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News: Nancy Faeser tritt an in Hessen, Maskenpflicht fällt, Krieg in der Ukraine

1. Nancy Röttgen?

Jetzt ist es offiziell: Nancy Faeser will die SPD als Spitzenkandidatin in den hessischen Landtagswahlkampf führen, im Falle einer Niederlage aber Innenministerin im Bund bleiben. »Oppositionsführerin war ich schon«, sagte sie meinen Kollegen Martin Knobbe und Wolf Wiedmann-Schmidt. Im SPIEGEL-Gespräch wirkte sie entschlossen und stellte es als das Normalste der Welt dar, dass sie ihr Amt im Wahlkampf behält: »Das machen schließlich die Ministerpräsidenten auch, die sich dieses Jahr zur Wahl stellen, auch jene von CDU und CSU in Bayern und Hessen.« (Lesen Sie hier das ganze Gespräch.  )

Wolf findet: »Eigentlich erstaunlich erfrischend. Eine Politikerin sagt: Ich will Macht, darunter mach ich es nicht mehr.« Doch es bleibt ein riskantes Manöver. Faeser könnte in die »Röttgen-Falle« tappen, von der gerade so oft zu lesen ist: Norbert Röttgen, damals Bundesumweltminister, fuhr vor etwas mehr als einem Jahrzehnt eine Niederlage für die CDU in Nordrhein-Westfalen ein. Auch er wollte nur nach einem Sieg auf die Landesebene wechseln – und wurde hart attackiert. Inhaltlich war das schon damals Quatsch: »Was ist schlimm daran, wenn jemand lieber auf Bundesebene Politik gestalten will, statt in der Landespolitik Oppositionsarbeit zu machen?«, fragte mein Kollege Philipp Wittrock 2012 in einem Kommentar mit dem Titel »Stunde der Heuchler« (hier mehr).

Aber taktisch macht Faeser die Flanke auf. Natürlich werden CDU und Grüne, die sich in Hessen am 8. Oktober beide Hoffnung auf einen Wahlsieg machen, in den kommenden Monaten alles dafür tun, um sie als Teilzeit-Innenministerin darzustellen. Jede Wette, dass sie in den Parteizentralen längst googeln: Wer aus der SPD hat Röttgen für sein Zögern wie hart attackiert? Lassen sich die Zitate gegen Faeser wenden? Hat vielleicht sogar Olaf Scholz was gesagt? Eine kurze Archivabfrage zeigt jedoch: Der heutige Kanzler scheint sich damals nicht geäußert zu haben. Auf die Schnelle finden sich nur Stimmen von Leuten wie Sigmar Gabriel, damals SPD-Chef, und Hannelore Kraft, damals SPD-Ministerpräsidentin in NRW: Sie geißelten Röttgen als jemanden, der sich einen anderen Stuhl warmhalte. Als »Mann, der sich nicht traut«.

Das werden sie eingepreist haben in der SPD und im Kanzleramt. Sie werden Faeser präsentieren als Klare-Kante-Innenexpertin, die jahrelang in Hessen Politik gemacht hat. Sie selbst verweist auf Manfred Kanther, den früheren CDU-Hardliner, auch Bundesinnenminister, auch Spitzenkandidat in Hessen, auch im Bund geblieben. Interessante Strategie für die SPD, aber vielleicht nicht der beste Slogan: Mehr Kanther als Röttgen – Nancy Faeser für Hessen. Aber im Ernst: Wer aus der SPD soll es denn sonst machen?

2. Wir schaffnern das

Mein Schwiegervater lebt in Bayern, über eine Karikatur aus dem vergangenen Jahr, die das Wirrwarr bei den Corona-Regeln auf den Punkt brachte, hat er sich besonders gefreut:

Illustration: Klaus Stuttmann

Noch Wochen später lachte er über den Satz: »Das Virus meidet den Nahverkehr.«

Heute ist deutschlandweit die Maskenpflicht gefallen. Jetzt dürfen ICE-Fahrende sich auch außerhalb des Speisewagens wieder ungehindert anhusten. Jetzt müssen Schaffner und Zugchefinnen rätseln, wie sie ihre Durchsagezeit füllen sollen. Und jetzt kann es nicht mehr lange dauern, bis irgendein Forscher in irgendeinem Podcast zu irgendeiner Studie befragt wird, die auf irgendeinem Preprint-Server veröffentlicht wurde und der Frage nachgeht: Lassen sich Rotzpartikel-Aerosole im Familienabteil bei einer Zuggeschwindigkeit von 300 Stundenkilometern und einer Niesgeschwindigkeit von 160 Stundenkilometern auf halbe Schallgeschwindigkeit beschleunigen?

