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Pläne zum gewaltsamen Umsturz der Regierung – Prinz als Rädelsführer der Reichsbürger verhaftet

Es ist der bisher größte Schlag gegen die Szene der sogenannten Reichsbürger: Die Sicherheitsbehörden aus Bund und Ländern sind am frühen Mittwochmorgen gegen mutmaßliche Mitglieder einer Gruppierung vorgegangen, die einen gewaltsamen Umsturz des politischen Systems der Bundesrepublik geplant haben soll.

Spezialeinheiten durchsuchten bei der Razzia mehr als 130 Objekte in elf Bundesländern, sowie im österreichischen Kitzbühel und in der italienischen Stadt Perugia. Der Generalbundesanwalt ermittelt wegen des Verdachts der Gründung einer terroristischen Vereinigung. Laut einer Mitteilung der Behörde wurden 25 mutmaßliche Mitglieder oder Unterstützer der Gruppe festgenommen.

Den Angaben zufolge sollen die Mitglieder der Gruppe spätestens ab November 2021 geplant haben, „die bestehende staatliche Ordnung in Deutschland zu überwinden und durch eine eigene, bereits in Grundzügen ausgearbeitete Staatsform zu ersetzen“. Dabei sollen sie auch „den Einsatz militärischer Mittel und Gewalt gegen staatliche Repräsentanten“, sowie „die Begehung von Tötungsdelikten“ erwogen haben.

Gruppe glaubte an Bedrohung durch „deep state“

Die Gruppe soll einem Konglomerat aus Verschwörungsmythen und Erzählungen der Reichsbürger, sowie der QAnon-Ideologie gefolgt sein. Sie seien davon überzeugt gewesen, dass Deutschland von einem als „deep state“ bezeichneten Geheimbund regiert wird. Eine „Allianz“ von Regierungen, Nachrichtendiensten und Militär anderer Staaten plante der Ideologie zufolge in naher Zukunft einen Angriff auf diesen „deep state“.

Den Ermittlungen des Generalbundesanwaltes zufolge wollten die Reichsbürger die nach dem Angriff der „Allianz“ verbleibenden staatlichen Institutionen durch sogenannte „Heimatschutzkompanien“ bekämpfen. Die Gruppe habe in ihren Planungen auch Todesfälle „zumindest billigend in Kauf“ genommen.

Laut Generalbundesanwalt stehen Mitglieder der Vereinigung zudem im Verdacht, Vorbereitungen getroffen zu haben, „mit einer kleinen bewaffneten Gruppe gewaltsam in den Deutschen Bundestag einzudringen“.

Dem „militärischen Arm“ der Gruppe gehörten laut Generalbundesanwalt auch ehemalige Bundeswehr-Soldaten an. Laut Sicherheitskreisen waren darunter auch Mitglieder der Bundeswehr-Spezialeinheit „Kommando Spezialkräfte“ (KSK). Im Oktober dieses Jahres inspizierten Mitglieder der Gruppe laut Generalbundesanwalt „für die Unterbringung eigener Truppen“ Bundeswehrkasernen in Hessen, Bayern und Baden-Württemberg.

Polizisten, die die Maßnahmen gegen die frühere AfD-Abgeordente unterstützen

Polizisten, die die Maßnahmen gegen die frühere AfD-Abgeordnete unterstützen

Quelle: Alexander Dinger

Die Festnahmen am Mittwochmorgen erfolgten in Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Hessen, Niedersachsen, Sachsen und Thüringen. Weitere Durchsuchungen gab es in Brandenburg, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und im Saarland.

Zu den durchsuchten Objekten gehörten auch die Wohnräume der einstigen AfD-Bundestagsabgeordneten Birgit Malsack-Winkemann. Reporter von WELT beobachteten, wie Spezialeinsatzkräfte gegen 6 Uhr morgens vor dem Reihenhaus im Berliner Villenviertel Wannsee anrückten und die Eingangstür mit einer Ramme durchbrachen. Malsack-Winkemann wurde festgenommen und mit einem Konvoi des Bundeskriminalamtes weggefahren.

