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Preisexplosion, Materialmangel: "Bauen ist Improvisationstalent im Quadrat"

Wärmepumpen sind nur schwer zu bekommen, Stahl ist absurd teuer, dazu kommen viele neue Vorschriften: "Bauen ist zurzeit eine einzige Katastrophe", sagt Bauunternehmer Dirk Salewski. Für Kunden wird es unerfreulich, Bauträger lassen Planungen ruhen.

Salewski ist geschäftsführender Gesellschafter von Beta Eigenheim und Präsident des Bundesverbands Freier Immobilien- und Wohnungsunternehmen.

Welches Problem bereitet Bauunternehmern wie Ihnen zurzeit die größten Kopfschmerzen?

Dirk Salewski: Es ist eine einzige Katastrophe derzeit. Einfach war Bauen ja noch nie, aber momentan ist es alles andere als vergnügungssteuerpflichtig - weil alles schwierig ist: Es gibt zu viele Bauvorschriften, extrem zähe Planungsprozesse, und die Proteste von Anwohnern nehmen zu - nach dem Prinzip "not in my backyard" wollen alle den Neubau, aber nicht in der eigenen Nachbarschaft. Und jetzt haben wir über die Regulierungswut hinaus noch die Turbulenzen auf den Roh- und Baustoffmärkten und dauernd steigende Anforderungen durch neue Energiegesetze. Katastrophal.

Die Bestandssanierungen graben dem Neubau schon das Wasser ab?

Und wie. Sie glauben gar nicht, wie viele Kunden aus Bauträgermaßnahmen bei uns anrufen und sagen: "In meinem Vertrag steht, ich erhalte eine Heizung der Marke X geliefert. Und jetzt habe ich eine Heizung der Marke Y." Dabei sind wird als Bauträger froh, wenn überhaupt noch eine Heizung geliefert wird. Zurzeit bekommen selbst wir als große Bauunternehmen nur eine Heizung pro Woche vom Hersteller, und der Chef entscheidet dann, welcher Top-Kunde sie zugewiesen bekommt. Privatleute mit Einfamilienhäusern kriegen sowieso schon keine Geräte mehr. Vor allem keine Wärmepumpen.

Die Hersteller von Wärmepumpen werden seit der Gaskrise geradezu von Kunden überrannt. Besteht da Aussicht auf Besserung?

Es gibt keine Pumpen derzeit, weil pandemiebedingt keine Chips mehr aus China herauskommen. Das liegt auch daran, dass Taiwan keine Folien für die Chipbeschichtung mehr liefert. Außerdem werden die gleichen Chips in Autos, Waschmaschinen oder Heizungspumpen verbaut. An der Stelle rächt es sich, dass wir zuvor jahrelang alles outgesourct haben, also unsere hiesige Wirtschaft. Jetzt hängen wir quasi alle wie die Fliegen am Fliegenfänger eines Herstellers in China. Ich habe von Autobauern gehört, die massenhaft Waschmaschinen aufkaufen, um deren Chips auszubauen. Ist das nicht absurd? Ich selber bekomme, wie alle meine Kollegen auch, zurzeit keine Klimaanlagen, keine Wärmepumpen und keine Heizungen geliefert. Und ich bin ein guter und großer Kunde, trotzdem haben wir Lieferzeiten von bis zu sechs Monaten.

Ich hätte eher damit gerechnet, dass der enorme Preisanstieg Ihr größtes Problem ist.

Das stimmt, um nur einige Beispiele zu nennen: Wir haben seit vier Monaten eine echte Stahlkrise. Letzten Herbst kostete die Tonne Baustahl noch 700 Euro, vor vier Wochen waren es 1400 Euro. Zurzeit sind es 1100 Euro. Dabei ist Baustahl eine Massenware und nun wirklich keine Raketenwissenschaft. Und sehen Sie sich mal die Preiskurve vom Bauholz an! Zwar sägen die Sägewerke im Sauerland wie verrückt, aber weil bei den Amerikanern und Kanadiern die Preise für Konstruktionsholz durch die Decke gegangen sind, haben die Sauerländer dorthin und nach China geliefert. Das hat hier zu Knappheit und stark steigenden Preisen geführt. Durch die beginnende Rezession in den USA hat sich der Markt wieder etwas entspannt. Aber prinzipiell haben wir massiven Preisanstieg in allen Produkten - nur eben zeitlich versetzt und unterschiedlich stark, je nachdem wie hoch der Energieeinsatz und die Rohstoffverfügbarkeit sind. Dazu kommen noch die letzten Ausläufer der Corona-Pandemie: Wenn in einer Baukolonne ein Krankheitsfall auftritt, fällt die ganze Bautruppe 14 Tage lang aus. Ich bin als Bauunternehmer sehr auf Handwerker angewiesen. Wenn keiner mehr auf der Baustelle erscheint, dann tut sich eben nichts mehr.

