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"She Said" von Maria Schrader: "Das Bewegendste ist der Mut der Frauen"

Als die "New York Times" im Oktober 2017 einen Artikel von Megan Twohey und Jodi Kantor über Hollywood-Mogul Harvey Weinstein veröffentlichte, brachte das einen massiven Felsbrocken ins Rollen. Der bugsierte den einflussreichen Filmproduzenten schlussendlich wegen zahlreicher sexueller Übergriffe auf mehrere Frauen für 23 Jahre ins Gefängnis. Die monatelangen Recherchen der beiden Journalistinnen sind ein Meilenstein der damit angelaufenen #MeToo-Bewegung. Ihnen widmet sich nun die deutsche Regisseurin Maria Schrader mit ihrem neuesten Film.

In "She Said", basierend auf dem gleichnamigen Buch der zwei Journalistinnen, spielen Carey Mulligan und Zoe Kazan deren Rollen und treffen auf Überlebende, die von ihren traumatischen Erlebnissen mit dem ehemaligen Miramax-Boss berichten. Mit ntv.de sprechen die Regisseurin und ihre beiden Hauptdarstellerinnen unter anderem über die Wichtigkeit dieser journalistischen Arbeit und welche Veränderungen #MeToo in Hollywood bislang bewirkt hat.

ntv.de: Was wussten Sie über Maria Schrader vor diesem Projekt?

Carey Mulligan: Ich kannte Maria nicht als Schauspielerin, aber ihre Arbeit als Regisseurin, weil ich "Unorthodox" gesehen hatte und diese Serie liebte. Den Film, den sie mit Dan Stevens gemacht hatte ("Ich bin ein Mensch" - Anm. d. Red.), kannte ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Aber ja, ich bin absolut begeistert von ihrer Arbeit. "Unorthodox" ist unglaublich ehrlich und authentisch, es gibt kaum etwas anderes dieser Art.

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In Hollywood angekommen: Regisseurin Maria Schrader.

(Foto: Christine Fenzl)

Zoe Kazan: Ich hatte ebenfalls "Unorthodox" gesehen, war neugierig und beeindruckt von ihr. Wie einfühlsam und unerschrocken sie das Ganze erzählt. Nicht nur hinsichtlich der weiblichen Hauptfigur, sondern auch der Männerfiguren in der Serie, die größtenteils unsympathisch sind. Sie hat einen wirklich guten Blick, um diese Art von Geschichten zu erzählen, dachte ich. Und ich hatte einige ihrer Schauspielarbeiten gesehen. "Aimée und Jaguar" beispielsweise, der erschien, als ich ein kleines Mädchen war.

Frau Schrader, wie sind Sie zu diesem Projekt gekommen?

Maria Schrader: Die Produzentin hat die beiden Journalistinnen schon wenige Monate nach ihrem Artikel kontaktiert. Da hatten sie noch nicht einmal angefangen, ihr Buch zu schreiben. Dann haben sie als Erstes die Drehbuchautorin, Rebecca Lenkiewicz, dazugeholt. Das Skript ist also parallel zum Buch entstanden. Ich habe erst von dem Projekt erfahren, als es das Drehbuch schon gab. Für mich ein ungewöhnlicher Zeitpunkt, in ein Projekt einzusteigen. Und ich habe es noch nie erlebt, dass ich ein fertiges Drehbuch gelesen habe, das mich so fasziniert und atemlos gemacht hat.

Obwohl im Film nur über vergangene Ereignisse gesprochen wird, geht er einem sehr nahe. Ging Ihnen das beim Lesen des Drehbuchs auch schon so? Ahnten Sie, welche Kraft die Story haben würde?