Eine andere, eine echte Studie macht gerade die Runde, wonach die Maskenpflicht in Zügen wenig gebracht habe. Die Aufregung ist groß. Allerdings halten die Autorinnen und Autoren der Analyse die Aussagekraft selbst für gering, wie meine Kollegin Julia Köppe aus unserem Wissenschaftsressort berichtet: »Tatsächlich haben mehrere Studien gezeigt, dass Masken Partikel zurückhalten können.« (Hier mehr dazu.)

Eigenverantwortung also? Kann ja jeder weiter Maske tragen, der will? Funktioniert vielleicht in der Theorie, in der Praxis dürfte die wohl stärkste soziale Kraft siegen: der Herdentrieb. Der scheint, wie meine Kollegin Ines Zöttl berichtet, sogar stark genug, dass große Techkonzerne ihm nicht widerstehen können: Sie entlassen demnach in Massen ihre Leute, weil die anderen es auch tun (hier mehr dazu ). Bleibt nur ein Ausweg: Das Virus hat den Fernverkehr ab sofort zu meiden.

3. Foltervorwürfe gegen Russische Truppen

Die Präsidentin der EU-Kommission, Ursula von der Leyen, ist heute zu einem zweitägigen Besuch in Kiew eingetroffen, begleitet von 15 Kommissionsmitgliedern. Sie kündigte neue Sanktionen gegen Russland an – und dass am Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag ein neues Zentrum für Beweismittel eingerichtet werde: »Russland muss für seine abscheulichen Verbrechen vor Gericht zur Rechenschaft gezogen werden.« Staatsanwälte aus der Ukraine und der Europäischen Union sammeln von der Leyen zufolge schon jetzt Beweise. Das Zentrum solle diese Arbeit koordinieren.

Immer wieder gibt es Folterberichte. Ein geflohener russischer Offizier erzählte jetzt meinem Kollegen Alexander Chernyshev und meiner Kollegin Christina Hebel, wie seine Kameraden und Kommandeure mit ukrainischen Gefangenen umgegangen seien: Er spricht von Schlägen, Scheinerschießungen und tagelangen Verhören. »Nicht alle Details lassen sich unabhängig überprüfen«, berichten die Kollegen. Aber der Mann präsentierte Aufnahmen und Dokumente, die seine Einsätze als Offizier in der Ukraine dokumentieren. Der SPIEGEL hält sie für glaubwürdig. Der Offizier sagt: »Ich empfinde Reue, aber es gab keine Möglichkeit zu helfen«

Und hier weitere Nachrichten und Hintergründe zum Krieg in der Ukraine:

  • Was Russland mit seiner Wellenoffensive erreichen kann: Mit einer unerwarteten Winteroffensive versucht Russland, den Krieg zu seinen Gunsten zu drehen. Doch die zeitgleichen Angriffe an allen Fronten bergen Risiken für Moskau – und kosten offenbar zahllose Menschenleben .

  • »Wir schaffen das in zwei Jahren«: Die Ukraine kämpft gegen Putins Truppen – und macht sich gleichzeitig bereit für das große Zukunftsprojekt: Premier Denys Schmyhal über den EU-Beitritt, den Kampf gegen Korruption und Milliardenhilfen für den Wiederaufbau .

  • Hier finden Sie alle aktuellen Entwicklungen zum Krieg in der Ukraine: Das News-Update

Podcast Cover

Was heute sonst noch wichtig ist

  • Europäische Zentralbank erhöht Leitzinsen um weitere 0,5 Prozentpunkte: Um die Inflation in der Eurozone einzudämmen, erhöht die Europäische Zentralbank die Zinsen wie erwartet weiter. Der Leitzins steigt auf 3 Prozent – und die Notenbank sieht sich noch nicht am Ziel.