Ist Bauen zum unkalkulierbaren Risiko geworden?

Bei komplexen Bauvorhaben sind die Risiken auf jeden Fall massiv gestiegen. Wer vor fünf Jahren ein Grundstück gekauft hat, der rechnete bisher bei langwierigen Planungsprozessen mit ungefähr drei Jahren Planung und zwei Jahren Bauzeit. Und mit insgesamt 15 Prozent Preisanstieg bis zur Fertigstellung. Man preiste also rund drei Prozent Kostensteigerung pro Jahr von vornherein ein. Wenn sich jetzt aber die Preise für alle möglichen Baumaterialien auf Jahressicht massiv erhöhen und auch die Energie- und Spritpreise für Baustellenfahrzeuge, dann bedeutet das eine enorme Verteuerung des Neubaus. Wir haben zum Beispiel 2018 für ein Projekt den ersten Vertrag geschlossen, mit dem Bau aber noch nicht begonnen, wegen des noch laufenden Genehmigungsverfahrens. Schon 2020 war uns klar: Mit den Preisen von 2018 kann das nicht funktionieren. Jetzt sind wir auch noch voll in die Stahlpreisfalle gerauscht. Beim Tiefgaragenbau zum Beispiel schlägt die Verdopplung des Preises richtig durch. Dazu kommt das Problem mit den Europanormen.

Die europaweit einheitlichen Baunormen? Inwieweit sind die ein Problem?

Dadurch ist alles enorm viel komplizierter geworden, auch in der Berechnung. Vereinfacht gesagt müssen wir jetzt mehr Stahl in Geschossdecken verbauen, und zwar nicht, weil das besser ist - sondern nur, damit es einheitlicher ist. Und damit, flapsig gesagt, ein anderer europäischer Statiker auch hierzulande künftig einen Auftrag bekommen kann. Oder nehmen Sie den Schallschutz: Wenn die neuen Normen vorschreiben, dass in Gebäuden statt einer 18er Decke jetzt eine 24er Decke gefordert ist, dann bedeutet das 30 Prozent mehr Materialeinsatz. Und 30 Prozent höhere Kosten. Das und dazu die explodierenden Preise, beides verteuert den Neubau ungemein.

Das ist schlimm für die Wohnungskäufer - aber wie dramatisch ist es für die Bauträger?

Wir führen jeden Tag zehn Telefonate und erklären unseren Abnehmern und Geschäftspartnern, dass alles teurer wird. Außerdem gibt es immer wieder Phasen, in denen irgendetwas fehlt: Gestern gab es keine Dämmstoffe, heute keine Heizungen, morgen fehlt etwas anderes. Und die Politik verschärft das Problem noch, indem sie die Gesetze verschärft, ohne dass die Industrie aber die erforderlichen Geräte und Baustoffe bereitstellen kann.

Wie arg schlägt die geänderte Förderung für Energiesanierungen bei Ihnen durch?

Diese ganze KfW-Nummer, das war Chaos mit Ansage: Es war doch klar, was passiert, wenn schon die alte Regierung ankündigt: Ab Februar gibt es kein Geld mehr für bestimmte Baumaßnahmen. Dass da Panik ausbricht und alle noch schnell Anträge stellen, ist doch logisch. Dramatisch war es selbst für große Wohnungsbaugesellschaften, die Projekte mit vielen hundert oder tausend Wohnungen in der Pipeline hatten - und gar nicht so schnell alle Anträge einreichen konnten. In unserer BFW-Umfrage haben wir die Auswirkungen gesehen: Nehmen Sie einen Finanzierungsplan für 20 Wohnungen, der darauf ausgerichtet war, dass 50.000 Euro Förderung pro Wohnung fließen. Das bedeutet 1 Million Euro Zuschuss. Wenn es dann heißt: Diese Million bekommst Du nicht mehr, muss der Projektträger die Nettokaltmiete um 2 Euro erhöhen, damit sich das Projekt trotzdem rechnet. Da winkt Ihnen jede kommunale Wohnungsbaugesellschaft ab: So hohe Mieten können die gar nicht verlangen! Das Ende vom Lied ist: Das Bauprojekt wird gestoppt.

