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"Sie machen die Leute wütend": Offizielle Kritik an Putins Vorgehen wächst

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Bei Protestens in Russland zählten Aktivisten mehr als 700 Festnahmen.

(Foto: picture alliance/dpa/TASS)

Im Zuge der Teilmobilmachung erhalten auch Hebammen, Kranke und Russen ohne militärische Erfahrung einen Einberufungsbescheid. Von offiziellen Stellen wird die Kritik am chaotischen Vorgehen des Kreml lauter. Im ganzen Land protestieren die Menschen auf den Straßen.

Die russische Mobilmachung sorgt nun auch bei Anhängern von Präsident Wladimir Putin zunehmend für Kritik. Die Chefredakteurin des Staatssenders RT, Margarita Simonyan, wetterte auf ihrem Telegram-Kanal gegen das chaotische Vorgehen der Behörden. "Es wurde bekanntgegeben, dass Gefreite bis zum Alter von 35 Jahren rekrutiert werden können. Die Vorladungen gehen an 40-Jährige", erklärte Simonyan. "Sie machen die Leute wütend, als ob sie das absichtlich tun, als ob sie es aus Bosheit tun. Als ob sie von Kiew geschickt worden wären."

Seit Beginn des russischen Einmarschs in der Ukraine vor sieben Monaten war kaum Kritik von kremlfreundlicher Seite zu hören. Doch Simonyan ist nicht allein. Auch der Vorsitzende des Kreml-Menschenrechtsrates, Waleri Fadejew, erklärte, dass er den Verteidigungsminister schriftlich aufgefordert habe, Probleme mit der Mobilisierung "dringend zu lösen". Sergej Schoigu solle das "Knüppelsystem" vieler Einberufungsstellen im Land beenden.

In einem Beitrag auf Telegram kritisierte Fadejew die Art und Weise, wie Ausnahmeregelungen angewandt wurden. Er verwies auf mehrere Fälle von unangemessener Einberufung, darunter Krankenschwestern und Hebammen ohne militärische Erfahrung. "Einige (Rekrutierer) händigen die Einberufungspapiere um zwei Uhr morgens aus, als hielten sie uns alle für Wehrdienstverweigerer."

In der Region Jakutien in Sibirien räumte der Republikchef Aissen Nikolajew ein, dass Fehler gemacht worden seien in den Wehrkreisämtern. Es seien Männer eingezogen worden, die nicht unter die Mobilmachung fielen. "Es wurden Reservisten fehlerhaft eingezogen, sie müssen zurückgeschickt werden. Die Arbeit hat bereits begonnen", sagte Nikolajew. In den sozialen Netzwerken in Russland gibt es zahlreiche Fälle, in denen Väter kinderreicher Familien, Männer ohne Kampferfahrung oder auch ältere und chronisch kranke Reserveoffiziere berichten, dass sie eingezogen worden seien. Nikolajew sagte, dass die Entscheidungen der Militärkommissariate besser überprüft werden müssen.

Hunderte Festnahmen bei Protesten

Seit Putins Ankündigung am Mittwoch regt sich auch in der Bevölkerung Widerstand. Erneut gingen in zahlreichen Städten Menschen gegen die Teilmobilmachung auf die Straße. Die russische Polizei ging dabei teils brutal gegen Teilnehmer von Anti-Kriegs-Protesten vor. In St. Petersburg wurden in sozialen Netzwerken Videos veröffentlicht, die zeigten, wie Männer in Kampfuniform und mit Helm auf Demonstranten einknüppelten. Das Menschenrechtsportal ovd.info berichtete unter Berufung auf Augenzeugen, dass Sicherheitskräfte Elektroschocker einsetzten. Am Abend war von landesweit mindestens 730 Festnahmen in 32 Städten die Rede, davon fast die Hälfte in Moskau.

Russland zählt offiziell Millionen ehemaliger Wehrpflichtiger als Reservisten - potenziell fast die gesamte männliche Bevölkerung im kampffähigen Alter. Der Erlass vom Mittwoch, mit dem die "Teilmobilmachung" angekündigt wurde, enthielt keine Kriterien dafür, wer einberufen wird. Offiziellen Angaben zufolge werden 300.000 Soldaten benötigt, wobei Personen mit aktueller militärischer Erfahrung und wichtigen Fähigkeiten Vorrang hätten. Das russische Präsidialamt hat Berichte zweier im Ausland ansässiger Medien dementiert, wonach eine verheimlichte Klausel im russischen Mobilisierungsdekret die Einberufung von mehr als einer Million Reservisten vorsieht.

Seit der Ankündigung der ersten Mobilmachung in Russland seit dem Zweiten Weltkrieg versuchen zahlreiche russische Männer, einer Einberufung durch eine Flucht ins Ausland zu entgehen. An den Grenzen zur Mongolei, Kasachstan, Finnland oder Georgien haben sich zeitweise lange Schlangen gebildet. Das Innenministerium der russischen Region Nordossetien riet davon ab, das Land am Grenzübergang Werchny Lars in Richtung Georgien zu verlassen. Dort stauten sich den Angaben zufolge 2300 Autos.