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"Power of Siberia 2" von Gazprom: Xi straft Putins Mega-Pipeline mit Schweigen

Was macht Gazprom ohne Europa? Russland will über gleich drei Pipelines Gas nach China liefern. Aber über die neue Mega-Röhre, von der Wladimir Putin träumt, will Xi Jinping öffentlich gar nicht reden. Und bei den beiden anderen Projekten glänzt Gazprom mit Inkompetenz.

Das russische Energiegeschäft brummt - trotz des Angriffs auf die Ukraine. Das wertvolle Öl landet nach wie vor in Indien und dank kreativer Umwege vermutlich auch in Deutschland und Europa. Auch der russische Staatskonzern Gazprom schwimmt im Geld. Im 1. Halbjahr 2022 hat er 2,5 Billionen Rubel erwirtschaftet, das sind umgerechnet mehr als 41 Milliarden Euro - ein Rekord. Insgesamt könnte der Gewinn auf bis zu 80 Milliarden Euro gestiegen sein. Ganz genau weiß man das nicht: Gazprom hat seit dem Zwischenergebnis 2022 keinen Geschäftsbericht mehr veröffentlicht.

Womöglich, weil das Rekordjahr eine absolute Ausnahme bleiben könnte, denn Experten von Reuters haben berechnet, dass die Exporte von Gazprom nach dem Angriff auf die Ukraine schon im vergangenen Jahr um die Hälfte eingebrochen sind. Der Gewinn hatte sich - verglichen mit Vorjahren - nur wegen der ultrahohen Erdgaspreise vervierfacht. Die allerdings haben ihren Höhenflug inzwischen wieder beendet, aktuell ist Erdgas so günstig wie zuletzt im August 2021, also ein halbes Jahr vor Kriegsbeginn. Soll Gazprom auch in Zukunft Milliardengewinne für den Kreml erwirtschaften, müssen neue Märkte her. Als Großkunden sind aktuell nur der heimische Markt, die GUS-Staaten, die Türkei und China übriggeblieben.

Doch Wladimir Putin hat die Lösung für sein Erdgasproblem bereits gefunden. Beim Besuch des chinesischen Staatschefs Xi Jinping in Moskau warb der russische Präsident offensiv für gleich zwei neue Pipelines in die Volksrepublik. "2022 hat Gazprom die Wünsche der chinesischen Partner erfüllt und sogar zusätzliche Lieferungen geleistet, die über dem Vereinbarten lagen", sagte Putin. "Das spricht für unser Unternehmen als verantwortungsvoller und zuverlässiger Lieferant. Weiteres Wachstum wird durch den Bau der Gasroute 'Fernost" sowie durch die Umsetzung der 'Power of Siberia 2' ermöglicht."

Pipeline mit Nord-Stream-Kapazität

Die Zukunft von Gazprom liegt in China. Die "Power of Siberia 1" liefert bereits: Im vergangenen Jahr sind 15,5 Milliarden Kubikmeter Erdgas durch die "Kraft Sibiriens" in die Volksrepublik geströmt. In diesem Jahr soll es doppelt so viel sein. Verglichen mit der Nord Stream 1 wäre aber selbst das nur die Hälfte dessen, was jedes Jahr in Deutschland ankam.

Eine zweite, kleinere Pipeline wird derzeit außerdem an der östlichsten Grenze von Russland gebaut. Die Fernost-Röhre soll ab 2026 etwa 10 Milliarden Kubikmeter Gas aus den reichen Vorkommen der Sachalin-Insel durch das Japanische Meer leiten und bei Wladiwostok im äußersten Nordosten von China anlanden. Putin nannte das etwa 55 Milliarden Euro teure Projekt das "Geschäft des Jahrhunderts" - und mit der "Power of Siberia 2" hat der russische Präsident ein noch viel Besseres in der Hinterhand.

Die "Power of Siberia 2" ist das aktuell vielleicht wichtigste russische Infrastrukturprojekt. Einmal fertiggestellt, soll die knapp 100 Milliarden Euro teure Röhre 2600 Kilometer lang sein. Ab 2030 soll sie 50 Milliarden Kubikmeter Gas pro Jahr aus dem Westen von Sibirien über die Mongolei nach China transportieren. Sie würde damit Liefermengen der beiden Nord-Stream-Pipelines erreichen - und hätte die russisch-chinesischen Kapazitäten auf einen Schlag mehr als verdoppelt.

"Putin braucht gute Nachrichten"

Es überrascht also nicht, dass Wladimir Putin die Pipeline beim Besuch von Xi Jinping in Moskau wieder und wieder erwähnt hat. Unter Berufung auf den russischen Präsidenten wurde in russischen Medien sogar schon Vollzug gemeldet, was tatsächlich aber noch nicht der Fall zu sein scheint. In den chinesischen Staatsmedien wurde die Pipeline nach dem Besuch von Xi nicht einmal erwähnt.

