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Skandale an spielfreien Tagen: Schwarze Wolken ziehen über Katars Glitzer-WM auf

Mit den Viertelfinalspielen beginnt die entscheidende Phase der WM in Katar. Das Gastgeberland und die FIFA dürften darüber sehr glücklich sein. Denn plötzlich ziehen erneut dunkle Wolken über dem perfekten Turnier auf. Dabei geht es nicht nur um den Tod eines Bauarbeiters.

Perfekte Organisation, kurze Wege, packende Spiele. Wenn am 18. Dezember das Finale der Fußball-WM in Katar gespielt sein wird, kann es nur ein Fazit geben: Das größte Event der Welt hat wieder einmal abgeliefert. Im Land des unendlichen Reichtums hat der beliebteste Sport des Planeten beim ersten Turnier in der arabischen Welt wieder einmal neue Heldengeschichten geschrieben, neue Dramen produziert und bewiesen, dass eine einzige Stadt so ein Turnier locker stemmen kann.

In Katar werden dieser Tage die größten Stars der vergangenen Dekade standesgemäß in den besten Stadien auf der ganz großen Bühne verabschiedet. Im Lusail Iconic Stadium wird es schon bald Gold regnen, werden schon bald Tränen der Freude und Enttäuschung vergossen. Die umstrittenste WM der bisherigen Fußball-Geschichte hat sich über alle Kritiker erhoben und den Sport auf der Weltbühne perfekt inszeniert.

Vergessen die "Doppelmoral" der westlichen Welt, die das Emirat am Golf für ihren gesellschaftlichen Fortschritt in Haftung nehmen wollte und sich dabei selbst ein Bein stellte. Dänemark, Belgien und Deutschland scheiterten kläglich in der Vorrunde. Die DFB-Elf sah sich herber Kritik ausgesetzt. Ihre "Mund-Zu"-Geste hatte sie in den Augen nicht nur der Gastgeber der Lächerlichkeit preisgegeben. Sie lachten herzlich und schritten mit dem Turnier fort. Das ruhte in den vergangenen Tagen und so präsentierte sich für die, die es wollten, ein ganz anderes Bild, als dieses oben beschriebene und von FIFA und Katar transportierte.

Tod bei der Arbeit ist "natürlicher Teil des Lebens"

Denn die spielfreien Tage waren kein Ruhmesblatt für das Gastgeberland der Fußball-WM 2022 in Katar. Sie waren erneut mehr Fragen auf, als es jemals Antworten geben könnte. Die Tage wurden eingeläutet mit einem Bericht des Portals "The Athletic" über den Tod eines Bauarbeiters im Trainingscamp der Nationalmannschaft Saudi-Arabiens. Sowohl die FIFA als auch WM-Turnierchef Nasser Al Khater bestätigten kurze Zeit später den Vorfall, unterschieden sich jedoch deutlich in ihrer Wortwahl.

Der Fußball-Weltverband zeigte sich "zutiefst betrübt über diese Tragödie", der WM-Boss drückte den Angehörigen ebenfalls sein Beileid aus, klagte gegenüber Reuters, dass "diese Negativität um die WM" sehr enttäuschend sei. Was er meinte, war nicht der Todesfall an sich, sondern die sensationsheischende Berichterstattung darüber. "Der Tod ist ein natürlicher Teil des Lebens, sei es bei der Arbeit oder im Schlaf", ergänzte er in einem anderen Interview.

In etwa zeitgleich veröffentlichte die Menschenrechtsorganisation Fair Square ein Brief der Angehörigen des früheren Kommunikationsdirektors der WM, Abdullah Ibhais. Der wurde vor rund einem Jahr wegen der angeblichen Annahme von Bestechungsgeldern inhaftiert und wurde nach Angaben seiner Familie in dieser Zeit in einem Gefängnis in Katar gefoltert. Vier Tage habe er in einem Erdloch in vollständiger Dunkelheit und bei Temperaturen nahe dem Gefrierpunkt verbracht. Die Familie klagte nicht nur das Gastgeberland an, sondern auch die FIFA. Die habe sich bei der Verhaftung "mitschuldig" gemacht und seither geschwiegen.

Sport und Politik sollen sich bitte trennen

Als wäre das nicht genug, tauchte dann FIFA-Präsident Gianni Infantino bei der Zeremonie zur Verleihung des "Seine Hoheit Scheich Tamim bin Hamad Al Thani Internationalen Preises für hervorragende Leistungen bei der Korruptionsbekämpfung" im Sheraton Hotel in der glitzernden Scheinwelt der West Bay auf. Neben Infantino nahm auch der Namensgeber des Preises, Emir Tamin bin Hamad Al Thani, an der sechsten Auflage der Veranstaltung teil.

Am Abend dann veröffentlichte Sky News UK einen Bericht über das Bestreben des Gastgeberlands vor dem Turnier eine eigene Kapitänsbinde mit dem Aufdruck "Kein Platz für Islamophobia" durchzudrücken. Die Armbinde sollte dabei neben dem Schriftzug noch ein Muster eines Palästina-Tuchs zieren. Die FIFA habe dieses Ansinnen, wie auch bei der "One Love"-Binde abgelehnt.

