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Steuervermeidung: EU-Mindeststeuer: Warum das Scholz-Projekt bei der Umsetzung stockt

Olaf Scholz hielt die Europäische Mindeststeuer für seiner größten Erfolge als Finanzminister. Ab dem 1. Januar 2024 gelten in den EU-Mitgliedstaaten die Mindestbesteuerungsregeln. Doch schon jetzt zeichnen sich hohe Hürden ab

Dieser Artikel liegt Capital.de im Zuge einer Kooperation mit dem China.Table Professional Briefing vor – zuerst veröffentlicht hatte ihn China.Table am 27. Januar 2023.

Das Ziel der Mindestbesteuerung ist noch am leichtesten erklärt: Gewinne großer Konzerne in einem Land sollen nicht mehr in Niedrigsteuerländer verschoben werden. Stattdessen sollen die Unternehmen ihren mehr oder minder gerechten Anteil an der Finanzierung des Gemeinwesens vor Ort leisten. Dafür sollen Steuern dort gezahlt werden, wo die Gewinne erwirtschaftet werden. 

Das sogenannte Zweisäulenmodell, entwickelt von der OECD, wurde von insgesamt über 130 Staaten auf der Welt, inklusive der EU und der USA als wichtigste Akteure akzeptiert. Teil des maßgeblichen EU-US-Deals: Alle Digitalsteuern müssen entfallen – ein Bereich, in dem die Gewinnverschiebung bislang besonders leicht fiel. Stattdessen sollen nun auch Apple, Google, Microsoft und Co über die Mindestbesteuerung zur Kasse gebeten werden. 

Dafür sollen unter anderem einheitliche Bemessungsgrundlagen, die sogenannte Income Inclusion Rule (IIR) sorgen. Wird in einem Land dann zu wenig besteuert, also weniger als 15 Prozent effektiver Steuersatz, sollen die Heimatländer der Unternehmen die Differenz zur Mindeststeuer eintreiben. Diese Regelung wird Undertaxed Profit Rule (UTPR) genannt. Wenn also etwa ein Unternehmenszweig in Ungarn bislang einer geringeren Besteuerung unterlag, soll der deutsche Fiskus in Zukunft die Differenz erheben dürfen – und viele Steuervermeidungsmodelle für große Unternehmen unattraktiv werden. Soweit spricht das für enorme Einnahmepotenziale für die Staatskasse.

Staaten rechnen derzeit mit groben Prognosen

Das Münchner ifo-Institut hatte im Auftrag des Bundesfinanzministeriums 2021 vorgerechnet: 6,2 Mrd. Euro könnten zusätzlich in die Bundeskasse strömen, aufwachsend auf 6,9 Mrd. nach zehn Jahren. Das BMF rechnet mit „400 bis 500 inländisch beherrschten Unternehmensgruppen in Deutschland zu rechnen, auf die die in Deutschland einzuführende Regelungen grundsätzlich Anwendung finden.“

G20-Finanzministertreffen in Venedig am Wochenende

131 Staaten haben sich darauf verständigt, die Gewinne globaler Konzerne stärker zu besteuern und zwischen den Ländern neu zu verteilen. Klappt die Reform, wäre es tatsächlich ein historischer Durchbruch. Doch mindestens fünf Gründe sprechen dagegen

Zum Vergleich: das Vereinigte Königreich plant vorläufig mit etwa 2,6 Mrd. Euro (2,3 Mrd. Pfund) Steuermehreinnahmen – für das Jahr 2027. Ob diese Schätzungen realistisch sind, da sind sich die Experten derzeit noch unsicher. 

