Spiels, ob man das mag oder nicht. (Als Journalisten sind wir übrigens Teil dieses Spiels und betrachten es als eine unserer vornehmeren Aufgaben, Gesetzentwürfe und Aktenvermerke zu besorgen und zu veröffentlichen.) Am Ende ist die Frage, womit man dem Vertrauen in die Regierung eigentlich mehr schadet. Indem man einen Gesetzentwurf weitergibt? Oder indem man öffentlich behauptet, das Vertrauen in die Regierung habe gelitten?

Schwarz-Gelb regierte damals übrigens die gesamte Legislaturperiode, und die Kanzlerin blieb auch nach der Wahl 2013 Kanzlerin. Nur die FDP, die flog dann aus dem Bundestag.

Es bleibt Krieg

In Brüssel beginnt heute ein EU-Gipfel, und ich möchte kurz aus der Ankündigung einer Nachrichtenagentur zitieren: »Auf der Tagesordnung stehen unter anderem Debatten zur Ukraine, zur Wettbewerbsfähigkeit, zum Binnenmarkt und zur Wirtschaft sowie zur Energie.«

Selenskyj, Soldaten: Unvorstellbarer Mut

Foto: Ukrainian Presidential Press Service / EPA

Ukraine, unter anderem. Ein Thema unter vielen. Darum geht es mir, und das ist ganz ausdrücklich kein Vorwurf, weder an die Kollegen von der Agentur noch die Architekten der Gipfel-Tagesordnung. Es ist die traurige Realität nach ziemlich exakt 13 Monaten dieses Krieges. Wir haben uns an Dinge gewöhnt, an die man sich nicht gewöhnen darf.

Vielleicht ist Ihnen aufgefallen, dass ich in den Lagen dieser Woche auf den Krieg, seinen Verlauf und die täglichen Meldungen dazu bislang gar nicht eingegangen bin. Das lag nicht daran, dass ich das Thema für unwichtig hielte oder Ihnen morgens ausschließlich gute Laune bereiten wollte. Mir fiel einfach keine Formulierung, keine Perspektive ein, mit der ich hier, am sicheren Schreibtisch, aus dem endlosen Strom des Grauens etwas hätte herausfiltern können, was sich nicht so anfühlte, als wäre es im vergangenen Jahr hundertmal, tausendmal geschrieben und gesagt worden. Mir fiel nichts ein, was nicht irgendwie hohl klang.

Irgendwann wird auch das Grauen zur Routine, zumindest aus der Entfernung. Für die Betroffenen bleibt das Grauen immer grauenhaft.

Gestern hat nun Wolodymyr Selenskyj Soldaten an der Front besucht, bei Bachmut. Die Männer und Frauen der ukrainischen Armee verteidigen diese Stadt seit Monaten mit einem Mut und einer Opferbereitschaft, die ich mir nicht einmal ansatzweise vorstellen kann. Mir ist schon klar, dass dieser Besuch durchinszeniert war, dass es darum ging, Bilder zu erzeugen, die Mut machen, den Durchhaltewillen stärken. Und obwohl mir das bewusst war, haben die Bilder von Selenskyj und den Kämpfern mich berührt. Seltsamerweise mehr als viele Bilder von Zerstörung, Leid und Elend aus den letzten Wochen.

Ich werde an dieser Stelle jetzt wieder jeden Tag über den Krieg schreiben. Auch auf die Gefahr hin, mich zu wiederholen. Das kann kein Maßstab sein.

Mehr Neuigkeiten und Analysen zum Krieg in der Ukraine finden Sie hier:

  • Die jüngsten Entwicklungen: Jens Stoltenberg sieht kaum eine Chance auf ein rasches Ende der Gewalt in der Ukraine: Russland wird seine Angriffswellen noch verstärken, so der Nato-Chef. Er nimmt Staaten wie Deutschland daher in die Pflicht.

  • USA machen Slowakei offenbar Helikopter-Angebot: Militärische Ausrüstung im Wert von mehr als einer Milliarde US-Dollar für weniger als die Hälfte: Dieses Schnäppchen sollen die USA der Slowakei offeriert haben, sagt Verteidigungsminister Jaroslav Nad.

  • »Putin wirkte fast devot«: Wladimir Putin beansprucht Großmachtstatus für Russland. Doch als Chinas Staatschef Xi Jinping zu Gast war, machte allein die Körpersprache beider Männer klar, wer in der stärkeren Position ist. Beobachtungen von SPIEGEL-Korrespondentin Christina Hebel.

  • »Wir haben keine Angst vor Deutschland«: Die Nato-Länder sollen mehr für Verteidigung ausgeben – müsste sich Europa vor einem hochgerüsteten Deutschland fürchten? Nein, meint Estlands Verteidigungsminister Pevkur. Was er jetzt von Berlin erwartet. 

Das Kapital

Zum russischen Angriffskrieg hat Sahra Wagenknecht ja ihre ganz eigene Meinung. Die letzten Meldungen, die ich diese Woche über sie gelesen habe, hatten allerdings ausnahmsweise weder damit noch mit der möglichen Gründung einer möglichen neuen Partei zu tun (von der ich mittlerweile so oft gehört habe, dass ich zwischendurch dachte, es gäbe sie schon). Stattdessen ging es um Wagenknechts Einkünfte.

