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Stadt liegt in Schutt und Asche: Ist Awdijiwka das neue Bachmut?

Nach wochenlangen Kämpfen gleicht Bachmut einer Trümmerwüste. Auch die Stadt Awdijiwka wird zunehmend zur Mondlandschaft zerbombt. In beiden Städten droht ukrainischen Truppen dazu die Einkesselung. Die Russen verfolgen damit die gleiche Taktik, erklärt Militärexperte Reisner.

Dass ein Krieg immer auch ein Informationskrieg ist, lässt sich derzeit nirgendwo besser beobachten als in der schwer umkämpften Stadt Bachmut. Seit Wochen kämpfen ukrainische und russische Truppen, die durch Wagner-Söldner verstärkt werden, um jeden Zentimeter, mit hohen Verlusten auf beiden Seiten. Vor allem aber dringen vom Frontabschnitt unterschiedliche Informationen nach außen. Vor rund zwei Wochen drohte ukrainischer Streitkräfte die Einkesselung, jetzt sollen russische Truppen ihren Schwerpunkt von Bachmut auf die 90 Kilometer südlich gelegene Stadt Awdijiwka gelegt haben.

Der Ort, der einst 32.000 Einwohner zählte, "gleicht immer mehr einem Ort aus postapokalyptischen Filmen", sagte zuletzt der Leiter der Militärverwaltung der Stadt, Witali Barabasch. Er rief die verbliebenen Bewohner und Mitarbeiter aller kommunalen Dienste der Stadt zur Evakuierung auf. "Ihr müsst gehen, ihr müsst eure Sachen packen, vor allem mit euren Kindern", schrieb er am Montag auf Telegram. "Ich empfehle nachdrücklich, die Stadt zu verlassen, denn die russischen Raketen und Granaten verschonen nichts und niemanden." Durch die ständigen Angriffe sei der Ort zur Mondlandschaft geworden. Auch der Mobilfunkempfang werde bald abgeschaltet, "weil es in der Stadt Spitzel der russischen Besatzer gibt."

Während die russische Offensive in Bachmut nachgelassen hat, wurden die russischen Angriffe in Awdijiwka in den vergangenen Wochen massiv verstärkt. Die Idee dahinter ist laut dem Militärexperten Markus Reisner, Oberst vom Österreichischen Bundesheer, der russische Versuch, die Ukraine zu zwingen, Reserven aus Bachmut in Richtung Süden nach Awdijiwka zu verschieben. Wer glaubt, dass die Gefechte in Bachmut deshalb stillstehen, irre sich aber. "Wir haben zwar gesehen, dass die Russen im Nordwesten und im Südwesten die Zangenbewegungen langsamer vorantreiben, aber in der Stadt selber sind die Kämpfe sogar noch heftiger geworden." Man müsse davon ausgehen, dass zwischen 60 und 70 Prozent der Stadt bereits unter russischer Kontrolle sind.

Sehen könne man das vor allem in sozialen Netzwerken kursierenden Videos. "Diese werden georeferenziert, was heißt, dass ihnen Koordinaten auf digitalen Kartendarstellungen zugewiesen werden. Dort ist zu sehen, wie im Stadtzentrum heftige Kämpfe toben, was ein klares Indiz dafür ist, dass die Russen auf dem Vormarsch sind", so Reisner. "Im Norden von Bachmut haben sie das Industriezentrum eingenommen. Hier befindet sich das Asow-Stahlwerk, ein ehemals wichtiger ukrainischer Stützpunkt, den auch Selenskyj besucht hat. Im Osten haben sie es über den Bachmutka-Fluss bis ins Stadtzentrum geschafft."

Lange markierte der Fluss die Frontlinie der Stadt. Auch von Süden sind die Russen bereits bis zur berühmten Kreuzung am MiG-17-Denkmal vorgerückt. Dieses wurde bereits durch Artilleriefeuer zerstört.

Einsatz von Leopard-2 für Ukraine ein Dilemma

Präsident Selenskyj kündigte nach seinem letzten Besuch in der Nähe von Bachmut an, Eliteeinheiten zur Verstärkung schicken zu wollen, um die Stadt zu halten. Problematisch ist laut Reisner, dass kaum Straßen aus der Stadt hinausführen. Außerdem ist der Boden vom Wetter noch schlammig und schwer befahrbar. Videos zeigen, wie sich Fahrzeuge durch den Matsch quälen. Gerade schwere Geräte wie Panzer laufen Gefahr, darin stecken zu bleiben. Bleibt die Straße geöffnet, könnten sich ukrainische Truppen weiterhin absetzen oder Nachschub heranbringen. Gelingen den Russen aber weitere Geländegewinne im Norden der Stadt, drohe wirklich die Einkesselung, so der Militärexperte.

In Awdijiwka versuchen es die russischen Truppen mit derselben Taktik. "Auch dort zielen die Angriffe darauf ab, einen Kessel zu bilden", so Reisner. Damit würden sie Druck auf die Ukraine erzeugen, immer wieder ihre kostbaren Reserven einzusetzen. "Diese Reserven sind zentral wichtig, denn die Ukraine muss versuchen, Kräfte zusammenzuhalten, um ihre entscheidende Frühjahrsoffensive starten zu können." Gleichzeitig erlitten nach Einschätzung des britischen Geheimdienstes die Russen bei einem kürzlich durchgeführten Angriff in Awdijiwka massive Panzer-Verluste.

Die Ukraine hingegen hat von Deutschland die erste Lieferung von Leopard-2-Panzern erhalten. 18 Stück stehen dem ukrainischen Militär zur Verfügung. Deren Einsatz ist ein Dilemma für den ukrainischen Befehlshaber, denn er hat laut Reisner nun zwei Möglichkeiten: Entweder nutze er sie, um zusammen mit Marder-Schützenpanzern lokal einen Gegenangriff zu starten und so den Druck auf die nahezu eingeschlossenen ukrainischen Streitkräfte zu verringern. Damit gehe er aber die Gefahr ein, dass die Panzer im Gefecht gleich wieder zerstört werden. "Oder aber ihm sind die Leopard-Panzer zu kostbar und er hebt sie sich als Speerspitze für die geplante Frühjahrsoffensive auf."

Russen konzentrieren sich auf Kämpfe in der Stadt

Militärisch machen Kampfpanzer laut Reisner vor allem im offenem Gelände Sinn. Zusammen mit Schützen- und Pionierpanzern können sie demnach zum Durchbruch von Verteidigungsstellungen nützlich sein. Die Leopard-Panzer im Angriff im urbanen Raum einzusetzen, hält der Militärexperte dagegen für ein völlig falsches Herangehen. Denn dort wären sie für die Russen leichte Beute. Stattdessen mache es Sinn, sie so einzusetzen, dass sie die Vorstöße der Russen aus Norden und Süden abwehren können.

Für Reisner ist das auch der Grund, warum russische Truppen die Ukrainer bislang nicht in Bachmut, Awdijiwka und anderen Orten eingekesselt haben, da sie sonst in Gelände vordringen, in denen ihnen die Panzer gefährlich werden könnten. Sie zwingen die Ukrainer immer wieder, Kräfte in den Kessel nachzuschieben, in die Reichweite der überlegenen russischen Artillerie. Und sie konzentrieren sich darauf, die Kämpfe in der Stadt voranzutreiben. "Was ihnen offensichtlich gelingt."