  • Shell hat seinen Gewinn 2022 verdoppelt: Krise? Welche Krise? Nach Beginn des russischen Krieges in der Ukraine sind die Gas- und Ölpreise durch die Decke gegangen. Und Shell meldet die höchsten Gewinne seiner Konzerngeschichte.

  • USA bauen Militärpräsenz auf den Philippinen aus: Zwischenzeitlich war das Verhältnis zu den Philippinen abgekühlt, nun bemühen sich die USA um eine Neubelebung der Beziehungen. Und noch ein weiterer Pazifikstaat wird im strategischen Kampf gegen China ins Boot geholt.

  • Wetterdienst warnt vor Lawinengefahr in den Alpen: Im Süden von Deutschland soll es dauerhaft und intensiv schneien. Zusammen mit einem stürmischen Nordwestwind steigt die Lawinengefahr in den Bergen stark an.

  • 24 Millionen Atemwegserkrankungen unter 12 Millionen Kindern: RS-Viren, Grippe, Covid-19: Im vergangenen Quartal schniefte und hustete es überall in Deutschland. Nun hat das Robert Koch-Institut Zahlen zu den verschiedenen Infektionswellen veröffentlicht.

Was wir heute bei SPIEGEL+ empfehlen

  • Warum in der Baubranche der große Frust herrscht: In Deutschland fehlen Hunderttausende Wohnungen. Hohe Zinsen und gestiegene Materialkosten verschärfen die Not, denn es wird kaum noch neu gebaut. Braucht es mehr Geld vom Staat – oder mehr Mut zum Standardhaus? 

  • Wann kann das Virus für den Menschen gefährlich werden, Herr Mettenleiter? In Spanien ist H5N1 auf einer Nerzfarm ausgebrochen und von Tier zu Tier gesprungen. Thomas Mettenleiter vom Bundesforschungsinstitut für Tiergesundheit sagt, was die Übertragung für den Menschen bedeutet .

  • »Eine etwas traurige Erkenntnis: Das Gros der Unternehmen ist tatsächlich Mittelmaß«: Unternehmen, die in ihre Mitarbeitenden investieren, sind auch wirtschaftlich erfolgreicher – das zeigt eine neue McKinsey-Studie. Wie Gewinn, Führung und Entwicklung zusammenspielen, erklärt Experte Julian Kirchherr.

Was heute weniger wichtig ist

Röhrt die Signale: Die britische Sängerin Bonnie Tyler, 71, hat von Prinz William, 40, den Orden des Königshauses überreicht bekommen und angedroht, weiterhin ihren Hit »Total Eclipse of The Heart« zum Besten zu geben. Der Nachrichtenagentur PA sagte sie: »Eine Menge Leute fragen mich, ob ich es nicht satt habe, ihn zu singen, aber das kommt nicht infrage, ich liebe ihn und so geht es allen, es ist ein Karaoke-Klassiker.«

Mini-Hohlspiegel

»Der Flughafen solle ›klein und fein bleiben, aber es soll auch Geld verdient werden‹, so der Airport-Chef. Noch investiere der Flughafeneigner jedes Jahr einen zweistelligen Betrag.«
Die »Lübecker Nachrichten« über Winfried Stöcker, den Besitzer des örtlichen Flughafens

Hier finden Sie den ganzen Hohlspiegel.

Cartoon des Tages

Und heute Abend?

Könnten Sie die fünfte und letzte Staffel von »Jerks« anfangen zu gucken, die sich seit heute streamen lässt (und erst später von ProSieben im linearen Programm gezeigt werden wird). Christian Ulmen und Fahri Yardim verabschieden sich von ihrer schmerzhaft schmerzbefreiten Comedy: »Die schönste Schamsuhle des deutschen Serienwesens«, nennt es meine Kollegin Anja Rützel. Sie findet: »Beim Zuschauen wartet man, wenn ›Jerks‹-erfahren, wie bei einer Achterbahnfahrt auf den Abwärtssturz: mit behaglichem Ekel.« (Hier die ganze Rezension.)

Einen schönen Abend. Herzlich
Ihr Oliver Trenkamp, Blattmacher in der Chefredaktion