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Präsident will "totalen Frieden": Kolumbiens größter Drogenboss gibt auf

Er war der mächtigste Narco Kolumbiens seit Pablo Escobars Tod. Nun hat sich Dairo "Otoniel" Úsuga schuldig bekannt. Aber Gustavo Petro, der erste linke Präsident des Landes, hat weit mehr im Sinn.

In Kolumbien hat eine neue Zeitrechnung begonnen. Der bislang größte Drogenboss Kolumbiens, Dairo Úsuga alias Otoniel, ist nicht mehr aktiv. Otoniel war jahrelang auf der Flucht, untergetaucht, hielt aber die Zügel seines Kartells "Clan del Golfo" in der Hand. Mitstreiter bezeichneten ihn wegen seiner Brutalität auch als "Tier". Er zog mit Familienmitgliedern durch eine Bergregion im Norden Kolumbiens und entkam groß angelegten Suchaktionen. Doch im Oktober 2021 wird er festgenommen und danach an die USA ausgeliefert. Nun hat er sich schuldig bekannt.

Die Probleme mit bewaffneten Gruppen wie dem Clan del Golfo - nach seinem Ursprung am Golf von Urabá an der Grenze zu Panama benannt - gehen weit darüber hinaus. Solche Bacrim ("bandas criminales") können in illegale Geschäfte wie Drogenproduktion und -schmuggel verwickelt sein, an Abholzung und Goldwäsche. Sie kontrollieren in Kolumbien neben Guerillagruppen weitläufige ländliche Gebiete. Im vergangenen Jahr wurden mehr als 70.000 Menschen vertrieben, gibt die kolumbianische Menschenrechtsorganisation Indepaz an. Zugleich wurden demnach 92 sogenannte Massaker verübt, mit insgesamt 346 Todesopfern. Auch 179 soziale Anführer wurden getötet. Hauptverantwortlich sind Bacrim.

Gustavo Petro, der erste linke Präsident in Kolumbiens Geschichte, versucht derzeit ein enormes Projekt voranzubringen: den "totalen Frieden". Es steht im Gegensatz zur Politik der militärisch harten Hand, die Kolumbien auch mit US-amerikanischem Geld jahrzehntelang betrieb. Schon ein Teilerfolg dieser neuen Dialogbereitschaft wäre im Bürgerkriegsland historisch. Otoniels Kartell hat sich bereit erklärt, mit der Regierung über eine Entwaffnung zu verhandeln - wenn mehrere gefangene Anführer sich mit an den Tisch setzen dürfen. Ob dazu auch zwingend Otoniel gehört, ist nicht bekannt.

"Böser Bube" als Nachfolger

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Kolumbiens Präsident Gustavo Petro (links) mit Verteidigungsminister Ivan Velasquez

(Foto: AP)

Otoniel war der bislang letzte in einer Reihe von großen Drogenbossen Kolumbiens, so wie etwa Loco Barrera oder Don Berna; aber von allen der mächtigste, und einflussreicher als der populäre Pablo Escobar. Für Kolumbien markiert das Ende des Kartellchefs möglicherweise eine Zäsur. Seit seiner Festnahme agieren manche Zellen des Clans auf eigene Faust und schmieden neue Allianzen. Der Clan soll etwa 4000 Mitglieder haben und in mehr als 200 kolumbianischen Gemeinden präsent sein. Otoniels frühere rechte Hand, Jesus Ávila alias Chiquito Malo (Böser Bube), hat möglicherweise nur den Kern des Gebiets rund um den Golf von Urabá unter Kontrolle.

Immer wieder haben Kolumbiens Sicherheitskräfte in den Jahrzehnten des bewaffneten Konflikts die Köpfe von Bacrim festgenommen, woraufhin andere nachwuchsen. So wie Chiquito Malo beim Clan. Einer der Hauptgründe für die Macht der bewaffneten Gruppen ist jedoch die fehlende Präsenz des Staates. Auch das will Petro ändern. In den vergangenen Monaten hat er im ganzen Land Dutzende Bürgerdialoge durchführen lassen, um mehr über die Nöte der Einwohner zu erfahren.

Er werde die "Kanalratte" Otoniel an die USA ausliefern, hatte Petros Amtsvorgänger Iván Duque über den Narco gesagt. Im Mai 2022 flog die US-Antidrogenbehörde DEA dann Otoniel trotz allen legalen Widerstands eigenhändig in die Vereinigten Staaten aus. Seither wird dem Chef des Clans vor einem Gericht im Bundesstaat New York der Prozess gemacht, weil er mit seinem riesigen internationalen Netzwerk die USA mit illegalen Substanzen flutete.

