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Russen-Telefonate von der Front - „Mama, dieser Krieg war die dümmste Entscheidung“

„Mama, dieser Krieg war dümmste Entscheidung, die die Regierung je getroffen hat, denke ich.“ (Sergey zu seiner Mutter)

„Ich wusste nicht, dass das passieren würde. Sie sagten, wir würden eine Ausbildung machen. Die Schweine haben uns nichts gesagt.“ (Aleksey zu seiner Frau)

„Putin ist ein Idiot. Er will Kiew einnehmen. Aber es gibt keinen Weg, wie wir das schaffen können.“ (Aleksandr)

Eigentlich ist es den russischen Soldaten verboten, von der Front in der Ukraine aus mit ihren Familien zu telefonieren. Einige von ihnen widersetzten sich aber offenbar dem Befehl. Aus den Schützengräben, Unterständen oder besetzten Häusern in der Gegend rund um Butscha riefen sie ihre Familien oder Freunde an.

ABER: Nicht nur ihre Angehörigen haben bei den Telefonaten mitgehört – auch die ukrainische Regierung. Die „New York Times“ hat die Aufzeichnungen der Anrufe jetzt veröffentlicht.

►Die Schilderungen der russischen Soldaten am Telefon geben brutale Einblicke in den Kriegsalltag der Russen, ihre vermeintliche Unwissenheit, die Ermordung von Zivilisten, Plünderungen und die russischen Misserfolge auf dem Schlachtfeld.

Ein Foto vom 2. April: Leichen liegen achtlos auf der Straße in Butscha, nahe der ukrainischen Hauptstadt Kiew

Foto: RONALDO SCHEMIDT/AFP

„Verdammt. Auf der Straße liegen Leichen herum. Zivilisten liegen einfach herum, es ist alles im Arsch.“ (Nikita zu seiner Frau)

Immer wieder herauszuhören: die vermeintliche Unwissenheit der russischen Soldaten. Man habe ihnen nicht gesagt, dass sie in den Krieg ziehen, beklagen einige Soldaten. Außerdem beklagen sie strategische Fehler und schlechte Ausrüstung. Sie fragen, was die Nachrichten in der Heimat über den Krieg berichten – und widerlegen so die Kreml-Propaganda.

Karte/Map: Orte von Kriegsverbrechen in der Ukraine – Infografik

Ein Soldat namens Andrej erzählt seinem Vater, dass mehr als die Hälfte seines Regiments „weg“ sei. Auch sein Kommandeur sei tot. Und auch Berichte, die die Soldaten aus ihrer Heimat erreichen, schildern Tod und Leid: Angehörige berichten von den vielen Leichen und Särgen, die in ihren Städten ankämen – und die Soldaten am anderen Ende der Leitung warnen, dass bald noch mehr Leichen zurückkehren würden.

Ein anderer Soldat sagt am Telefon, er habe noch „keinen einzigen Faschisten“ gesehen. „Dieser Krieg beruht auf einem Vorwand. Niemand brauchte ihn“, sagt er am Telefon zu seiner Mutter. Die Menschen in der Ukraine hätten ein normales Leben gelebt – „wie in Russland“, sagt er. Jetzt müssten sie sich in Kellern verstecken.

„Im Fernsehen wollen sie den Leuten nur etwas vormachen, so nach dem Motto: ‚Es ist alles in Ordnung, nur ein besonderer Einsatz‘. Aber in Wirklichkeit ist es ein echter scheiß Krieg.“ (Sergey zu seiner Freundin)

▶︎ Auch von der schlechten Versorgung berichten die russischen Soldaten. Einige haben Erfrierungen an Gliedmaßen, erzählen sie, aber medizinische Versorgung würde ihnen verwehrt. Auch an Essen würde es fehlen. Ein Soldat schildert, dass sie eine Metzgerei überfallen und Hühner und Ferkel getötet hätten, um sie zu essen.

Schockierend: In den Telefonaten sind immer wieder auch Geständnisse – und sogar Prahlereien – über Plünderungen von Häusern und Geschäften zu hören. Auch über Kriegsverbrechen sprechen die Soldaten offen.

Teils verscharrt, teils achtlos liegen gelassen – mehr als 400 Leichen wurden nach dem russischen Massaker in Butscha gefunden

Foto: Giorgos Moutafis

„Wir hielten sie fest, zogen sie aus und überprüften ihre gesamte Kleidung“, schildert ein Soldat. „Dann mussten wir uns entscheiden, ob wir sie gehen lassen. Wenn wir sie hätten gehen lassen, hätten sie unsere Position verraten. Also haben wir uns entschlossen, sie im Wald zu erschießen.“ Seine Freundin, am anderen Ende fragt noch einmal nach, ob sie die Menschen wirklich erschossen hätten.

▶︎ Die Antwort: „Natürlich haben wir sie erschossen.“ Warum sie die Ukrainer nicht als Gefangenen genommen haben, fragt die Freundin. Antwort: „Dann hätten wir ihnen zu essen geben müssen. Und wir haben nicht einmal genug Essen für uns selbst.“

Später ruft derselbe Soldat auch seine Mutter an, berichtet von den „Bergen an Leichen“ im Wald. Immer wieder sprechen die Soldaten von den Massen an Leichen.

Karte/Map: Krieg in der Ukraine (Stand: 28.9.2022) – Infografik

Im April betraten ukrainische Strafverfolgungsbehörden und Journalisten zum ersten Mal seit Anfang März die nunmehr von den Russen befreiten Gebiete in der Region Kiew. Die Bilder aus Butscha gingen um die Welt.

Die grausame Realität der russischen Besatzung, die zwischen den Soldaten und ihren Familien vertraulich besprochen wurde, wurde durch die Veröffentlichung nun für die Welt sichtbar.

Auch in den kürzlich durch die Ukraine befreiten Gebieten in Isjum wurden Massengräber ausgehoben. Wieder gibt es Zeichen von Folter, Exekutionen – die möglichen Kriegsverbrechen werden seit dieser Woche auch von französischen Spezialermittlern untersucht.

(lvo)