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Scheitert die Methode Habeck?: Warum der Vizekanzler Frust schiebt

So entnervt wie zu Beginn der Grünen-Fraktionsklausur war Robert Habeck noch nicht zu erleben seit Regierungsantritt. Der Vizekanzler beginnt vorsichtig die Sinnfrage zu stellen und bringt die von ihm angezählten Koalitionspartner erst recht gegen sich auf. Die sollten ihm dennoch zuhören.

Natürlich könnte das auch alles nur Show sein. Pünktlich zu Beginn der Klausur der Grünen-Bundestagsfraktion haut Robert Habeck so richtig auf den Tisch und zählt seine Koalitionspartner FDP und SPD öffentlich an. Es könne "nicht sein, dass nur ein Partner für den Fortschritt verantwortlich ist und die anderen für die Verhinderung von Fortschritt", sagt Habeck den nach Weimar gereisten Medienvertretern und legt am Abend in der ARD nach: Die Regierung mache es "schlecht", sie müsse "Knoten lösen" und "Blockaden überwinden". Interne Papiere würden "durchgestochen" und wer behaupte, es sei mit den Klimazielen vereinbar, weiter Gasheizungen zu verbauen, verbreite eine "Lüge". Rumms!

Habecks Botschaft könnte natürlich zuvorderst den in Thüringen versammelten Bundestagsabgeordneten seiner Partei gelten: Seht her, wir Kabinettsmitglieder sehen eure Sorge vor zu vielen Kompromissen und machen Druck in Berlin. Doch es steckt mehr dahinter. Habecks Frust, ob begründet oder nicht, ist echt. Schon während seiner Südamerika-Reise war dem Minister für Wirtschaft und Klimaschutz in der vergangenen Woche das dünne Fell anzumerken. Insbesondere die Debatte über das von Habeck und Bundesbauministerin Klara Geywitz geplante Verbot neuer Öl- und Gasheizungen ab 2024 verfolgte den Grünen auch noch in 9000 Kilometern Entfernung. Im Angesicht der Menschheitsaufgabe Regenwaldrettung erschien Habeck der deutsche Furor über das Ende fossiler Gebäudewärme kleinlich, rückwärtsgewandt, ja geradezu lächerlich.

Grüne Überzeugungen als Sollbruchstelle der Ampel

Sein Ärger gilt dabei gleichermaßen der FDP, die derzeit gegen so ziemlich jedes Klimaschutzvorhaben der Grünen Stimmung macht, als auch der SPD, die sich nach Empfinden der Grünen allzu oft auf die Seite der ums parlamentarische Überleben kämpfenden Liberalen stellt. Wenn ein klimaneutrales Deutschland bis 2045 nicht mit den Konzepten seiner Partei zu erreichen sei, dann mögen doch bitte die anderen Vorschläge machen, forderte Habeck in Kolumbien sinngemäß. Die Unfähigkeit der Ampel, getroffene Vereinbarungen in konkrete Gesetze zu packen, scheitere, "weil dann immer wieder geschaut wird: Wie ist der mediale Echoraum? Was macht mein nächster Parteitag? Wo sind die nächsten Landtagswahlen?", sagt Habeck dann am Dienstagabend und beklagt eine am "billigen taktischen Vorteil" orientierte Politik.

Die kurzfristige Erfolgslogik des politischen Betriebes stehe der Umsetzung notwendiger Entscheidungen im Weg, beschreibt Habeck zusammengefasst die Lage der so ambitioniert gestarteten Dreierkoalition. Sprich: Die Ampel ist auch nur eine Koalitionsregierung wie andere vor ihr im Bund. Vom neuen politischen Stil, den man sich im Herbst 2021 ernsthaft vorgenommen hatte, ist nach dem außergewöhnlichen Krisenjahr 2022 nichts mehr übrig. Für SPD und FDP ist das weniger ein Problem, ihr Verhältnis zum politischen Betrieb ist ein anderes. Die Grünen aber sind in ihrem Kampf gegen die Klimakrise von einem großen Ernst getrieben, der sich zunehmend als potenzielle Sollbruchstelle der Ampelkoalition herauskristallisiert: Wie viele Kompromisse kann die Partei eingehen, um ein Maximum ihrer Vorstellungen durchzusetzen, ohne am Ende das große Ganze zu verraten - eine Begrenzung der Erderwärmung um 1,5 bis 2 Grad?