Schrader: Ja. Ich habe es selbst atemlos gelesen, jedes Detail hat mich interessiert, und ich gehe erstmal davon aus, dass das, was ich selbst spannend finde, andere Menschen ebenso spannend finden können. Zuerst ist es ja nicht irgendeine Geschichte, die wir hier erzählen. Der Artikel hat die ganze Welt bewegt, und der Film beschreibt nun, wie es überhaupt zu dem Artikel kam. Sicher, es werden Dinge erzählt, die in der Vergangenheit liegen. Gleichzeitig gibt es ja auch den totalen Jetzt-Faktor. Eben, dass sich diese Frauen jetzt das erste Mal jemandem anvertrauen, den beiden Reporterinnen. Und dann darf man auch das Schauspiel des Zuhörens nicht unterschätzen, die Gesichter von Jodi und Megan beziehungsweise Carey und Zoe, wenn die Frauen ihre Geschichten erzählen.

Mulligan: Ich denke, wir hatten auch als Schauspielerinnen da schon das Gefühl, dass der Film so wirken würde, weil viele kluge Entscheidungen getroffen wurden. Man muss nicht versuchen, künstlich Emotionen hervorzurufen, weil die Geschichte für sich selbst spricht und der Fokus auf den Überlebenden liegt, die ihre Erlebnisse erzählen. Das war wichtig. Es gibt keine Darstellung irgendeiner Art von traumatischer Gewalt gegenüber Frauen zu sehen. Für mich ist das Bewegendste der Mut der Frauen, die mit Megan und Jodi gesprochen haben.

Wie haben Sie sich auf Ihre Rollen vorbereitet? Als Schauspielerinnen in Hollywood haben Sie die Ereignisse ja sicher von Beginn an verfolgt. Haben Sie die beiden Journalistinnen dann auch persönlich getroffen?

Kazan: Ja, wir durften viel Zeit mit Jodi und Megan verbringen, was sowohl persönlich ein Vergnügen als auch enorm hilfreich bei der Gestaltung unserer Rollen war. Und Rebecca Lenkiewicz hat ziemlich tolle Arbeit gemacht und das Privatleben der beiden in die Adaption ihrer Buchvorlage eingewoben. Sie hat also einen Großteil der Vorbereitung für uns geleistet. Aber Zeit mit den beiden zu verbringen, hat dabei geholfen, ein Gefühl für ihr Ethos zu bekommen. Und dafür, wie sie ihre Karrieren und ihre Familie in dieser Zeit unter einen Hut gebracht haben. Außerdem konnten wir auch ganz praktische Fragen stellen: "Was hast du getragen, als du diese oder jene Quelle interviewt hast? Wie benutzt du dein Notizheft und hältst deinen Stift?" (lacht)

In Zeiten von Social Media und Fake News - welche Rolle spielt Journalismus aktuell gerade im Hinblick auf ein Thema wie #MeToo?

Mulligan: Ich denke, was der Film tut, ist auch das, was das Buch macht: Er öffnet eine Art Vorhang. Ich habe so erst sehen können, wie eine solche Geschichte aufgebaut ist. Das hat mir die Augen geöffnet. Ich hatte davor keine wirkliche Vorstellung davon, wie viel Recherche und Genauigkeit beim Schreiben einer solchen Story erforderlich ist. Oder wie viele handfeste Beweise benötigt werden. Beweise in Form von Dokumenten und mehreren Personen, die jede Behauptung überprüfen und stützen. Über all das hat man vorher nie nachgedacht. Ich finde, das kann man in dem Film nun erkennen, und es ist ein Beweis für die Macht von gutem Journalismus. Dieser Artikel hatte so eine unglaubliche Wirkung. Ich denke, dass Megan und Jodi das vorher so erwartet hatten. Ich aber hätte damit nicht gerechnet. Das Ergebnis dessen zu sehen, was eine kleine Gruppe von Frauen, die Überlebenden, damit erreicht hat, indem sie Jodi und Megan ihre Geschichte erzählten, finde ich unglaublich kraftvoll.

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Die Originale: Jodi Kantor (l.) und Megan Towhey.

(Foto: IMAGO/MediaPunch)

Hat sich mit #MeToo in Hollywood etwas verändert? Und was macht es mit Ihnen persönlich?

