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Proteste in Frankreich: Macrons Rentenreform: „Für die Regierung gibt es keine Alternative“

Die von der französischen Regierung geplante Rentenreform stößt auf vehemente Ablehnung bei Opposition und Bevölkerung. Frankreich-Experte Dominik Grillmayer erklärt, warum die Lage so heikel ist und wie der „Worst Case“ aussehen würde

Dominik Grillmayer ist Politologe und leitet den Bereich Gesellschaft am Deutsch-Französischen Institut in Ludwigsburg. Zu seinen Fachgebieten zählen u.a. Reform- und Beschäftigungspolitik.

CAPITAL: Herr Grillmayer, die französische Regierung will das Renteneintrittsalter auf 64 Jahre anheben und die Beitragszahlung um ein Jahr verlängern. Für die Macron-Regierung ist klar, dass diese Rentenreform kommen muss. Glauben Sie auch, dass kein Weg mehr daran vorbeiführt?
DOMINIK GRILLMAYER: Für Macron persönlich gilt, dass er sich durchsetzen muss, um zu beweisen, dass er und seine Regierung reformfähig sind und bei Gegenwind nicht einknicken. Die Rentenreform als solche scheint ebenfalls unausweichlich, weil finanzielle Defizite in den nächsten Jahren absehbar sind.

Ein Defizit in der Rentenkasse droht vielen Ländern. Steht es in Frankreich denn so schlecht um das Rentensystem?
Die Rente ist eine Dauerbaustelle, bei der man immer wieder überlegen muss, wie man das System langfristig finanzierbar hält. Alle fünf bis zehn Jahren stellt man fest, die Schrauben, an denen man gedreht hat, reichen nicht mehr aus. Unter Präsident Nicolas Sarkozy wurde 2010 das Renteneintrittsalter von 60 auf 62 Jahre erhöht, unter Francois Hollande eine schrittweise Erhöhung der für eine volle Rente nötigen Beitragsjahre beschlossen.

Wie ist das französische Rentensystem im europäischen Vergleich einzuordnen?
Es ist durchaus großzügig bemessen, sowohl was das Eintrittsalter angeht als auch das Rentenniveau. Frankreich hat sich auch entschieden, dass die gesetzliche Rente weiterhin die zentrale Säule der Altersbezüge sein soll. Die Ergänzung durch eine Betriebsrente oder selbst angespartes Kapital ist nicht so verbreitet wie in Deutschland. Aber es zeichnet sich jetzt natürlich ab, dass das Rentenniveau auch in Frankreich sinken wird.

Wie viel kostet die Rente Frankreich im Moment?
Im Wesentlichen betrifft das ja die Kosten der Sozialversicherung, deren Einnahmen durch die Beiträge aber meistens nicht ausreichen. Deswegen müssen sie dann mit Staatsgeld bezuschusst werden, das kennen wir auch aus Deutschland. Laut Zahlen der OECD liegt Frankreich bemessen am Anteil der Ausgaben am BIP mit 13,4 Prozent auf Platz hinter Italien und Griechenland. Deutschland gibt rund 10,4 Prozent des BIP für Rente aus. Insgesamt ist das Rentensystem extrem kostspielig und das ist auch der Hintergrund für diese Reform. Gewisse Einsparpotenziale zu heben, ist unausweichlich.

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Die französische Premierministerin Elisabeth Borne hat garantiert, mit diesem Reformprojekt die Rentenkassen bis 2030 finanziell auszugleichen. Kann sie sich da wirklich so sicher sein?
Das haben Experten durchgerechnet und es ist davon auszugehen, dass so eine Reform den gewünschten Effekt erzielen kann. Aber der Erfolg hängt natürlich zum einen davon ab, wie sich die Wirtschaft und die Beschäftigungslage in Frankreich entwickeln. Wenn das Land in eine starke Rezession hineinschlittern würde, dann hätte das auch unmittelbare Konsequenzen für die Einnahmen der Rentenversicherung. Zum anderen gelten die Kalkulationen für den momentanen Entwurf der Reform. Wenn sie letztlich nur mit Zugeständnissen an die Opposition und Protestierenden auf den Straßen durchgesetzt werden kann, könnte das nur noch in Teilen der Fall sein.

Zum Gegenwind kommen wir gleich noch. Lassen Sie uns erst über die Lage der französischen Wirtschaft sprechen. Die neuesten Wachstumsprognosen für dieses Jahr fallen überraschend gut aus. Macht das einen solchen Eingriff in die Wirtschaftspolitik einfacher?
Wenn prognostiziert wird, dass die französische Wirtschaft recht robust ist und die Beschäftigungsquote hoch, nimmt das den Druck von den Rentensystemen. Macron hat es in seiner letzten Amtszeit geschafft, die Arbeitslosigkeit beträchtlich zu senken und auch die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Jobs hat zugenommen. Trotzdem sollte man nie zu optimistisch sein und Phasen eines Abschwungs einkalkulieren.