Genau das passiert vielerorts, aber nur wegen der geringeren Förderung? Die Zuschüsse fließen ja wieder, wenn auch etwas weniger üppig als zuvor.

Von fließen kann nicht die Rede sein. Es tröpfelt allenfalls noch. Es werden nur energetische Premiumprojekte gefördert, nichts mehr für breite Schichten. Der Förderstopp war ein richtiger Schlag für viele Planer. Aber es kam ja vieles zusammen, die Preise, der Materialengpass, der Fachkräftemangel - momentan ist Bauen vor allem eines: Improvisationstalent im Quadrat. Deshalb haben viele Bauträger ihre Planungen erst einmal auf Eis gelegt. Alle laufenden Projekte werden natürlich zu Ende gebaut, wir können ja nicht mittendrin aufhören. Die bringen wir schon noch zu Ende.

Auch mit Gewinn?

Nee. Wir werden erleben, dass viele Projekte nicht einmal ihre Kosten decken. Es kommt natürlich drauf an, in welcher Phase des Projekts man erwischt wird. Wenn der Rohbau steht, die Fenster und die Technik schon eingebaut sind, dann ist es weniger schlimm. Wem aber zuletzt noch der Baustahl fehlte, bei dem schlägt es richtig ins Kontor. Die geschlossenen Verträge sind ja größtenteils Verträge mit Festpreisen. Da steht dann zum Beispiel drin, dass ich als Bauunternehmer zum Preis von 4000 Euro je Quadratmeter schlüsselfertig liefere. Mit Wohnungsunternehmen kann ich noch mal über Preisanpassungen verhandeln, bei Verbrauchern ist das natürlich nicht möglich. Und in Verträgen mit Handwerkern müssen wir uns wohl auf Preisgleitklauseln einlassen, weil wir sonst gar keine Auftragnehmer mehr finden. Aber ansonsten gilt für alle geschlossenen Verträge: Pacta sunt servanda, die Verträge sind einzuhalten.

Erleben wir dann bald eine Pleitewelle in der Bauträgerbranche?

Das glaube ich nicht, wir Bauträger sind Mittelstand. Und der deutsche Mittelstand ist sehr robust. Es kann dazu führen, dass einige Glücksritter vom Markt gefegt werden, ja. Auch weil die Branche zuvor sehr geringe Kapitalkosten während der Projektphasen hatte und die Banken jetzt nicht nur höhere Zinsen verlangen, sondern auch deutlich mehr Eigenkapitalunterlegung von einigen Unternehmen fordern werden. Das kann bei diesen Firmen zu Insolvenzen führen. Aber auch für die ehrlichen Kaufleute, die Rücklagen haben, wird es noch sehr eng werden. Es sind ganz außergewöhnliche Zeiten.

Von den 400.000 geplanten Neubauwohnungen der Regierung müssen wir uns für 2022 verabschieden, oder?

Die sehe ich bei Weitem nicht. Schon in den letzten Jahren haben wir weniger als 300.000 Wohnungen gebaut. Dazu kommen die 800.000 Wohnungen, die bereits genehmigt wurden - aber noch nicht gebaut sind. Allein die würden die Branche noch rund zwei Jahre beschäftigen. Deshalb werden wir dieses Jahr noch keinen großen Einbruch bei den Fertigstellungszahlen erleben, aber im nächsten und übernächsten Jahr dafür einen umso deutlicheren. Die Politik hat 20 Jahre lang dafür gesorgt, dass Bauen immer teurer wird. Bald wird sie merken, dass Wohnen für immer mehr Leute noch unbezahlbarer wird.

Mit Dirk Salewski sprach Nadine Oberhuber.

Das Interview erschien zuerst bei "Capital"