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Politikexperte: Finnlands „neues Zeitalter“ ist für Putin ein Gesichtsverlust

Finnland will Nato-Mitglied werden. Binnen kürzester Zeit hat Putins Krieg zu einem Umdenken geführt. Experten erklären, was die Drohungen Russlands infolge der Ankündigung bedeuten.

Es ist offiziell. Finnland wird einen Antrag zur Aufnahme in die Nato stellen. Das teilten der finnische Präsident Sauli Niinistö und Regierungschefin Sanna Marin am Sonntag in Helsinki mit. Niinistö sprach mehrfach von einem „historischen Tag“ für das skandinavische Land. „Ein neues Zeitalter beginnt“, so der Präsident.

Ein Schritt Finnlands, den der russische Präsident Wladimir Putin noch am Samstag in einem Telefonat mit Niinistö als Fehler bezeichnete. Von Russland gehe keine Bedrohung für das Nachbarland aus, betonte Putin nach Kremlangaben bei dem Gespräch. Finnlands Abkehr von der traditionellen Neutralität werde zu einer Verschlechterung der bislang guten nachbarschaftlichen Beziehungen führen, warnte er.

EU‑Vertrag verspricht Finnland und Schweden Beihilfe

„Für Putin ist das jetzt ein Gesichtsverlust. Sein Ziel war es ja eigentlich, die Nato zu schwächen“, sagt Thomas Jäger, Professor für Internationale Politik und Außenpolitik an der Uni Köln. „Die Hinwendung der beiden neutralen Staaten zur Nato findet seit acht Jahren statt. Wenn Russland das hätte unterbinden wollen, dann hätten sie es in diesem Zeitraum tun müssen“, sagt der Politologe im Gespräch mit dem Redaktions­Netzwerk Deutschland (RND).

Folgen den russischen Androhungen von Vergeltung bei einem Nato-Beitritts Finnlands oder Schwedens also keine Taten? Für Jäger bürgen die Beitritte lediglich „eine geringe Eskalations­gefahr. Bei dem Beitritt handelt es sich nur um das formale Ende einer Kooperation, die seit 2014 läuft. Für die Staaten ändert sich nur, dass sie sich auf Artikel fünf des Nato-Vertrags berufen können. Aber auch im EU‑Vertrag ist die Beistandspflicht der Mitglieds­staaten schon verankert. Jetzt suchen sie auch den Schutz durch die USA.“

Der Artikel 42 Absatz sieben des EU‑Vertrags garantiert Finnland und Schweden schon jetzt Beistand der anderen EU‑Staaten, sollten sie angegriffen werden. Im Fall der Fälle könnte dann auch schon die Nato mit agieren, wenn auch nur indirekt.

Bundeswehr-Fregatten­kapitän Göran Swistek zeichnet im Gespräch mit dem RND ein mögliches Szenario. „In der Theorie eines russischen Angriffs auf Finnland würde die Nato de facto eingreifen. Berufen würde man sich aber auf den EU‑Artikel, dann aber mit Kräften, Fähigkeiten und Strukturen, die eigentlich der Nato zugeordnet sind“, sagt der aktive Soldat, der aktuell von der Bundeswehr für sicherheits- und militärpolitische Beratung des Parlaments abgestellt ist. Trotz des Artikels zur Beistands­pflicht habe die EU allein „nicht die Führungs­strukturen, Netzwerke und technischen Mittel wie die Nato. Die Nato ist das Militärbündnis.“

Schnelle Anbindung an die Nato kein Problem

Zwar müsse man laut Jäger die Androhungen aus Moskau ernst nehmen. „Doch gibt es die Androhungen vom Einsatz nuklearer Waffen aktuell ja wöchentlich aus Russland.“ Finnland und wohl auch Schweden scheint das von ihrem Willen, sich dem Militärbündnis anzuschließen, nicht mehr abzubringen. Und ein schneller Anschluss an die Nato sei laut Fregattenkapitän Swistek schon deswegen kein Problem, weil man militärisch schon lang genug eng zusammen­arbeite.

Während der Ratifizierung der Beitrittsgesuche, die normalerweise Monate in Anspruch nimmt, gehe es um Strukturen und Abstimmungs­­prozesse. „Die meisten technischen Aspekte sind Nato-weit vereinheitlicht. Der Austausch von Lage­bild­informationen im Ostseeraum wird bereits über mehrere Instanzen ausgebaut.“

Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) hat schon eine schnelle Zustimmung Deutschlands zur Aufnahme der skandinavischen Staaten angekündigt. Gleichzeitig reagierte sie irritiert auf die Bedenken des türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan, Finnland und Schweden in das Militärbündnis zu integrieren. Die skandinavischen Länder seien geradezu „Gasthäuser für Terror­organisationen“ wie die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK, heißt es aus Ankara.

Vorgehen der Türkei „nicht gerade vertrauens­bildend“

Doch dass ein Nato-Beitritt am Veto eines Nato-Staates scheitern wird, glaubt Jäger nicht. „Es ist unplausibel anzunehmen, dass sich die finnische und schwedische Diplomatie nicht vor Antrag­stellung mit den Nato-Staaten zu allen Fragen ausgetauscht hat. Das ist vorher besprochen, denn es handelt sich um einen seriösen Antrag.“ Jäger glaube nicht, dass die Aufnahme am Nato-Mitgliedsstaat Türkei scheitern werde. „Dass die Türkei diesen Moment, in dem ihre Stimme benötigt wird, nutzt, um über diese Gespräche hinausgehende Forderungen zu stellen, ist ein effektives, aber nicht gerade vertrauensbildendes Vorgehen.“

Zur geostrategischen Herausforderung wird die neue, dann längste Grenze eines Nato-Mitglieds zu Russland. Mehr als 1300 Kilometer gemeinsame Grenze liegen zwischen Russland und Finnland. Eine klare geostrategische Verschiebung und Tatsache, die sowohl in Finnland als auch in Russland als Bedrohung wahrgenommen wird. Auch deswegen waren die Finnen lange Zeit gegen einen Nato-Beitritt ihres Landes. Putins Angriffskrieg auf die Ukraine hat das geändert. „In Finnland gab es in der Bevölkerung den Umschwung erst im laufenden Jahr“, weiß Swistek.

„Wie die 1300 Kilometer lange Grenze geschützt wird, das muss man absehen“, sagt Politologe Jäger. Nato-Truppen seien jetzt nach Osteuropa aufgebrochen und schützten dort die Grenzen. „Die Ressourcen der Nato sind auch endlich. Dass die finnisch-russische Grenze massiv verstärkt wird, halte ich in absehbarer Zeit für unwahrscheinlich.“

RND