Die Folgen der Pandemie hat Frankreich mit viel Staatsgeld abgefedert, auch mit Unterstützung der EU. Wie wichtig wäre die Durchsetzung einer solchen Reform mit Blick auf die europäische Ebene?
Es wäre vor allem ein Signal, das aus Frankreich gesendet wird im Sinne von: „Wir sind gewillt, haushaltspolitische Maßnahmen zu ergreifen, um sowohl den Staatshaushalt als auch die Sozialversicherung im Gleichgewicht zu behalten.“ Mit diesem Anspruch wurde Macron schon 2017 zum ersten Mal gewählt. Damals hat er das mit Reformen auf dem Arbeitsmarkt angegangen. Die Rentenreform ist das zweite Element, das schon für die letzte Amtszeit geplant war und jetzt nachgeholt werden soll.

Dass die Reform jetzt gelingt, ist aber alles andere als sicher. Opposition und Gewerkschaften stemmen sich dagegen. Über eine Million Menschen protestieren. Wie realistisch ist es, dass Macron die Reform durchsetzt?
Das Heikle für ihn ist, dass ihm die absolute Mehrheit im Parlament fehlt. Das war bei früheren Rentenreformen anders, z.B. bei der angesprochenen von Nicolas Sarkozy. Von Seiten der konservativen Partei Les Republicains wird die Regierung im Kern unterstützt. Aber einzelne Abgeordnete beginnen sich zu distanzieren mit dem Argument, die Reform sei in Teilen ungerecht. Und die Gretchenfrage ist, ob es überhaupt für eine bedingungslose Unterstützung in den eigenen Reihen reicht. Einzelne Abgeordnete könnten das Zünglein an der Waage sein.

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Inwiefern wird das Reformvorhaben als ungerecht angesehen?
Maßgeblich wird immer wieder die Benachteiligung der Menschen angeführt, die schon sehr früh angefangen haben zu arbeiten. Das sind meistens geringer qualifizierte Bevölkerungsschichten. Diejenigen, die zum Beispiel studiert haben und erst mit Mitte 20 ins Arbeitsleben eintreten, trifft die Reform nur sehr bedingt. Wer schon mit 18 Jahren angefangen hat zu arbeiten, der müsste faktisch über die 43 Beitragsjahre hinaus arbeiten, um das Eintrittsalter von 64 Jahren zu erreichen und den vollen Rentenanspruch zu haben.

Könnte die Regierung sich denn auf einen Kompromiss einlassen?
Am Ende wird es den einen oder anderen Kompromiss geben müssen, das ist völlig klar. Aber die Regierung kann es sich nicht leisten, die Reform komplett zu verwässern. Erstens, weil sie dann als schwach dasteht und zweitens, weil es den eigentlichen Sinn dieser Reform, nämlich Geld zu sparen, nicht erfüllen würde.

Für die Regierung gibt es also keine Alternative zu dieser Reform?
Nein, gibt es nicht.

Was passiert, wenn keine Mehrheit zustande kommt?
Dann bliebe nur das Regieren mit der Brechstange nach Artikel 49.3 der Verfassung. Die Abstimmung über die Reform wäre dann mit einer Vertrauensfrage verknüpft. Wenn sich keine Mehrheit im Parlament ergibt, wird der Regierung das Misstrauen ausgesprochen und es könnte zu Neuwahlen kommen. Das wollen die wenigsten und könnte deshalb ein Mittel sein, das Parlament zu zähmen.

Das klingt wie eine Drohung.
Man kann es durchaus als Drohung betrachten. Es wäre das letzte Mittel, um die Reform durchzubringen, auch wenn es eigentlich keine Mehrheit dafür gibt.

Wenn die Reform - auf welchem Weg auch immer - durchgesetzt wird, werden trotzdem noch Millionen Menschen in Frankreich unzufrieden damit sein. Ungünstige Startvoraussetzungen, oder?
Ja, aber so unbeliebt die Reform auch sein mag, ist sie dann beschlossene Sache. Vielleicht lassen sich noch ein paar Zugeständnisse machen oder mehr Verständnis für die Notwendigkeit dieser Reform erwirken. Aber davon hätten die Bürger und Gewerkschaften eigentlich im Vorfeld überzeugt werden müssen. Jetzt stehen sich Kritiker und Regierung unversöhnlich gegenüber.

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