Kazan: Es gab einige Veränderungen, aber es gibt noch immer viel zu tun. Wir haben konkrete Verbesserungen in unserer Branche gesehen. Zum Beispiel die Einführung eines Intimitätskoordinators, eine Art Stuntkoordinator für Szenen, die Darstellungen von Sex oder Intimität beinhalten. Es gibt jetzt Verhaltenskodizes, die vereinbart wurden, sowie Anti-Belästigungs-Workshops für die gesamte Besetzung und Crew. Und das Bewusstsein dafür, dass ein "Nein" keineswegs die Möglichkeit ausschließt, dass etwas Unerwünschtes passiert. Das tut es nämlich leider nicht. Ich denke, das Ziel von Jodi und Megan war es nie, Hollywood zu einem sichereren Ort für Frauen zu machen, sondern die ganze Welt. Für Menschen aller Geschlechter. Dafür müssen wir nur die Zeitung aufschlagen. Im Jahr 2022 vergisst man schnell, dass Harvey Weinstein ein unglaublich mächtiger Mann war, der unantastbar schien. Es fühlte sich lange nicht wie eine ausgemachte Sache an, dass dieses Stück Journalismus, diese Untersuchung, dieser Artikel eine solche Wirkung haben würde.

Schrader: Das Interessante an der Recherche dieses Extremfalls ist, dass dabei etwas zutage tritt, das gesellschaftlich verankert ist. Patriarchale Strukturen sind die Grundlage vieler Ereignisse, Einschüchterungen, chauvinistischer oder sexistischer Bemerkungen, Belästigungen, bei denen wir Frauen oft dachten: "Ja, so ist es halt, einfach schnell vergessen und ignorieren." Dass wir diese weniger gravierenden Erlebnisse als Normalität akzeptiert haben, erhöhte auf der anderen Seite der Skala womöglich auch die Anzahl der sexuellen Gewaltverbrechen, die in Kombination mit Macht, Hierarchie, Angst und Abhängigkeit oft vertuscht werden konnten. Der Film erzählt eine Geschichte, die uns auch persönlich zum Umdenken gebracht hat.

An "She Said" waren naturgemäß viele Frauen beteiligt. Wo sehen Sie sonst im Filmbusiness den größten Bedarf an Verbesserung für Frauen?

Mulligan: Es liegt noch ein langer Weg vor uns. Ich habe mittlerweile insgesamt mehr Frauen hinter den Kulissen, mehr Drehbücher, die sich auf Frauen konzentrieren, mehr weibliche Regisseure. Doch das ist eine Momentaufnahme. Dann kommt vielleicht ein Jahr, in dem sich das anfühlt, als gäbe es fast keine Frauen. Bis wir diese Veränderung konsequent spüren, gibt es noch viel zu tun. Und das ist jetzt nur unsere Branche. Der Sinn des Films besteht darin, ein viel breiteres Bild zu betrachten. Es ging nie darum, nur eine Person oder eine Branche zu zerstören, sondern ein viel größeres Problem in unserer Gesellschaft anzugehen. Es ist ein Privileg, Teil eines Films zu sein, der etwas zu sagen hat und zu einem Gespräch beiträgt, das weitergehen muss.

In den USA wird seither beinahe jeden Tag ein neuer Skandal dieser Art öffentlich, in Deutschland sind sie überschaubar. Funktioniert das System hier anders oder spricht nur (noch) niemand darüber?

Schrader: Ich habe keine empirischen Resultate darüber vorliegen. Tatsächlich gibt es vermutlich verifizierte Antworten darauf, ich habe nur Vermutungen. Diese geballte, monolithische Macht einzelner Personen in Kombination mit der Strahlkraft von Hollywood, das gibt es hier natürlich nicht. Hier machen wir Filme in einem kultursubventionierten Arbeitsumfeld, das ist weniger schillernd und meistens ein Zusammenschluss regionaler und staatlicher Institutionen. Aber natürlich gibt es auch in Deutschland Missbrauch in Abhängigkeitsverhältnissen, dazu muss man kein Weinstein sein, das passiert auch außerhalb der Kulturbranche. Und so rigoros wie in Amerika wird das in Deutschland sicher nicht verfolgt.

Mit Carey Mulligan und Zoe Kazan sprach Nicole Ankelmann

"She Said" läuft ab dem 8. Dezember in den deutschen Kinos.