Das dürfte zumindest bei Nasser Al-Khelaifi, dem umtriebigen Chef von Paris Saint-Germain, auf Anerkennung gestoßen sein. Immerhin hatte er kurz vorher und ebenfalls auf Sky News UK erklärt, dass Sport mit Politik nichts zu tun hat. "Die Politiker, die den Sport dazu ausnutzen, ihre Agenda durchzudrücken, werden keinen Erfolg haben", sagte der katarische Boss des französischen Klubs. "Sport ist Sport und keine Politik. Und das machen wir hier in Katar."

"One Love"-Binde ist in Katar gut sichtbar

Der Zeitpunkt der Veröffentlichung der "Kein Platz für Islamophobia"-Binde ist insofern bemerkenswert, als zumindest der Verdacht einer geschickten PR-Aktion bleibt. Seht her, die FIFA reguliert nicht nur den Westen, sondern eben auch das Gastgeberland. Daran aber bestanden und bestehen weiterhin zahlreiche Zweifel. Wie auch die gut dokumentierten Eingriffe iranischer Geheimkräfte gegen die bei der WM gegen das Regime in Teheran protestierenden Iraner beim Spiel Iran gegen die USA zeigten.

Der Bericht platzte direkt in die Aufregung in Europa über die Zurschaustellung der Palästina-Fahne während der WM-Spiele und bei der Siegesfeier der Marokkaner nach dem epischen Sieg gegen Spanier. Die FIFA erklärte die Fahne für unpolitisch, anders als zum Beispiel die Regenbogenflaggen, deren Verbot zum Beginn des Turniers für mächtig Wirbel gesorgt hatte.

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Auf Werbeplakaten ist die "One Love"-Binde kein Problem.

(Foto: Stephan Uersfeld)

Wie natürlich auch die verbotene "One Love"-Binde, die auf einer Werbung des Pay-TV-Anbieters TOD in den Straßen und Metro-Stationen weiter sichtbar ist. Sowohl Harry Kane, der Kapitän der englischen Auswahl, als auch der Niederländer Virgil van Dijk sind auf den Plakaten mit der Binde, die in den ersten Tagen für so viel Ärger und wohl auch für eine Spaltung der DFB-Elf gesorgt hatte, zu sehen.

Die Ursünde dieser Weltmeisterschaft

All diese Ereignisse und Berichte innerhalb der letzten 48 Stunden zeichnen erneut ein mindestens dunkelgraues Bild dieser Weltmeisterschaft, die mit ihrer perfekten Organisation und Show das Emirat reinwaschen sollte. Was aufgrund des Sports trotz allem gelingen könnte. Die WM, das macht die FIFA nahezu jeden Tag, ist das größte Event dieser Welt. Es ist eine immerwährende, globusumspannende Party, die der Bevölkerung des blauen Planeten für vier Wochen Luft verschafft und sämtliche Sorgen vergessen lässt. Welch ein Größenwahn.

Doch neben dem Dunkelgrau der eurozentrischen Sicht auf das Turnier mehren sich natürlich auch die Stimmen, die zunehmend genervt reagieren. "Es gibt eine Ursünde: die Korruption bei der Wahl Katars als Austragungsort. Aber es wäre ungerecht, nicht anzuerkennen, dass die Umsetzung der Veranstaltung sehr gut ist", fragte der ehemalige argentinische Nationaltrainer Jorge Valdano im Interview mit der "Süddeutschen Zeitung": "Manchmal habe ich den Eindruck, dass man um Pardon bitten muss, wenn man gut über Katar spricht. Aber dass wir uns zur kulturellen Weltpolizei aufgeschwungen haben, hat uns zu einigen Übertreibungen verleitet."

Fußballer sagen, sie könnten keine Probleme lösen

Nicht vergleichbar jedoch waren diese spielfreien Tage mit den ersten Skandaltagen des Turniers, als die Öffentlichkeit, angeheizt von unzähligen Reportagen und Dokumentation über das Gastgeberland, die Korruption der FIFA, das Schicksal der Gastgeber und die Rechte der LGBTQ-Community über das Turnier herfiel und vollkommen entgeistert auf die bizarre Rede des FIFA-Präsidenten Infantino reagierte.

Die vergangenen Tage waren nur ein weiteres Indiz dafür, dass etwas überhaupt nicht stimmt bei diesem Turnier, das nun in die finale Phase schreitet und die Menschen auf der ganzen Welt, wie schon nach der ersten Aufregung in seinen Bann ziehen wird. Die verbliebenen Protagonisten der WM vertrauen ebenfalls darauf.

Angesprochen auf den verstorbenen Bauarbeiter im Camp von Saudi-Arabien antwortete der ob des Vorfalls sichtlich betrübte Trainer der Franzosen, Didier Deschamps: "Wir sind Fußballer. Fußballer sind nicht in einer Position, Probleme abseits des Fußballs zu lösen." Er ergänzte: "Die Frage hat vielleicht für Sie eine Priorität, aber meine Priorität liegt auf dem Spiel. Das heißt nicht, dass wir abseits des Fußballs gefühllos sind. Aber man sollte nicht alles mischen." Das mag für Fußballer wünschenswert und unbedingt notwendig, für die Beobachter der WM jedoch kaum möglich sein.