Die studierte Juristin ist Mitglied der AfD und gehörte für ihre Partei von 2017 bis 2021 dem Bundestag an. Beobachter rechneten sie dem als extremistisch geltenden „Flügel“ der Partei zu. Nach ihrem Ausscheiden aus dem Bundestag kehrte sie als Richterin an das Berliner Landgericht zurück. Die Berliner Justizsenatorin, Lena Kreck (Linke), beantragte im Juni dieses Jahres, die 58-Jährige wegen Zweifeln an ihrer Verfassungstreue in den einstweiligen Ruhestand zu versetzen. Das Verwaltungsgericht wies den Antrag jedoch zurück.

In den von der Reichsbürger-Gruppe für die Zeit nach dem Umsturz geplanten „verwaltungsähnlichen Strukturen“ sollte Malsack-Winkemann laut Mitteilung des Generalbundesanwaltes für den Bereich Justiz verantwortlich sein.

Die Richterin Birgit Malsack-Winkemann saß bis 2021 für die AfD im Bundestag

Die Richterin Birgit Malsack-Winkemann saß bis 2021 für die AfD im Bundestag

Quelle: Bernd von Jutrczenka/dpa/Archivbild

Als zentrales Gremium wollte die Gruppierung den Ermittlungen zufolge einen „Rat“ etablieren. Die Mitglieder des „Rates“ trafen sich demnach seit November 2021 regelmäßig im Verborgenen, „um die angestrebte Machtübernahme in Deutschland und den Aufbau eigener Staatsstrukturen zu planen“.

Als Vorsitzender des „Rates“ war ein Mitglied einer alten deutschen Adelsfamilie auserkoren: Heinrich XIII. Prinz Reuß. Laut Generalbundesanwalt ist er einer der „Rädelsführer“ der Reichsbürger-Gruppe. Er wurde in Frankfurt am Main abgeführt.

Das Haus Reuß herrschte bis zur Novemberrevolution 1918 über Gebiete im heutigen Bundesland Thüringen. Der verbliebene Zweig der Familie verfügt über Schlösser, unter anderem in Niederösterreich, bei Leipzig und bei Saalfeld in Thüringen.

Prinz Heinrich XIII. gehört ein Anwesen in Saaldorf an der Saale: das kleine neugotische Jagdschloss Waidmannsheil. Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden zufolge nutzten die Reichsbürger das Schloss für Vernetzungstreffen – und die Planungen für den erhofften Umsturz. Abseits der Reichsbürger-Treffen residierte der Prinz nach Informationen von WELT in Frankfurt am Main, im noblen Westend. Hier schlugen die Behörden auch bei der Razzia zu.

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Prinz Heinrich XIII. Reuß, trat bereits vor dem heutigen Zugriff der Sicherheitsbehörden durch Reichsbürger-Propaganda in Erscheinung. Im Jahr 2019 fabulierte er in einer Rede bei einem angeblich in Zürich abgehaltenen „Worldwebforum“ darüber, dass die Bundesrepublik Deutschland kein souveräner Staat sei. Im Fürstentum Reuß hätten die Menschen „ein glückliches Leben“ geführt, denn die Verwaltungsstrukturen seien „überschaubar und klar“ gewesen. „Lief etwas nicht rund, ging man zum Prinzen“, sagte Reuß.

Mit der Demokratie weiß Reuß offenbar nichts anzufangen. Die Gewaltenteilung sei „eine Illusion“. Deutschland sei ein „tributpflichtiger Vasallenstaat“. Beim „Worldwebforum“ verbreitete Reuß zudem kaum verhohlene antisemitische Verschwörungsmythen. Hinter Umstürzen wie der Französischen Revolution steckten „Repräsentanten der Dynastie Rothschild“. Das Hitler-Regime hätten die USA finanziert. Kriege seien initiiert worden, „um die Verbreitung der jüdischen Bevölkerung voranzutreiben“.