Otoniel hat nun einen Deal ausgehandelt: Er gibt zu, 96,8 Tonnen Kokain in die Vereinigten Staaten geschmuggelt zu haben, will Besitztümer im Wert von 216 Millionen Dollar abgeben und dürfte etwa 20 Jahre ins Gefängnis wandern. "Die blutige Herrschaft des brutalsten und wichtigsten Drogenschmugglers seit Pablo Escobar ist vorbei", lässt sich der Staatsanwalt, Breon Peace, in einer Pressemitteilung vom 25. Januar zitieren.

Wenig Infrastruktur, wertvolles Kokain

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Guerillakämpfer der Ejército de Liberación Nacional, ELN, im Jahr 2018

(Foto: REUTERS)

Petros "totaler Frieden" ist die wohl ambitionierteste Initiative in der Geschichte des bewaffneten Konflikts in Kolumbien. Die Regierung will mit möglichst allen bewaffneten Gruppen gleichzeitig Verträge aushandeln. Das ist auch deshalb historisch, weil der Kongress sich bislang nicht quer stellt. Politiker hatten in der Vergangenheit Verbindungen zu paramilitärischen Gruppen und verdienten am Konflikt mit. Von den mehr als 30 wichtigsten Gruppen können mindestens 23 sich vorstellen, sich unter Bedingungen dem Frieden zu verpflichten. Sie haben mit der Regierung erste Gespräche geführt. Mit manchen wurde bereits ein Waffenstillstand vereinbart.

Zu den wichtigsten Gruppen gehören auch mehrere abtrünnige FARC-EP-Einheiten, die sich zum Teil zu neuen Bündnissen zusammengeschlossen haben. Nicht alle haben noch politische Ziele. Die kommunistische FARC war einmal die größte Guerillagruppe Kolumbiens, ihr erklärtes Ziel waren verbesserte Lebensbedingungen für die Landbevölkerung. Auf ihrem Höhepunkt im Jahr 2002 kontrollierte sie mit 20.000 Kämpfern etwa ein Drittel der Landfläche.

Vor sechs Jahren hatte die kolumbianische Regierung unter Präsident Juan Manuel Santos die historischen Friedensverträge mit den FARC unterzeichnet. Etwa 7000 Kämpfer legten ihre Waffen nieder, nahmen an Eingliederungsprogrammen teil. Manche organisierten sich in einer politischen Partei. Manche Einheiten weigerten sich. Der kolumbianische Staat hielt viele Versprechen über Infrastrukturprogramme für ländliche Gegenden nicht ein. Die bekannteste Dissidenteneinheit ist die "Second Marquetalia" unter Iván Márquez, der die Friedensverhandlungen den FARC geführt hatte. Er kehrte 2019 in den bewaffneten Kampf zurück. Immer wieder werden ehemalige Guerilla-Kämpfer aus Rache dafür getötet, weil sie ihre Waffe niederlegten.

Zwischen Petros Regierung und der anderen wichtigen Guerilla, die Nationale Befreiungsarmee (ELN - Ejército de Liberación Nacional), finden konkrete Friedensverhandlungen statt. Das muss nichts heißen, bereits mehrfach scheiterten solche Gespräche nach neuen Gewaltausbrüchen. Sollten sie jedoch zum Abschluss gebracht werden, wäre das ein enormer Erfolg und zumindest auf dem Papier die Zeit der linken Guerilla in Kolumbien vorbei. Die ELN hat etwa 3000 Kämpfer, ein Teil von ihnen ist wie abtrünnige FARC-Einheiten auch auf venezolanischem Staatsgebiet aktiv.

Die Bacrim haben im Gegensatz zur Guerilla meist keine politischen Ziele. Im vergangenen Jahr registrierten die Vereinten Nationen einen neuen historischen Rekord bei der Kokainproduktion in Kolumbien. Wegen fehlender Infrastruktur und Verdienstmöglichkeiten gibt es für jene Bauern, die Kokapflanzen anbauen, häufig wenig attraktive Alternativen. Zudem ist das Kokain für bewaffnete Gruppen ein riesiges Geschäft. Und wenn die aktuellen es nicht mehr betreiben wollen, gibt es womöglich andere, die in die Bresche springen. So wie nach dem Friedensvertrag der Regierung mit den FARC.