Helwig Schmidt-Glintzer hält das chinesische Schweigen für Verhandlungstaktik, denn noch ist nicht geklärt, wer sich inwieweit an den Baukosten beteiligt. Vermutlich wolle Xi auch eine gewisse Distanz wahren und gerade in den USA und Europa nach dem russischen Angriff auf die Ukraine nicht zu Russland-freundlich wirken, erklärt der Direktor des China Centrum Tübingen im ntv-Podcast "Wieder was gelernt". Putin dagegen müsse seiner Bevölkerung das Projekt schmackhaft machen.

"Der braucht gute Nachrichten", sagt der Sinologe. "Putin will auch dokumentieren, dass er sich gut mit China stellt, denn auch in Russland gibt es gewisse Skepsis gegenüber der Volksrepublik. Und er verkauft diese Pläne offensiv, um deutlich zu machen, dass er das Netz, das Russland zusammenhält, unter Kontrolle hat."

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China ist gut aufgestellt

Vor allem der letzte Aspekt dürfte auch für China wichtig sein, denn die Volksrepublik mag Russland als "Discount-Tankstelle" betrachten, will aber auch keinen instabilen Riesenstaat vor seiner Haustür wissen, in dem ein Teil der Bevölkerung gegen den Staat aufbegehrt und möglicherweise eines Tages den Wiederanschluss an den Westen sucht. Deshalb hält sich Peking bei der Power of Siberia 2 zwar bedeckt, dementiert wird das Projekt allerdings auch nicht. Für eine stabile Herrschaft braucht Putin sichere Einnahmequellen, mit denen er die Bevölkerung ruhigstellen kann, das weiß man in Peking.

Bei den Verhandlungen sitzt China trotzdem am sehr viel längeren Hebel - vor allem, weil man die neue Pipeline unter Umständen gar nicht braucht. Das Analysehaus BloombergNEF berichtet, dass chinesische Unternehmen mehr langfristige Lieferverträge abgeschlossen haben als alle anderen auf der Welt. Katar gehört genauso zu den Partnern wie Turkmenistan. Mit der früheren Sowjetrepublik wurde erst im September der Bau einer 30-Milliarden-Kubikmeter Pipeline vereinbart, während es bei der "Power of Siberia 2" seit Jahren Gespräche, aber keine Bewegung, wie Maria Pasthukova von der Denkfabrik E3G erklärt.

"Der Grund ist wahrscheinlich, dass die chinesischen Unternehmen einfach keinen großen Bedarf an diesem russischen Gas sehen", sagt die Expertin für Energie und Geopolitik. "Außerdem bietet Russland für derart große und langfristige Projekte wenig Investitionssicherheit. Vor allem unter diesem Sanktionsregime sind chinesische Unternehmen wahrscheinlich nicht bereit, da Geld reinzupumpen."

Gazprom hat sich verkalkuliert

Anders sieht es im Kreml aus: Noch vor zwei Jahren haben Europa und die Türkei Gazprom 175 Milliarden Kubikmeter Erdgas pro Jahr abgenommen. Das waren 80 Prozent aller Gazprom-Exporte. Der russische Finanzdienstleister BCS erwartet, dass Gazprom dieses Jahr nur noch 65 Milliarden Kubikmeter Erdgas im türkisch-europäischen Raum verkaufen kann.

Der Staatskonzern braucht dringend neue Röhren. Auch, weil er sich in den vergangenen Jahren selbst anscheinend mehrfach verkalkuliert hat. Zum Beispiel hatten Moskau und Peking schon 2015 vereinbart, die Fernost-Röhre im Japanischen Meer zu bauen. Doch Gazprom soll die Spezialschiffe, die extra dafür eingekauft wurden, lieber in die Ostsee geschickt haben, um die lukrativere Nord Stream 2 bauen zu können.

Das gilt auch für den Bau der "Power of Siberia 1", wie das unabhängige russische Investigativmedium "The Insider" berichtet. Denn selbst wenn die Röhre in diesem Jahr doppelt so viel Erdgas nach China liefern sollte wie im vergangenen Jahr, wäre das nur die Hälfte des eigentlich geplanten: Gazprom soll die Größe des Gasfelds, aus dem die Röhre gespeist wird, bei der Erschließung absichtlich oder unabsichtlich falsch angegeben haben.

Mongolei als Notlösung

Nur deswegen wird auch die "Power of Siberia 2" 2600 Kilometer lang: Sie muss als Notlösung einen Umweg über die Mongolei einlegen, damit Gazprom sie an den ersten Strang anschließen und diesen danach mit zusätzlichem Erdgas versorgen kann.

Xi Jinping wird das Lieblingsprojekt von Wladimir Putin vermutlich nicht killen. Aber China wird sich die Power of Siberia 2 gut bezahlen lassen. Dann hängt alles von Gazprom ab - und die bisherigen Projekte für und mit China lassen nichts Gutes erahnen.

"Wieder was gelernt"-Podcast

"Wieder was gelernt" ist ein Podcast für Neugierige: Warum wäre ein Waffenstillstand für Wladimir Putin vermutlich nur eine Pause? Warum fürchtet die NATO die Suwalki-Lücke? Wieso hat Russland wieder iPhones? Mit welchen kleinen Verhaltensänderungen kann man 15 Prozent Energie sparen? Hören Sie rein und werden Sie dreimal die Woche ein bisschen schlauer.

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