Germany
This article was added by the user . TheWorldNews is not responsible for the content of the platform.

"Rechtlich gravierende Probleme": Staatsanwälte gegen Kameras im Gerichtssaal

imago102692244.jpg

Zeugen könnten gehemmt sein, in Verhandlungen frei zu sprechen, sobald sie vor einer Kamera säßen, mahnten die Beschwerdeführer.

(Foto: imago images/Jan Huebner)

Bis 2030 will das Justizministerium das deutsche Strafprozessrecht revolutionieren: mit Kameras im Gerichtssaal. Bild- und Tonaufzeichnungen sollen Prozesse dokumentieren und erleichtern. Richter und Staatsanwälte entgegnen dem Vorhaben eine lange Liste an Bedenken.

Die deutschen Richter und Generalstaatsanwälte sind gegen die vom Bundesjustizministerium geplante Video-Dokumentation von Strafprozessen. Ein im November vergangenen Jahres in Berlin vorgelegter Referentenentwurf sei einhellig abgelehnt worden, erklärte Hamburgs Generalstaatsanwalt Jörg Fröhlich. In einer gemeinsamen Stellungnahme der deutschen Chefankläger heißt es, der Entwurf greife verfassungswidrig in Grundrechte ein und löse keine Probleme, sondern schaffe neue.

Der Referentenentwurf "für ein Gesetz zur digitalen Dokumentation der strafgerichtlichen Hauptverhandlung" sieht vor, die Hauptverhandlung künftig in Bild und Ton aufzuzeichnen und die Tonaufzeichnung mittels Transkriptionssoftware in ein Textdokument umzuwandeln. Der Entwurf gehe "von falschen Voraussetzungen aus", werde "zur Unzeit vorgelegt", kranke "an erheblichen, nicht nur empirischen Mängeln" und lasse grundlegende verfassungs- und europarechtliche Fragestellungen unbeachtet, so die Generalstaatsanwältinnen und -anwälte in ihrer Stellungnahme.

Videoaufnahmen würden nach Ansicht von Experten für die Erinnerung der Verfahrensbeteiligten keine weiteren Erkenntnisse bringen als Tonaufnahmen. Eine Transkription der Tonaufzeichnung mittels Software sei weder technisch hinreichend umsetzbar, noch löse sie das Problem von Meinungsverschiedenheiten über das Geschehene.

"Keine überzeugenden Lösungen"

"Ein nachvollziehbarer Anlass dafür, den deutschen Strafprozess zu revolutionieren und dabei etliche Verfahrensgrundsätze und Schutzmechanismen über Bord zu werfen, besteht aus Sicht der Staatsanwaltschaften nicht", sagte Fröhlich. Auch wäre eine digitale Dokumentation der Hauptverhandlung kostenträchtig sowie personal- und organisationsaufwendig. "Die abweisende Stellungnahme meiner Kolleginnen und Kollegen ist deshalb nur allzu verständlich."

Der Bundesgeschäftsführer des Deutschen Richterbundes, Sven Rebehn, sagte, der Entwurf werfe "gravierende rechtliche und praktische Probleme auf, für die er keine überzeugenden Lösungen findet". Würden die Pläne so umgesetzt, käme ein gewaltiger Mehraufwand auf die Gerichte zu. Strafprozesse, die schon heute im Schnitt so lange wie noch nie dauern, würden durch aufwendige Aufzeichnungs- und Dokumentationspflichten noch weiter in die Länge gezogen.

Gegen eine Videoaufzeichnung der Verhandlung bestünden erhebliche Bedenken, auch weil Zeugen nach aller Erfahrung nicht mehr frei sprächen, sobald sie vor einer Kamera sitzen. Auch das Risiko einer Enttarnung von Zeugen, die zum Beispiel in Spionage- oder Terrorismusverfahren wirksam zu schützen seien, wäre bei Videobildern deutlich größer. "Mit dem Gesetzentwurf strebt das Bundesjustizministerium die wohl einschneidendste Veränderung des Strafverfahrens seit Jahrzehnten an", bilanzierte Rebehn.