Inländische Mindeststeuerregelung macht den Unterschied

Allerdings: Verhalten sich Niedrigsteuer-Staaten so wie beabsichtigt und erhöhen ihren eigenen Mindeststeuersatz auf 15 Prozent der Berechnung, entfällt diese Grundlage weitgehend. Mit Rückwirkungen auf die Bundeskassen. Denn dann würden aus 6,2 Mrd. Euro eher 1,7 bis 1,8 Milliarden Euro, hat das Ifo 2021 ausgerechnet, wenn Niedrigsteuerländer sich anpassen und Gewinnverlagerungen künftig weniger würden. Ob das passiere, sei derzeit noch nicht absehbar, sagen Fachleute in verschiedenen damit befassten Institutionen.

Ein weiterer Hauptgrund ist die sogenannte QDMTT, die „qualifizierte inländische Mindeststeuer“. Die QDMTT wurde optional in die Beschlüsse aufgenommen, Staaten können davon Gebrauch machen. Deren Hauptziel: Steuersätze grundsätzlich auf der bisherigen Höhe belassen, aber die Differenzen abschöpfen, bevor es andere tun. Die inländischen Regeln würden so angepasst, dass die 15-Prozent-Marke entsprechend der vereinbarten Regeln nicht unterschritten wird.

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Apple, Amazon und Google sind weithin vor allem für jeweils ein Produkt bekannt. Das macht aber nur noch einen Teil der Umsätze aus. Mit diesen Sparten verdienen die Tech-Riesen ihr Geld

Dass das ein zweischneidiges Schwert ist, zeigt die Diskussion in den Niederlanden. Um mit anderen EU-Ländern wie Deutschland den Druck vor allem auf Ungarn und Polen zu erhöhen, legten die Niederlande im November einen ersten Entwurf zur öffentlichen Konsultation im eigenen Land vor. Der Druck fruchtete, die EU-Einigung erfolgte Mitte Dezember. Dadurch sind die nationalen Umsetzungen vorerst wieder gebremst. Dass eine QDMTT jedoch nicht nur Freunde findet, hat sich am Niederlande-Beispiel bereits gezeigt. Systemwidrig sei sie, heißt es etwa in einer Stellungnahme der niederländischen Sektion des Tax Justice Networks. „Wenn die Niederlande ebenfalls eine solche Steuer einführen wollen, werden sie auch für andere Länder ein schlechtes Beispiel.“

Deutscher Entwurf soll noch im 1. Quartal kommen 

Das Bundesfinanzministerium gibt sich dennoch zuversichtlich. „Ungeachtet der Auswirkungen auf prognostizierte Steuermehreinnahmen zeigen aber die erwarteten Anpassungsreaktionen, dass die Säule 2 den Druck auf Hochsteuerländer sowie deren Anfälligkeit für steueroptimierte Gestaltungen reduzieren kann“, erklärt ein Sprecher auf Anfrage. Man habe beim Münchner ifo-Institut allerdings ergänzend eine weitere Kurzstudie in Auftrag gegeben, die in wenigen Wochen vorliegen und neue Berechnungen beinhalten soll

Ob auch Deutschland eine QDMTT brauche? Es werde geprüft, „ob eine nationale Mindestbesteuerung Teil des Diskussionsentwurfs werden soll, der im 1. Quartal 2023 veröffentlicht werden soll“, erläutert das BMF.

USA sorgen mit eigenem Modell für Verwirrung

In den USA ist die Einführung einer Mindestbesteuerung bereits einen Schritt weiter: mit dem Inflation Reduction Act wurde auch eine Art Mindeststeuer eingeführt. Allerdings eine, die systematisch von den OECD-Vereinbarungen abweicht und große Lücken aufweist. Weiteres Konfliktpotenzial für das transatlantische Verhältnis der EU, neben allen anderen Streitigkeiten rund um den Inflation Reduction Act (IRA). Und so könnte Olaf Scholz, inzwischen als Kanzler, mit Joe Biden ein weiteres Mal in bester Freundschaft eine Lösung herbeiführen müssen, um seinem einstigen Vorzeigeprojekt den vollen, gewünschten Wumms zu verleihen.

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