Sahra Wagenknecht, Vortragsreisende

Foto:

Oliver Ziebe / dpa

Mein Kollege Marc Röhlig hat darüber diese Woche berichtet, demnach hat Wagenknecht zwischen 2021 und 2023 insgesamt 792.961,43 Euro verdient – neben ihrer Tätigkeit als Bundestagsabgeordnete (wobei die Geister sich scheiden, ob da ernsthaft von Tätigkeit gesprochen werden kann). Den größten Anteil macht ein Buchhonorar über 720.868,99 Euro aus, was in mir ehrliche Bewunderung ausgelöst hat, weil ich mit einem guten Freund zusammen selbst mal ein Buch geschrieben habe, über Sigmar Gabriel. Leider wollte das kaum jemand kaufen, was am Thema oder den Autoren oder allem zusammen gelegen haben könnte. Was ich mit diesem Buch verdient habe, verhält sich zu Wagenknechts Summe etwa so wie Liechtenstein zu Kanada. Es passt ziemlich oft hinein.

Für Kritik sorgt unter Wagenknechts (Noch-)Parteifreunden eher die Herkunft ihrer sonstigen Einnahmen. Die strich sie für die Teilnahme an Veranstaltungen oder für Vorträge ein – etwa bei der Swiss Rock Asset Management, die ihren Kunden laut eigenen Angaben »erstklassige Vermögensverwaltung« bietet. Für mich klingt das ungefähr so, als würde ein Kurienkardinal bei den Satanisten auftreten und dafür auch noch Geld kassieren. Ich habe ein gewisses Verständnis, dass nicht alle in der Linken das neidfrei betrachten können.

Andererseits könnte man das Ganze ja auch zur subversiven Strategie erklären: Jedes Honorar für Wagenknecht schwächt das Kapital. Ich bin (fast) sicher, sie hatte nichts anderes im Sinn.

Und was ist jetzt mit der neuen Partei? Ich habe das Gefühl, in dieser Woche wird das nichts mehr.

Hier geht’s zum aktuellen Tagesquiz

Gewinnerinnen und Gewinner des Tages…

Prater in Wien

Foto: Roland Schlager / picture alliance / apa / dpa

…sind alle Wienerinnen und Wiener. Vielleicht erinnern Sie sich, dass ich in der gestrigen Lage einen Freund von mir zitierte, der zur Hälfte Österreicher ist und gern davon spricht, dass es »einen ordentlichen Schepper tun« werde oder bereits getan habe. Zumindest klang das für mich immer so. Offenbar habe ich ihn über Jahre falsch verstanden.

Darauf deutet die Zuschrift eines Lesers hin, dessen Frau nach seinen Angaben Wienerin ist und mir Folgendes ausrichten ließ: »Das ist a Schas. Des Wort Schepper gibts net, schreib’ dem Piefke, dass es Schepperer heißt!«

Jetzt müsste man nur noch wissen, was ein Schas ist. Ich habe da eine Vermutung. Aber selbst das klingt auf Wienerisch noch irgendwie charmant.

Die jüngsten Meldungen aus der Nacht

  • Auswärtiges Amt kritisiert Israels Entscheidung zu Siedlungen als »gefährlich«: In ungewohnt scharfen Worten äußert sich das Auswärtige Amt zur israelischen Gesetzesänderung zugunsten jüdischer Siedler im Westjordanland. Dabei handele es sich um einen »gefährlichen Schritt«.

  • »Bügeleisen-Gebäude« in New York für 190 Millionen Dollar versteigert: Der Hammer fiel nach rund einer Stunde: Für 190 Millionen Dollar wechselt das bekannte »Flatiron Building« in New York den Besitzer. Ein Streit unter den Eigentümern hatte zu der Zwangsversteigerung geführt.

  • Haft für Andrew Tate um 30 Tage verlängert: Der umstrittene Influencer Andrew Tate bleibt in Rumänien vorerst hinter Gitter. Rund ein halbes Jahr lang kann er ohne Anklage in Haft sein, während die Ermittlungen laufen. Das reizen die Behörden offenbar aus.

Podcast Cover

Die SPIEGEL+-Empfehlungen für heute

  • Das Ende des Kapitalismus, wie wir ihn kannten: Allzu viele Unternehmen verlassen sich inzwischen darauf, dass der Staat sie mit Fördergeld beschenkt – und dass er sie rettet, falls es eng wird. 

  • Der Tag, an dem die Demokratie ermordet wurde: Am 23. März 1933 verabschiedete der Reichstag das »Ermächtigungsgesetz«. Die Abgeordneten machten Hitler faktisch zum Diktator – und sich selbst überflüssig. Warum stimmten so viele von ihnen dennoch zu? 

  • »Man fliegt an Feiertagen, verpasst Geburtstage, Freunde wenden sich ab«: Justine Kill fliegt als Co-Pilotin bei einer Cargo-Airline Pakete, Trockeneis und Batterien durch Europa. Hier erzählt sie, warum sie ihren Job mag, womit sie hadert – und warum sie froh ist, keine Passagiere an Bord zu haben. 

  • Ohne Kompass in die Wüste: »Der vermessene Mensch« handelt vom Völkermord, den deutsche Truppen Anfang des 20. Jahrhunderts in Namibia begangen haben. Nach der Premiere auf der Berlinale zeigt Regisseur Lars Kraume ihn nun genau dort, wo all das passierte. 

Ich wünsche Ihnen einen guten Start in den Tag.

Ihr Christoph Hickmann, stellvertretender Leiter des SPIEGEL-Hauptstadtbüros