Einvernehmen durch Dialog

Die Grünen werden mehr denn je in ihrer 41-jährigen Geschichte von den Realos dominiert, die mit einem pro-marktwirtschaftlichen Kurs die Transformation zur Klimaneutralität schaffen wollen. Ihre Spitzenvertreter wie Habeck sind überzeugt, dass der Kampf gegen den Klimawandel nur mit gesellschaftlichen Mehrheiten zu schaffen ist, nicht gegen sie. Und weil Habeck anders als Annalena Baerbock schon vor seiner politischen Karriere ein etablierter Autor war, hat er auch ein lesenswertes Buch zu diesem politischen Versuch verfasst: In "Von hier an anders" schrieb der damalige Grünen-Bundesvorsitzende 2021 "eine Machtausübung, die versucht, Einvernehmen herzustellen" sei zum "Kern meiner politischen Identität geworden". Und: "Entscheidend ist der Dialog, das Gespräch, das Zuhören und Hören der anderen Seite."

In diesem Sinne müssen Habecks Medienauftritte verstanden werden, die in seinen ersten Monaten als Bundesminister insbesondere Menschen beeindruckt haben, die nicht die Grünen wählen. Habeck wollte sich dem Publikum in einfacher Sprache erklären, was zuweilen in abenteuerlich simple Sätze und mitunter hanebüchene Metaphern mündete. In der Krise reiste Habeck wiederholt zu den verzweifelten Mitarbeitern der PCK Raffinerie in Schwedt und auch bei ihrer Klausur in Weimar suchte die Grünen-Fraktion das Gespräch mit der in der Lausitz Braunkohle abbauenden LEAG, weil sie den Tagebau am liebsten schon 2030 statt 2038 stoppen wollen. In Schwedt und in der Lausitz schlägt den Grünen aber weiter Skepsis, wenn nicht blanke Ablehnung entgegen. Die LEAG-Vertreter kamen gar nicht erst nach Weimar.

Habecks Furor eint SPD und FDP

Die dialogische Politik, Habecks Versuche ein neues Verständnis für einander zu schaffen, Lager zu überbrücken und neue Mehrheiten im Land zu schmieden: Sie drohen zu scheitern. Im stets hitzigen, von Schlagzeilen getriebenen Berliner Politikbetrieb könnte die Methode Habeck, die in seiner Zeit als Landesminister in Schleswig-Holstein noch gut funktioniert hat, früher als gedacht an Grenzen stoßen. Die FDP ist von Existenzangst getrieben, die SPD betrachtet die Grünen mehr als Konkurrenten denn als Bündnispartner und ist mitunter abgestoßen von deren Eifer. Es wird auch in der Ampel mit harten Bandagen gekämpft und weder der Erfolg der Koalition noch das Wohlergehen des Landes stehen durchweg über den Interessen der einzelnen Parteien. Dass in so einem Wettbewerbsumfeld ein noch nicht fertig abgestimmter Gesetzentwurf zum Verbot von Öl- und Gasheizungen der Kampagnen-freudigen "Bild"-Zeitung zugespielt wird, überrascht nicht.

Neu ist Habecks offen zur Schau getragener Frust über diese Realitäten. Der Anwurf an die Koalitionspartner - schlechter Stil, Egoismus und verdeckte Interessen - ist aber letztlich kontraproduktiv. Nichts dürfte SPD und FDP so sehr zusammenschweißen wie ein grüner Koalitionspartner, der sich moralisch über die anderen erhebt. Zumal Habeck nur bedingt überzeugt: Sein öffentlicher Brief an den FDP-Vorsitzenden und Bundesfinanzminister Christian Lindner hatte den Haushaltsstreit nur weiter verhärtet. Die scharfe Kritik der Grünen am früheren Russland-Kurs der SPD und an Olaf Scholz' China-Kurs ist bei den Sozialdemokraten ebenfalls wohl vermerkt. Foul spielen nicht immer nur die anderen. So scheitert Habecks neue politische Kultur nicht nur an Koalitionspartnern, Opposition und Medien, sondern auch ein Stück weit an den Grünen selbst. Keiner anderen Partei fällt die eigene Hybris aber derart auf die Füße wie den Grünen.

SPD und FDP täten dennoch schlecht daran, den grünen Furor schulterzuckend hinzunehmen und weiterzumachen wie bisher. Das Realo-Lager der Grünen braucht den Erfolg, damit am Ende nicht die extremen Stimmen innerhalb der Klimabewegung die Oberhand gewinnen. Die Frage, wie sinnvoll ein weiterer Verbleib in der Ampel ist, wird die Grünen spätestens auf dem Parteitag Ende November beschäftigen. Das Schwärmen von der CDU als der verlässlichere Regierungspartner nimmt bei den Grünen auf Bundes- und auf Landesebene zu. Am anderen Ende des Spektrums der Klimabewegung erhält die Letztere Generation weiter Zulauf. Wenn die Methode Habeck in der Ampel scheitert, scheitert mit ihr womöglich auch die Ampel als ganze.