„Verwirrter alter Mann“

Fürst Heinrich XIV, der als Sprecher des Hauses Reuß in Erscheinung tritt, bezeichnete den auf Abwegen geratenen Familienspross im Juli dieses Jahres als „verwirrten alter Mann“, der „nunmehr verschwörungstheoretischen Irrmeinungen aufsitzt“. Heinrich, der XIII. habe den Familienverbund bereits vor 14 Jahren auf eigenen Wunsch verlassen.

In der Familie gilt Prinz Heinrich, der XIII. Reuß angesichts seiner wüsten Verschwörungserzählungen als „persona non grata“. In der Reichsbürger-Szene erarbeitete er sich dagegen einen Ruf als mutiger Aufklärer. Seine Videos werden in einschlägigen Kanälen des Messengerdienstes Telegram geteilt. Zustimmung finden sie auch in Kanälen der „Querdenker“-Szene.

In seinen Reichsbürger-Vorstellungen strebten Reuß und seine Mitstreiter den Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden zufolge möglicherweise an, ein „Fürstentum Reuß“ zu etablieren.

Zur Aushandlung eines nach Ansicht der Gruppe ausstehenden „Friedensvertrages“ mit den alliierten Siegermächten des Zweiten Weltkrieges soll Heinrich XIII. Prinz Reuß sogar Kontakt mit Vertretern Russlands aufgenommen haben. Unterstützung soll die Gruppe dabei von der russischen Staatsbürgerin Vitalia B. erhalten haben. Anhaltspunkte, dass die russischen Ansprechpartner positiv auf die Anbahnung eines „Friedensvertrages“ reagierten, gibt es laut Generalbundesanwalt nicht.

Diffamierungen und Bedrohungen gegen Impfärzte

Ein Schwerpunkt der Razzien ist laut Sicherheitskreisen Baden-Württemberg. Allein dort wurden nach Informationen von WELT rund 30 Objekte durchsucht. Die Behörden gingen dabei gegen Personen vor, die im Zuge der Corona-Pandemie Ärzte öffentlich diffamiert und bedroht haben sollen. Die von den Drohungen betroffenen Mediziner führten in ihren Praxen Impfungen durch und sprachen sich teilweise auch öffentlich dafür aus.

Im Fall eines Kinder- und Jugendarztes etwa sollen die Verdächtigen Aufkleber mit dessen Bild auf Wände, Autos und Briefkasten geklebt haben. Die dazugehörige Aufschrift konnte sowohl mit „nächster Spritze“ als auch mit „nächster Schuss“ übersetzt werden. Auch andere Ärzte und politische Vertreter erhielten ähnliche Drohungen. Die Verdächtigen sollen auch Pläne verfolgt haben, um an bekannten Impfärzten ein Exempel zu statuieren, heißt es aus Sicherheitskreisen.

Beobachtungen des Verfassungsschutzes

Die Sicherheitsbehörden kamen den Reichsbürgern durch Beobachtungen des hessischen Verfassungsschutzes, sowie durch ein Verfahren der Generalstaatsanwaltschaft München auf die Spur. Worum es bei diesem Verfahren ging, wurde bisher nicht bekannt.

Die Szene der Reichsbürger gilt als äußerst heterogen. Ihr verbindendes Element ist die Überzeugung, dass Deutschland kein souveräner Staat sei. Viele Reichsbürger betrachten die Bundesrepublik als eine von fremden Mächten gelenkte „Firma“. Die deutsche Rechtsordnung erachten Reichsbürger als illegitim.

Das Bundesamt für Verfassungsschutz beobachtet die Szene der Reichsbürger offiziell seit 2016. Die Behörde rechnet der Szene rund 21.000 Anhänger zu. Etwas mehr als tausend von ihnen gelten zudem als Rechtsextremisten. Viele Reichsbürger gelten als waffenaffin. Als Wendepunkt bei der Beurteilung der Reichsbürger-Szene gilt der 19. Oktober 2016. Ein Anhänger der Szene erschoss damals im bayerischen Georgensmünd einen SEK-Beamten. Die Beamten waren zu dem Einsatz ausgerückt, um die Waffen des Mannes zu beschlagnahmen.